«Vielleicht war ich immer radikal leise»

Eigentlich wollte der Lyriker und Schriftsteller Klaus Merz mit 70 Jahren aufhören zu schreiben. Aber dann hat es ihn doch wieder gejuckt. Im Gespräch mit Kulturjournalistin Esther Schneider spricht er über sein neues Buch «Noch Licht im Haus».

Klaus Merz
Zur Person

Der Schweizer Lyriker und Schriftsteller Klaus Merz ist ein Meister der poetischen Verdichtung. Er überzeugt in seinen Gedichten und Erzählungen durch knappe und präzise Formulierungen. Klaus Merz wurde für sein Werk mit vielen Preisen geehrt. Er lebt im aargauischen Unterkulm.  

Foto: David Zehnder

Der Lyriker und Schriftsteller Klaus Merz wollte eigentlich mit dem Schreiben aufhören, doch auch mit 70 Jahren kann er nicht aufhören zu schreiben. Zuerst kam vor vier Jahren das Buch «firma» heraus und jetzt ein weiteres mit dem Titel «Noch Licht im Haus», das im Haymon Verlag erschienen ist.

In beiden Büchern hält Klaus Merz in Gedichten und kurzen Prosastücken Rückschau auf sein Leben. Er verbindet darin Erinnerungen mit Beobachtungen und Geschehnissen aus dem Heute. Und wieder sind seine Texte dicht und konzentriert. Kein Wort ist zu viel. Esther Schneider hat den Dichter in seinem Haus im aargauischen Unterkulm besucht.

Was gab vor acht Jahren den Ausschlag, nicht mehr schreiben zu wollen?

Das Schreiben war mir immer Stütze und Begleitung, auch Reflektor. Aber mit 70 Jahren wollte ich endlich mal ohne Bleistift und Papier aus dem Haus gehen. Das tat ich vorher nie. Und ich habe wirklich eine Weile fast gar nichts mehr aufgeschrieben oder notiert. Obwohl meine Frau meinte, ich wäre etwas besser auszuhalten, wenn ich schriebe. Aber ich wollte nur schreiben, wenn es mich im Nacken packt und ich sozusagen gezwungen werde, etwas aufzuschreiben. Und das ist bei meinem neusten Buch passiert und zwar über die Kunst, die Betrachtung eines Bildes.

Was steht für dich denn im neuen Buch «Noch Licht im Haus» im Zentrum deiner Betrachtung? 

Es ist eine Art Nachglühen. «Noch Licht im Haus» ist fragil. Denn es hat auch mit dem Lebenslicht zu tun. Wenn man auf den 80sten Geburtstag zugeht, dann ist das so. Und deshalb bin ich mit diesem Buch noch einmal um Dinge herumgekreist, die in meinem Epizentrum angelegt sind.

«Ich wollte nur schreiben, wenn es mich im Nacken packt und ich sozusagen gezwungen werde, etwas aufzuschreiben. Und das ist bei meinem neusten Buch passiert.»
Schriftsteller Klaus Merz

Deine Gedichte und Textminiaturen sind sparsam an Worten. Es sind eigentlich Konzentrate. Die Reduktion als Prinzip, was reizt dich daran?

Ich hatte schon immer das Bedürfnis, nur das Notwendigste zu sagen. Ich finde einfach, Gedichte sollten Kernbohrungen sein in Richtung Magma. Und ich sage Magma deshalb, weil sich das Magma bewegt und heiss ist. Es ist Essenz. Bei der Sprache muss wenig genug sein. Nie zu viel. 

Und wie merkst du, dass es nicht zu viel ist? 

Ich sitze so lange an einem Text, bis ich merke, dass er bei sich angelangt ist. Ich muss das Gefühl haben, jetzt ruht das Gedicht in sich selbst. Ohne Firlefanz, ohne Geschwätzigkeit. Aber es braucht natürlich immer einen entsprechenden Hallraum bei den Lesenden. Nicht alle sind für diese eingekochte Prosa empfänglich. 

In einem Gedicht sinnierst du über Hydranten nach. Wie kommt das?

Die Hydranten haben mich immer beschäftigt. Mein Vater war bei der Feuerweht. Er war Fahrer des grossen Feuerwehrautos und hat oft von den Bränden erzählt. Ich dachte immer, auf die Hydranten sei Verlass. Aber als sie später als lustige Männchen angemalt wurden, da begann ich zu zweifeln und mein Vertrauen in die weltenlöschenden Armaturen war erschüttert. So ist das mit den Hydranten im Gedicht. Übrigens, heute sehe ich sie fast nicht mehr.  

Ja stimmt, sie verschwinden zunehmend.

Es gibt auch solche, die geflüchtet sind.(schmunzelt)

«Vielleicht war ich immer radikal leise. Ich will zwar die Dinge schon beim Namen nennen, sie aber nicht hinausposaunen.»
Schriftsteller Klaus Merz

In vielen deiner Gedichte spielt neben einem leisen Schalk auch die Aktualität rein. Sie blitzt auf in alltäglichen Betrachtungen. Etwa der Krieg in der Ukraine. Es sind aber stets nur feine Andeutungen. Wie kommen sie in deine Texte?

Ich kann es am Beispiel des Gedichtes erklären, wo verschiedene Sinneseindrücke zusammenkommen. Da tönt aus dem Radio in der Küche die Nachricht, dass in Kiew Bomben fallen. Vor mir an der Wand hängt eine alte Kinderzeichnung meiner Tochter mit einem blutenden Engel und gleichzeitig sehe ich den Nachbarn, der ein Kaninchen häutet. Das passiert alles gleichzeitig. Diesen dichten Augenblick festzuhalten. Dafür steht für mich das Gedicht.

Wie entscheidest du, welche Aktualität in ein Gedicht reinkommt?

Das ist eine heikle Geschichte. Ich scheue es wie der Teufel das Weihwasser, allzu aktuell zu sein. Denn das ist eine Gefahr. Texte veralten schnell und wirken dann plakativ. Das sieht man bei gewissen Texten aus den 60er-, 70er- oder 80er-Jahren. Ich staune immer wieder, wie verkniffen aktuell und politisch sie sind, so dass man sie heute fast nicht mehr lesen kann. Deshalb arbeite ich lieber mit Andeutungen. 

Du sagtest mir einmal, du seist ein Schriftsteller der leisen Worte.

Ja. Vielleicht war ich immer radikal leise. Ich will zwar die Dinge schon beim Namen nennen, sie aber nicht hinausposaunen.

«Schreiben ist immer eine latente Rechtfertigung der eigenen Existenz.»
Schriftsteller Klaus Merz

In deinen Gedichten schimmert auch die Endlichkeit des Lebens durch. Ist der Tod für dich durch das Alter zunehmend ein Thema?

Es ist immer eines gewesen. Der Tod hat mich durch das Leben begleitet. Ich bin schon mit ihm aufgewachsen. Es gehört zu meinem Selbstverständnis und zu meinen Abgründen, dass da etwas Dunkles schlummert. Aber das Alter verstärkt es natürlich noch. 

Im letzten Gedicht mit dem Titel «Postskriptum» heisst es: «Zuweilen fällt es mich an von hinten, nimm all deine Wörter zurück.» Ich habe mich gefragt, ob du manchmal den Wunsch hast, alle die Wörter, die du geschrieben hast, zurückzunehmen?

Ja, um sozusagen in die Verschwiegenheit zurückzukehren und in die Unsichtbarkeit. Schreiben ist immer eine latente Rechtfertigung der eigenen Existenz. Denn man schreibt immer aus sich selbst heraus. Und wenn man es ernst meint mit dem Umgang mit sich selbst und der Literatur, stellt man sich manchmal bange die Frage: Wäre es nicht besser gewesen, du wärst stumm geblieben?

esther_Schneider
Esther Schneider spricht in ihrem Podcast «Literatur Pur» regelmässig mit Autor*innen. Wir von Bajour dürfen die Gespräche als schriftliche Interviews aufbereiten. Weil Literatur es wert ist. (Bild: MARA TRUOG)

Das ganze Gespräch mit Klaus Merz ist zu hören im Podcast LiteraturPur. 

Hier geht es zum Podcast.

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