Warum eine Basler Firma trotz Krise eine Dividende zahlt

Das Unternehmen Straumann bezog Kurzarbeitsgeld, entliess Angestellte. Trotzdem spült es den Aktionär*innen Geld ins Portemonnaie. Was soll das?

money Dividende
Wertschätzung = Geld = Wertschätzung. (Bild: Priscilla du Preez/Unsplash)

Seit gut einem Jahr hören wir von einer gebeutelten Weltwirtschaft, die Pandemie hat Umsätze einstürzen und Gewinne schmelzen lassen. Zahlreiche Unternehmen mussten auf rettende Hilfen vom Staat zurückgreifen, meldeten schlechte Ergebnisse und waren oder sind angewiesen auf Kredite oder Kurzarbeitsentschädigungen. 

Man würde also erwarten, dass es auch bei den Dividenden Einbussen gab. Die gibt es weltweit auch. Nur nicht in der Schweiz. Das Land hat sich den Namen Dividendenparadies verdient. Der Grund: Hierzulande sind die Ausschüttungen 2020 im Vergleich zum Vorjahr sogar gestiegen, die Schweiz hat sich laut Global Dividend Index zur grössten Dividendenzahlerin in Kontinentaleuropa gemausert. Und das mitten in der Krise.

Was ist eine Dividende?

Wer Aktien besitzt, hält Anteile am Unternehmen und wird deshalb auch am Gewinn der Gesellschaft beteiligt. Meistens einmal im Jahr schüttet die Aktiengesellschaft eine Dividende als Teil von ihrem Gewinn aus. Pro Aktie erhalten die Inhaber*innen dann einen bestimmten Betrag. Je mehr Aktienanteile man besitzt, desto mehr Geld kann man mit ihnen also potenziell verdienen.

Eins von ihnen ist die in Basel ansässige Straumann-Gruppe, die auf Zahnimplantate spezialisiert ist. Zu Beginn der Pandemie blieben die meisten Zahnarztpraxen geschlossen – und Straumanns Umsätze brachen ein. Das Unternehmen entliess deshalb im vergangenen Jahr Hunderte Mitarbeiter*innen, weltweit insgesamt 660 Stellen wurden gestrichen. Ein grosser Teil der Angestellten wurde auf Kurzarbeit gesetzt. Gleichzeitig verzichteten das obere Management, die Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat auf einen Teil ihres Gehalts. 

Trotzdem gab es für das Jahr einen Bonus für das obere Management, allerdings auf 80 Prozent reduziert. Auch eine Dividende zahlte das Unternehmen letztes Jahr aus (wir berichteten). Bajour hat schon letztes Jahr bei Straumann nachgefragt, warum die Firma Leute entlasse, den Aktionär*innen aber trotzdem das Portemonnaie fülle. Damals argumentierte das Unternehmen, die Dividende beziehe sich auf das Geschäftsjahr 2019, also auf einen Zeitraum, in dem es noch keine Krise gab.

Doch jetzt will das Unternehmen auch für das Krisenjahr 2020 eine Dividende auszahlen. Und zwar in selber Höhe. So empfiehlt es der Verwaltungsrat.

Warum?

«Die sehr solide Bilanz hat zur Empfehlung der diesjährigen Dividende geführt.»
Silvia Dobry, Sprecherin Straumann-Gruppe

«Die Dividende wird mit Blick auf das ganze Geschäftsjahr vorgeschlagen», sagt Pressesprecherin Silvia Dobry. In der zweiten Hälfte des Krisenjahrs 2020 habe sich die wirtschaftliche Situation deutlich verbessert. «Die vorsichtig optimistische Zukunftsaussicht und die sehr solide Bilanz haben somit zur Empfehlung der diesjährigen Dividende geführt.» Tatsächlich wuchs der Umsatz des Unternehmens im dritten und vierten Quartal wieder.

Wäre es angesichts der Krisenzeit nicht trotzdem richtig, auf eine Dividende zu verzichten oder diese wenigstens zu senken? 

Nein, findet man bei Straumann. Sprecherin Dobry erklärt die Dividendenausschüttung mit der Firmenstrategie: «Die Dividendenpolitik von Straumann zielt darauf ab, eine stabile Dividende zu zahlen und diese nach Möglichkeit tendenziell zu erhöhen.» Noch sei die Ausschüttung ausserdem nicht festgelegt, es handelt sich um den Vorschlag des Verwaltungsrats. «Ob die Dividende wie vorgeschlagen angenommen wird, entscheidet sich bei der Aktionärsversammlung.» Im vergangenen Jahr zumindest nahmen die Aktionär*innen den Vorschlag an.

Straumann
Die Straumann Group zeigt sich «stronger than ever» und unterstreicht das mit sportlichen Bildern.

Profite trotz miserablem Geschäftsjahr

Straumann ist in der Schweiz keine Ausnahme. Es gibt mehrere Unternehmen, die trotz Kurzarbeit eine Dividende für 2020 ausschütten. Dazu gehören zum Beispiel swatch oder die Ems-Chemie von SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher, deren Eigentümerfamilie trotz miserablem Geschäftsjahr kräftig profitierte.

Ist das ethisch vertretbar?

Anruf bei Andreas Brenner. Er ist Professor für Philosophie an der Uni Basel und lehrt Wirtschaftsethik an der FHNW in Basel. «Bei Firmen, die staatliche Hilfe in Anspruch genommen haben, dürfte man erwarten, dass sie auf ihre Gewinne zurückgreifen, bevor sie die Gesellschaft als Solidargemeinschaft in Anspruch nehmen», sagt er. 

Zahlen sich solche Unternehmen eine Dividende aus, koppeln sie sich laut Brenner von der Gesellschaft ab: «Mit solchen Entsolidarisierungsprogrammen zeigen die entsprechenden Unternehmen, was sie von der Gesellschaft halten, die, das muss man nochmals betonen, ja die Basis des Unternehmenserfolges darstellt.» Die Folge sei, dass negative Einschätzungen über Unternehmen befördert würden, «die zum Teil falsch, weil pauschalisierend sind», sagt Brenner. Das schade dem gesellschaftlichen Frieden.

Legal: Dividende trotz Kurzarbeit

Eine ähnliche Haltung vertritt die SP. Bereits im April 2020 twitterte SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer: «Es ist eigentlich selbstverständlich: Wer staatliche Hilfe bekommt, soll nicht gleichzeitig fette Gewinne ausschütten können.» Sie hatte deshalb ein generelles Dividendenverbot gefordert, das Vorhaben scheiterte dann aber im Ständerat.

Anders tönt es bei Peter V. Kunz, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Bern. Kunz kann zwar verstehen, wenn die Zahlungen für Stirnrunzeln sorgen. «Der Punkt ist aber, dass Straumann und sonstige Unternehmungen in der Schweiz vor allem ein attraktives Anlagevehikel für Investoren sein müssen», sagt er. Gerade die internationalen Unternehmungen in Basel seien sehr beliebt für ausländische Investitionen. Und wenn eine Firma wieder einmal eine Aktienkapitalerhöhung brauche, sei man angewiesen auf die Aktionär*innen, «also muss man sie ein wenig bei Laune halten». Etwa, wenn das Unternehmen frisches Eigenkapital braucht, um in neue Projekte zu investieren.

Zwar gibt es durchaus Einschränkungen, insbesondere für Unternehmungen, die im letzten Jahr vom Bund Corona-Kredite zur Liquiditätsaufrechtserhaltung bezogen haben. Sie dürfen keine Dividenden ausschütten. Ein Dividendenverbot für Unternehmen, die Kurzarbeit bezogen haben, sei aber widersinnig, sagt Kunz, der früher FDP-Mitglied war. «Kurzarbeit – anders als Corona-Kredite – ist nicht einfach eine Wohltat des Bundes für die Unternehmen, die in der Krise sind. Die Kurzarbeitsentschädigung ist eine Sozialversicherung und dafür haben die Unternehmungen eingezahlt.» 

«Es wäre ein falsches Zeichen, würde man ohne Not die Dividende ändern.»
Peter V. Kunz, Wirtschaftsrechtler

Das letzte Wort bei den Dividenden hat allerdings der Verwaltungsrat. Der kann im Extremfall die Notbremse ziehen. Etwa, wenn er sieht, dass das Unternehmen Liquiditätsprobleme hat. In so einem Fall würden die Dividenden allenfalls notwendiges Eigenkapital schlucken und der Verwaltungsrat hätte ein Widerstandsrecht und eine Widerstandspflicht gegen Dividenden. Doch Wirtschaftsrechtler Kunz stellt klar: Für diese Notbremse reicht es nicht, eine Dividende einfach «ungehörig» zu finden. «Wenn die Geschäfte aktuell gut laufen, hat der Verwaltungsrat weder ein Widerstandsrecht noch eine Widerstandspflicht.» Bei Straumann hat der Verwaltungsrat also keine rechtliche Möglichkeit für so eine Dividenden-Notbremse.

Jurist Kunz zeigt Verständnis für Straumanns Strategie: «Ich kann nachvollziehen, wenn man auf eine permanente Dividende setzt, um keine Unsicherheiten im Aktionariat auszulösen.» Bei anderen Unternehmungen, die das ganze Jahr schlecht geschäftet haben, werde genau das gleiche Argument gebracht: Man will als Anlageobjekt attraktiv bleiben. «Es wäre ein falsches Zeichen und würde den Ausstieg von nicht zuletzt ausländischen Investoren bedeuten, wenn man ohne Not die Dividende ändern würde», sagt Kunz.

Keine Dividende, nur Inhalte.

Es spricht aus ökonomischer Sicht aber auch einiges dafür, auf Dividenden zu verzichten. Sie kostet das Unternehmen Geld, das auch an anderer Stelle genutzt werden könnte (für Investitionen oder Lohnerhöhungen zum Beispiel). So sagt Kunz: «Es ist denkbar, dass sich die Aktionäre bei der Generalversammlung vorsichtig zeigen und keine oder eine reduzierte Dividende ausbezahlen wollen.» Denn jede Dividende ist ein Vermögensabfluss und potenziell riskant für eine Unternehmung. Die Aktionäre könnten also zum Beispiel zuwarten und sagen, sie zahlen nur die Hälfte der Dividende aus. Der Gewinn ist dann nicht verloren, sondern wird aufs nächste Jahr aufgeschoben.

Wäre das nicht wiederum ein schlechtes Signal für Investor*innen?

«Wenn die Aktionäre so entscheiden, ist das ein weniger dramatisches Zeichen gegen aussen, als wenn der Verwaltungsrat das macht», sagt Kunz. Kommt der Verwaltungsrat selbst mit einer Reduktion, werten das viele Investor*innen als Unsicherheit und steigen vielleicht aus.

Unter dem Strich betreiben Unternehmen eine Dividendenpolitik, die den Aktionär*innen entspricht. «Das ist wohl auch bei Straumann der Fall», sagt Kunz. «Sie wollen ihr Aktionariat, das ansonsten eine gute konstante Dividende bekommt, nicht vor den Kopf stossen.» 

Und was ist eigentlich mit Boni?

Die Firma Straumann hat für dieses Jahr Boni ausgezahlt, diese sind laut Sprecherin Dobry im Vergleich zum Vorjahr aber deutlich geringer ausgefallen. «Beim Bonus geht es darum, die Mitarbeitenden, die in der Krise viel geleistet haben, wertzuschätzen. Das Team hat das Unternehmen durch die Krise geführt. Das wollte man damit anerkennen.» Welches Signal die Bonuszahlung an die entlassenen Mitarbeiter*innen sendet, darüber wollte Dobry nicht spekulieren.

Wirtschaftsphilosoph Brenner dagegen hält Boni – ob Krise oder nicht – für problematisch. «Boni sind Spaltpilze.» Sie würden nicht nur die Belegschaft, sondern auch die Gesellschaft spalten. «Gerade in einer Zeit, in der es vielen Menschen wirtschaftlich extrem schlecht geht, wirkt es besonders verstörend, wenn Firmen an diesem Instrument festhalten, mit dem Einzelne belohnt werden.»

«Das Gemeinwohl wird ausser Acht gelassen.»
Andreas Brenner, Wirtschaftsphilosoph

Ein Bericht der Hilfsorganisation Oxfam zeigt auf, dass die Corona-Krise die Ungleichheit auf der Welt verstärkt hat – Reiche haben durch steigende Aktienkurse und Dividendenzahlungen Milliarden verdient, Ärmere (Angestellte) fielen auf Kurzarbeit zurück.

Philosoph Brenner sagt: «Das Problematische ist dabei nicht alleine, dass es vielen schlecht geht und einigen sehr gut, sondern dass der Bonus vollkommen falsche und gesamtwirtschaftlich zum Teil höchst schädliche Anreize setzt.» Die Boni-Bezieher*innen würden dadurch aus dem Blick verlieren, was eigentlich sinnvolle Unternehmensziele sind. «Ein nachhaltiges Unternehmensinteresse und erst recht das Gemeinwohl werden dabei ausser Acht gelassen.» 

Es ist wohl so, wie es immer ist: In der Krise fallen manche weicher als andere.

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