Wenn du Flugangst hast, solltest du das lesen
Die Flugsicherheit hat sich im vergangenen Jahr nochmals verbessert: Noch nie gab es so wenig Unfälle, bezogen auf die 3,8 Milliarden Menschen, die 2022 in einem Flugzeug unterwegs waren.
In der Flugbranche gilt: Ein Unfall ist einer zu viel. Dieses seit Jahren geltende Credo zahlt sich aus. Der Luftverkehr hat zwar enorm zugenommen, aber die Anzahl der Abstürze, Fast-Katastrophen, Bruchlandungen oder ähnliche Zwischenfälle haben über die Jahre abgenommen. So massiv, dass beispielsweise die registrierte Zahl der Toten durch einen einzigen Grossunfall, statistisch gesehen, einen massiven Ausreisser nach oben bedeuten würde.
Im vergangenen Jahr gab es vier Flugunfälle mit insgesamt 187 Toten (Stand 31.12.2022). Gewiss: 187 zu viel. Aber wie viel wurde geflogen? 3,8 Milliarden Menschen waren 2022 unterwegs, nicht ganz so viele wie vor Corona, aber fast.
Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Flugunfall ums Leben zu kommen, ist sehr tief. Der Verband der Fluggesellschaften International Air Transport Association (IATA) rechnet vor: Bei einem Sterberisiko von 0,13 für eine Million Flugreisen (Wert vom Jahr 2020) müsste eine Person im Durchschnitt 461 Jahre lang täglich mit dem Flugzeug reisen, um einen Unfall mit mindestens einem Todesopfer zu erleben. Und wenn eine Person selbst ums Leben kommt, müsste diese, statistisch gesehen natürlich, 20’932 Jahre lang jeden Tag fliegen. Zwanzigtausendneunhundertzweiunddreissig Jahre lang … Um Himmels Willen.
«Die Sicherheit in der Luftfahrt hat sich über viele Jahrzehnte hinweg kontinuierlich verbessert.»Mark Searle, zuständig fürs Dossier Sicherheit bei IATA
«Die Sicherheit in der Luftfahrt hat sich über viele Jahrzehnte hinweg kontinuierlich verbessert, so dass Unfälle seltener geworden sind und bestimmte Arten von Unfällen besser überlebt werden können», sagt Mark Searle, zuständig für das Dossier Sicherheit bei der IATA. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer der wichtigsten ist die gut etablierte Zusammenarbeit der gesamten Branche beim Thema Sicherheit. Das betrifft Fluggesellschaften, Flugzeug-, Triebwerk- und Avionikhersteller gleichermassen. Bestimmungsfaktoren sind der technische Fortschritt, die Organisation des Luftverkehrs, Flugprozeduren und noch einiges mehr. Die IATA verlangt von ihren Mitgliedern, dass sie sich in regelmässigen Abständen dem IATA Operational Safety Audit (IOSA) stellen. Es ist offenbar ein Erfolgsmodell. IOSA-zertifizierte Fluggesellschaften sind gemäss der IATA-Statistik sicherer.
Auch Flugverkehrskontrollen und Flughäfen tragen eine wichtige Rolle. Das zeigte die Kollision eines Feuerwehrautos mit einer startenden Maschine in Lima vor gut einem Monat, absurderweise während einer Katastrophenübung. Die beiden Feuerwehrleute im Auto starben. Der Auslöser der Beinahe-Megakatastrophe dürfte die mangelhafte Kommunikation gewesen sein. Klare und eindeutige Verständigung ist extrem wichtig, immer, überall: Im Cockpit, zwischen Mensch und Maschine, zwischen Cockpit und Fluglotsen, in der Kabine, am Boden.
Nicht zuletzt ist die Branche extrem streng reglementiert und steht unter den Argusaugen nationaler oder internationaler Aufsichtsbehörden. Bei Flugunfällen oder gefährlichen Situationen verlangen diese von den Fluggesellschaften, Herstellern etc. lückenlose Auskünfte. Selbst scheinbar unbedeutende Vorfälle könnten Hinweise auf möglicherweise gefährliche Situationen geben. Und es werden, wenn immer möglich, Lehren daraus gezogen.
Durch die relativ geringe Zahl der Unfälle in der kommerziellen Zivilluftfahrt erhält ein einzelner Vorfall in der Statistik hohes Gewicht. Auch die Gründe, warum Flugzeuge abstürzen, sind, auf ein einzelnes Kalenderjahr bezogen, nicht sehr aussagekräftig. Über die lange Frist sind nach wie vor Pilot*innenfehler, schwierige Wetterlagen und technische Pannen die Ursache, sagen Fachleute. Meist resultieren Unfälle aus einer Verkettung von unglücklichen Umständen.
Trotzdem nachfolgend eine Zusammenstellung der UN-Organisation für Zivilluftfahrt ICAO für das Jahr 2021. Die meisten Unfälle, bei denen Flugpersonal oder Passagiere schwer verletzt wurden, ereigneten sich in der Kategorie «Turbulenzen». Die vier tödlichen Unfälle lassen sich in zwei Kategorien einteilen: zwei Unfälle im «kontrollierten Flug ins oder auf das Gelände» (wegen schlechter Sicht oder Fehleinschätzung der Situation) mit 32 Todesopfern, und zwei Unfälle mit «Kontrollverlust während des Fluges» mit 72 Todesopfern.
Unfälle, die erhebliche Schäden an Flugzeugen verursachten, waren abrupte Manöver, «anormaler Landebahnkontakt», Bodenkollision, Vereisung, Bodenabfertigung und System-/Komponentenausfall oder -störung.
Der schlimmste Unfall im Jahr 2022 war der Absturz einer Boeing 737 in der chinesischen Provinz Tengxian mit 132 Toten. Sie war unterwegs von Kunming nach Guangzhou bei Hongkong. Offiziell ist die Ursache noch nicht geklärt, doch hartnäckig halten sich die Gerüchte, dass die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht worden sei. Sie flog mit grosser Geschwindigkeit senkrecht in den Boden, ohne dass Klappen oder Fahrwerke ausgefahren waren. Und aus dem Cockpit kam kein Notruf.
Es wäre nicht die erste Katastrophe, die absichtlich herbeigeführt wurde. Ein solcher Absturz mit Absicht ist die Germanwings-Katastrophe in den französischen Westalpen im Jahr 2015. Gemäss den Untersuchungsbehörden ist es erwiesen, dass der Pilot Suizid begehen wollte. Werden andere Menschen mit in den Tod gerissen, wird in der nüchternen Fachsprache von «erweitertem Suizid» gesprochen. Lufthansa, der Mutterkonzern von Germanwings, kündete an, dass ihre Pilot*innen vermehrt auch psychisch untersucht würden, um Suizidgefährdete eruieren zu können.
Eine Notiz zum Schluss: Die offizielle Flugunfallstatistik umfasst nur Flugzeuge über 5,7 Tonnen Abfluggewicht. Terroranschläge, Krieg, Schulungs- und Testflüge sind ausgeschlossen.
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