Die Zwischenbilanz der Opferhilfe
Das umfassende Awareness-Konzept kommt beim diesjährigen ESC das erste Mal zum Einsatz. Der Leiter der Opferhilfe beider Basel, Beat John, berichtet von den bisherigen Erfahrungen.
Beat John, nun ist das Awareness-Konzept inklusive der 24/7 Hotline in Betrieb. Hat technisch alles auf Anhieb funktioniert?
Beat John: Der Betrieb der 24/7 Hotline war technisch herausfordernd. Es war für uns ein ganz neues Telefonsystem. Zwei Leitungen parallel zu führen bereitete die ersten beiden Tage organisatorisch und technisch ein bisschen Mühe.
Wie war die Situation am Eröffnungstag, als gleichzeitig noch die Meisterfeier des FCB stattfand?
An diesem Tag lief sehr viel in der Stadt. Diesbezüglich haben wir erst sehr kurzfristig Informationen erhalten. Und so mussten wir umdisponieren und zusätzliche Einsätze leisten. Es war ein sehr erlebnisreicher und aussergewöhnlich bunter Tag – gepaart mit belastenden Grenzverletzungen.
Was sind Ihre Erfahrungen vom ersten Halbfinal am Dienstag?
Ein Einsatz während einer Show ist sicher ein besonderes Erlebnis. In den ersten Shows gab es jeweils rund 20 Kontakte mit dem Safer Space vor Ort beziehungsweise den mobilen Teams. Beinahe alle Aufsuchenden konnten wieder zufrieden zurück in die Show.
Wie stark sind die Teams gefordert?
Die Unsicherheit, was da alles kommen wird, wie die Sicherheitslage sein wird, welche Auswirkungen Demonstrationen haben werden, darf nicht unterschätzt werden. Aus Malmö war bekannt, dass es während des Anlasses zahlreiche Bombendrohungen gab. Das beschäftigt sicher alle, die sich bei Sicherheits- und Awarenessthemen engagieren wollen. Von Tag zu Tag war spür- und realisierbar, wie das Awareness-Angebot bekannter wurde. Bei Gesprächen mit Gästen des Events habe ich realisiert, wie viel die Besucher*innen wussten und wie sehr sie dieses Angebot schätzen. Schon alleine das Wissen, dass es ein Angebot gibt, stärkt das subjektive Sicherheits- und Wohlfühlempfinden. Die Sichtbarkeit ist ein ganz zentraler Erfolgsfaktor dabei.
«Einzelne berichteten uns, dass sie gerade wieder abgereist wären, weil sie so enttäuscht über das Verhalten anderer waren.»Beat John, Leiter der Opferhilfe beider Basel
Wird die 24/7 Hotline genutzt?
Wir hatten in den ersten drei Tagen total 100 Anrufe. Für eine so anspruchsvolle 11-stellige Nummer ist dies eine beachtliche Anzahl. Ein Grossteil der Anrufe hatte nichts mit Grenzverletzungen zu tun, sondern mit Unsicherheit bezüglich des ganzen Zutrittsprozederes bei den Shows in der St. Jakobshalle. Ich werte die Kontaktnahme als positiv. Die Nummer ist somit niederschwellig, man traut sich auch ganz einfache Dinge zu fragen – und die Nummer ist bekannt!
Ist eher genügend oder zu viel Personal im Einsatz?
Der Arbeitsanfall ist nie berechenbar. Zeiten mit wenig Klient*innenkontakt wurden von den Mitarbeitenden so genutzt, dass gerade administrative Arbeiten aus dem Alltagsgeschäft erledigt werden konnten. Für die Mitarbeitenden ist es eine ganz neue Erfahrung, in den tiefsten Nachtstunden zu arbeiten. Ich habe selber miterlebt, wie schöne und wertvolle Gespräche zwischen Freiwilligen und Mitarbeitenden, zwischen dem Sicherheitsdienst «taktvoll» und der Opferhilfe stattgefunden haben.
Gab es bisher grössere Zwischenfälle oder brenzlige Situationen?
Objektiv gesehen nein. Auf der individuellen Ebene der Betroffenen gab es einige Menschen, die aufgrund eines Vorfalles sehr traurig oder enttäuscht und verletzt waren. Die Vorfreude auf so ein Event ist riesig. Wenn dann etwas Grenzverletzendes passiert, kann auch schon einmal eine kleine Welt zusammenbrechen. Einzelne berichteten uns zum Beispiel an der Hotline, dass sie dann gerade wieder abgereist wären, weil sie so enttäuscht über das Verhalten anderer waren. Schade. Das hört man nicht gerne. Einzelne Vorfälle mussten an die Beratungsstelle der Opferhilfe triagiert werden, weil Menschen eindeutig Opfer von Straftaten wurden. Die Beratungen sind nun am Laufen.
Was braucht es Stand jetzt, damit das Konzept auch bei anderen Anlässen zur Anwendung kommt?
Führt eine Unternehmung zum Beispiel einen neuen Schokoriegel ein, ist die Produkteinführung mit zahlreichen Marketing- und Werbemassnahmen versehen, damit es schnell an Bekanntheit gewinnt und die Verkaufszahlen in die Höhe schnellen. In der sozialen Arbeit und auch im Sicherheitsbereich stehen wenig Mittel dafür zur Verfügung. Das ist aber auch gerade herausfordernd, mit wenigen Mitteln viel zu erreichen. An der Bekanntmachung und Information müssen auch alle Involvierten weiterarbeiten. Positive Beispiele helfen dabei. Jede Person, die sich dank einem Awareness-Angebot sicherer und wohler fühlen konnte und durfte, ist eine wichtige Botschafterin.