«Wir suchen den Dialog»
Zur Eröffnung des Eurovision Song Contest spricht Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann über die angekündigten Proteste und über die Reisewarnung für Basel.
Stephanie Eymann, freuen Sie sich auf den ESC?
Ja, ich freue mich auf den ESC. Ich habe soeben einen ESC-Fan kennengelernt, der mir Dinge erzählt hat, von denen ich bis jetzt wenig gewusst habe. Es kommen tausende unterschiedliche Menschen aus ganz Europa nach Basel, die sich sehr auf diesen Anlass freuen. Diese Freude war bei mir bisher noch nicht so stark entfacht, weil ich den Hut der Sicherheitsverantwortlichen trage. Aber jetzt, zur Eröffnung, freue ich mich auch. Ich habe aber immer im Kopf, dass ich mit meinen Leuten parat sein muss und bin daher natürlich auch angespannt.
Es sind ja bereits drei grössere Demos angekündigt. Erwarten Sie einen gewaltsamen Protest?
Das ist ganz schwierig zu sagen. Die Polizei beobachtet die Situation und die Lage und sucht unermüdlich den Kontakt zu Ansprechpersonen. Ich finde es enorm schade, dass das bis jetzt nicht gelungen ist und dass der Dialog mit der Polizei offenbar nicht erwünscht ist. Wir halten auch im Hinblick auf den ESC die Meinungsäusserungsfreiheit hoch. An Kundgebungen ist ein friedlicher Protest erlaubt. Man darf seine Meinung zu allem, was die Welt bewegt, äussern. Aber für Gewalt ist bei uns kein Platz und für Antisemitismus ebenfalls nicht.
Stephanie Eymann (LDP) ist seit 2021 Regierungsrätin des Kantons Basel-Stadt und Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements. Davor war sie Staatsanwältin und Chefin der Baselbieter Verkehrspolizei. Bei den Gesamterneuerungswahlen 2020 wurde sie erstmals in den Regierungsrat gewählt und bei den Gesamterneuerungswahlen im Oktober 2024 in ihrem Amt bestätigt.
Ist die jüdische Gemeinschaft in den nächsten Tagen sicher? Israel hat eine Reisewarnung für Basel ausgesprochen.
Ganz generell bedauere ich, dass Israel zu so einem Schritt aufrufen musste oder sich dazu entschieden hat. Das ist nicht die Situation, die ich mir für Leute, die bei uns leben, wünsche. Wir haben eine grosse jüdische Community und eine grosse historische Verbundenheit zu ihr. Wir sind immer in engem Austausch und jetzt während des ESC noch vermehrt. Der Schutz von jüdischen Mitmenschen, aber auch der Delegation, wird sehr hoch gewichtet.
Halten Sie die Reisewarnung für angemessen? Ich masse mir nicht an zu beurteilen, was Israel zu diesem Schritt bewogen hat. Die Tatsache zeigt mir aber, wie angespannt die Situation und wie gross die Angst offenbar ganz generell ist. Diese Entwicklung bedauere ich. Man muss sich immer wieder vergegenwärtigen, dass wir in Basel eigentlich ein Fest feiern, das vereinen soll. Die Reisewarnung wurde auch letztes Jahr schon für Malmö herausgegeben und insofern handelt es sich nicht um eine exklusive “Basler Misstrauenswarnung”. Israel hat für seine Bevölkerung den Schritt in die Wege geleitet, den es für notwendig hält. Ich möchte es nicht als falsch oder richtig kommentieren, sondern betonen, dass wir für den Schutz unserer jüdischen Mitmenschen auf höchstem Niveau sorgen.
Die israelische Sängerin Yuval Raphael erhält keinen speziellen Schutz seitens des Kantons, wie es in Malmö der Fall war. Warum nicht?
Das wurde aufgrund der Einschätzungen des Bundes entschieden. Normalerweise erhalten völkerrechtlich geschützte Personen besonderen Schutz, wie im Falle des israelischen Staatspräsidenten Yitzhak Herzog am Zionistenkongress 2022.
Wir haben viele Dialogteams vor Ort und möchten Hand bieten für Gespräche.Stephanie Eymann, Sicherheitsdirektorin
Was tut die Polizei in Basel, damit es am ESC nicht zur Eskalation bei den Protesten kommt?
Die Polizei versucht immer, und jetzt vermehrt, in Dialog zu treten. Unser Standpunkt ist, dass wir nicht einfach generell Demos verbieten. Ich habe das einmal in meiner Karriere gemacht, als die Sicherheitslage ganz konkret gefährdet war. Die Polizei wird präsent sein und sich entsprechend vorbereiten, aber das klare Ziel sind friedliche Kundgebungen. Wir haben viele Dialogteams vor Ort. Wir möchten Hand bieten für Gespräche.
Am 1. Mai stand eine Deeskalationsstrategie im Vordergrund. Selbst als Polizist*innen mit Tomaten beworfen worden sind, haben sie kaum reagiert. Ist das auch weiterhin die Strategie?
Das Schwierige bei Demonstrationen ist, dass es immer darauf ankommt, was die Teilnehmenden machen. Sind sie gewaltbereit oder nicht? Ich finde nicht in Ordnung, wenn Tomaten nach den Polizist*innen geworfen werden. Das ist ein Zeichen von Geringschätzung. Aber ich muss trotzdem ein bisschen die Gesamtschau im Kopf behalten.
Was heisst das genau?
Am 1. Mai hat es gut funktioniert, militante Kreise zu separieren. Der offizielle Demonstrationszug endete am Barfüsserplatz wie vereinbart. Die Demonstrant*innen haben sich nicht mit den militanten Gruppen solidarisiert. Das ist ein erster Schritt, ich glaube, damit sind wir auf einem guten Weg. Die Tomaten sind höchst bedauerlich, aber in der Gesamtschau der letzten Jahre befinden wir uns heute auf einem anderen Niveau.
Was ist aus Basler Perspektive interessant, brisant, speziell an der ESC-Stimmung in der Stadt? Bajour schaut genau hin und liefert dir hier News und Notizen zur Euro-Vision.
Vor Kurzem sagte Interimskommandant Thomas Würgler im Baz-Interview, die Polizei überdenke den Kräfteeinsatz an Veranstaltungen wie Fussballspielen und Demonstrationen. War der 1. Mai schon Zeugnis dieser neuen Strategie?
Wir haben die Kräfte nicht generell runtergefahren, die Polizei war ja parat. Sie hat sich einfach eher im Hintergrund gehalten und deeskalierend gewirkt. Das Ziel ist, dass die Absprachen funktionieren. Und wenn wir seitens Demo-Teilnehmenden und Organisator*innen ein Statement haben, wird es hoffentlich mittelfristig möglich sein, polizeilich die Kräfte runterzufahren.
Welches Statement meinen Sie?
Dass Gewalt und Sachbeschädigungen nicht zur Versammlungsfreiheit gehören. Dass Anliegen auf die Strasse gebracht werden, gerne auch laut und farbig, aber ohne Gewalt. Hier sind wir noch nicht am Ziel.
Haben Sie aus dem 1. Mai 2023 gelernt, als es zum viel kritisierten Kessel in der Elisabethenstrasse kam?
Alle Verfahren laufen ja noch, ich kann nichts Konkretes dazu sagen. Die Polizei muss immer vor Ort Entscheidungen treffen. Daher ist es schwer zu sagen, ob ein Einsatz ein Learning aus einem anderen ist. Es ist sicher seither viel passiert, was sich auch im Dialog widerspiegelt. Die Kantonspolizei hatte dieses Jahr einen engen Kontakt mit dem 1. Mai-Kommitee, was ich sehr begrüsse.
«Das Schöne finde ich, dass es nicht zu der Situation kommen wird, den ESC gegen den FCB auszuspielen.»Stephanie Eymann, Sicherheitsdirektorin
Werden am ESC auch Wasserwerfer im Einsatz sein?
Die Einsatzorganisation hat für die Dauer des ESC einen Wasserwerfer in Reserve. Ideal wäre natürlich, wenn er nicht zum Einsatz kommt.
Es kann sein, dass am Sonntag die pro-palästinensischen Demonstrant*innen, die ESC- und FCB-Fans aufeinandertreffen. Graut Ihnen vor diesem Szenario?
Diese spezielle Situation haben wir auf dem Radar. Bei aller Freude darüber, dass der FCB höchstwahrscheinlich Meister wird, müssen nun alle Anlässe gleichzeitig stattfinden (lacht). Der FCB hat schon kommuniziert, wie die Feier am Sonntag laufen würde. Das Schöne finde ich, dass es nicht zu der Situation kommen wird, den ESC gegen den FCB auszuspielen. Sondern dass man die Feste auf gewisse Weise vereint und Rücksicht nimmt, damit der FCB und die Fans ihre Meisterfeier während des ESC haben können. Das ist doch ein gutes Beispiel für den integrativen Teil des ESC.
Die Demo, die während des ESC-Finales am 17. Mai laufen wird, zielt darauf ab, maximale Aufmerksamkeit – auch international – zu bekommen. Gibt es Absprachen mit z. B. der SRG, damit diese Bilder nicht gezeigt werden?
Der klare Fokus liegt auf der ESC-Feier, ich weiss jedoch nicht, was die Strategie der SRG ist. Aber wir sind ja nicht dafür bekannt, ein Zensurstaat zu sein. Die Medien sind in der Berichterstattung frei und müssen selbst entscheiden, welche Schwerpunkte sie setzen.