Wieso hat niemand etwas gesagt?

SP-Politikerin Jessica Brandenburger wird in der Grossratssitzung wegen ihres Äusseren beleidigt. Und niemand reagiert.

Grosser Rat
Anstand, bitte. (Bild: Michael Fritschi)

Der Vorfall spielte sich an der Grossratssitzung vom 17. März ab. Diskutiert wurde Jessica Brandenburgers Anzug betreffend einer Anlaufstelle sexuelle Gesundheit. Die Sozialdemokratin begründet den Vorstoss  unter anderem mit dem Schutz von Kindern und Jugendlichen: «Kinder und Jugendliche sollen ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche und auch Grenzen kennen und benennen können – denn informierte Kinder und Jugendliche sind besser geschützt.»

Nach ihrem Votum meldete sich ein Rechts-aussen-Politiker zu Wort. Seine Aussage ist unter der Gürtellinie. Sinngemäss sagte er: Wer anständig und hübsch sei, brauche keine Sexberatung. Die Politikerin, die den Anzug eingereicht habe, sei weder noch.

Von diesem Politiker ist man sich in Basel Unflätigkeiten gewohnt. Wir wollen ihm nicht noch mehr Aufmerksamkeit verschaffen und lassen seinen Namen weg.

Was Jessica Brandenburger aber besonders betroffen machte: Niemand im 100-köpfigen Parlament stand auf und wies den Beleidiger zurecht. «Das schlimmste war, dass keiner im Saal reagiert hat», sagt sie zu Bajour.

Auf Twitter schrieb sie: «Einmal mehr wurde mein Äusseres ungefragt kommentiert, herabgewürdigt und beleidigt. Einmal mehr hielt es ein Mann für nötig, mir seine Meinung über mein Äusseres mitzuteilen. Einmal mehr fühlte ich mich damit allein gelassen. Ich habe so was von genug davon.»

Eigentlich liegt es in der Verantwortung des Parlamentpräsidenten David Jenny (FDP), für Anstand zu sorgen. Das Problem: Der Präsident hatte die Beleidigung nicht gehört, wie er gegenüber Bajour bestätigt.

Nach der Sitzung hätte sich Jessica Brandenburger bei ihm gemeldet. «Auf der Audiodatei der Sitzung habe ich die Beleidigung gehört», sagt Jenny. Gemeinsam mit Jessica Brandenburger habe er nun Schritte beschlossen. Die Details, mit welchen Konsequenten der Redner rechnen muss, könne man aber noch nicht abschliessend benennen, meint Jessica Brandenburger.

Kurzkommentar

von Andrea Fopp

Ein gewählter Politiker beleidigt eine Grossrätin, und niemand reagiert. Das geht nicht. Auch dann nicht, wenn es sich beim Politiker um einen verurteilten Rechtsextremen handelt, dem man (zu Recht!) keine Plattform bieten will.

Warum nicht?

Weil es schwer genug ist, junge Frauen dazu zu motivieren, sich in der Öffentlichkeit politisch zu äussern und zu exponieren. Weil sie Angst vor genau dem haben, was Jessica Brandenburger (SP) passiert ist: Hass und Abwertung.

Dass Grossratspräsident David Jenny (FDP) die Beleidigung nicht gehört hat, ist Pech. Und dass Brandenburgers Parteikolleg*innen im ersten Moment gelähmt und unsicher waren, was zu tun sei, war sicher keine böse Absicht.

Aber es ist gut, dass jetzt Grossratspräsident David Jenny, Brandenburgers Parteikollege Thomas Gander und auch Parlamentarier wie Balz Herter (Mitte) oder Joël Thüring (SVP) die Beleidigung öffentlich verurteilen.

So signalisieren sie: Das geht nicht. Damit junge Politiker*innen wissen: Wenn der Hass kommt, sind sie nicht allein. Sie haben Support.

Warum hat sich kein*e Grossrät*in gegen die Aussage gewehrt?

Aber auch aus der SP reagierte niemand während der Grossratssitzung. Warum nicht? Anruf bei Fraktionspräsident Thomas Gander. Er sagt, im Moment der Situation sei schwierig zu beurteilen, was man reagieren solle. «Klar möchte man reagieren, aber gleichzeitig möchte man der beleidigenden Person nicht eine noch grössere Plattform bieten.» Im Nachhinein sei aber allen klar: «Wir hätten reagieren müssen.»

Mittlerweile hat Jessica Brandenburger allerdings viel Rückendeckung bekommen, etwa auf Twitter. SVP-Grossrat Joel Thüring etwa schrieb: «Das geht überhaupt nicht!», Nino Russano, Präsident der Juso Basel-Stadt ruft zu Solidarität mit Jessica Brandenburger auf und Balz Herter, Präsident der Mitte Basel-Stadt, versichert ihr, er werde das «unterirdische» Verhalten des Redners im Ratsbüro ansprechen.

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Valerie aka «Zeisi» hat als Praktikantin bei Bajour gestartet, dann ein Studium begonnen und arbeitet nun nebenbei als freie Journalistin bei der bz sowie bei Bajour als Briefing-Schreiberin. Sie ist während der Vorfasnachtszeit – laut ihr das ganze Jahr – schlecht erreichbar, ist aber ständig unterwegs.

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