«Flashbacks und negative Trips sind in der Therapie selten»
Der Forscher Matthias Liechti erklärt im Interview mit Bajour, wieso er in Psychedelika so viel Hoffnung für die Psychiatrie setzt. Und was die Hippies damit zu tun haben.
Matthias Liechti, in den vergangenen 40 Jahren sind nicht wirklich neue Medikamente gegen Depressionen auf den Markt gekommen. Die Wissenschaft arbeitet immer noch mit Antidepressiva, die die Ausschüttung von Serotonin, umgangssprachlich Glückshormon, im Gehirn erhöhen. Sie sagen, LSD könnte in der Psychiatrie die wichtigste Innovation sein, warum?
Ich würde es breiter sagen: Nicht nur LSD, sondern Psychedelika generell, also auch zum Beispiel Psilocybin, der Wirkstoff in sogenannten Magic Mushrooms.
Wieso setzen Sie in Psychedelika so viel Hoffnung?
Psychedelika wirken sehr schnell – man hat sofort einen antidepressiven Effekt, nicht erst nach einigen Wochen täglicher Einnahme wie bei Antidepressiva. Zudem ist der Effekt anhaltend über Wochen, wenn nicht sogar Monate. Die Wirkstärke der Psychedelika ist zudem vermutlich mindestens gleichstark wie bei klassischen Antidepressiva.
Warum geht es manchen Menschen mit Depressionen und auch Angststörungen besser, wenn sie Psychedelika nehmen?
Es gibt zwei generelle Erklärungsansätze. Der eine ist, dass es zu einer Neurogeneration oder auch Neuroplastizität kommt. Das heisst, dass es strukturelle Veränderungen, also mehr Verbindungen zwischen den Nervenzellen im Gehirn gibt.
Und warum wirkt das gegen Depressionen?
Weil gewisse psychische Erkrankungen eben eine verminderte Neuroregeneration mit sich bringen, weniger Kommunikationswege im Hirn.
Und was ist der zweite Erklärungsansatz?
Wir gehen davon aus, dass auch die subjektiven Erlebnisse während des Trips wie eine Art Selbsttherapie sind. Zum Beispiel, dass man seine Probleme betrachten kann, ohne sie abzuwehren und sich selbst akzeptiert. Es gibt einen hohen Zusammenhang zwischen der Intensität und Qualität des Erlebnisses und dem therapeutischen Erfolg mehrere Wochen später.
Die Hippie-Bewegung wurde vom damaligen Establishment unter anderem mit dem Verbot von LSD bekämpft.Matthias Liechti, Professor für Klinische Pharmakologie am Unispital Basel
LSD ist eine illegale Droge. Wie wurde da der therapeutische Effekt überhaupt entdeckt?
Es wurde als Medikament entwickelt und erforscht, bevor es zur Droge wurde. Seit den 1950ern wissen wir, dass LSD bei Angst und Depressionen als Erleichterung der Psychotherapie wirkt. So stand es auch im Beipackzettel von Delysid, wie Sandoz das Medikament ab 1949 angeboten hat. Das ist also überhaupt nichts Neues.
Was ist denn neu?
Dass wir heute in der Medikamentenforschung Standards haben, die durch eine Kontrollgruppe nachweisen können, dass LSD wirklich besser wirkt als ein Standardmedikament oder keine Behandlung. Erst wenn man das zeigen kann, lässt sich eine zukünftige Behandlung verantworten.
Sie gehen davon aus, dass LSD in drei bis vier Jahren als Arzneimittel zugelassen wird.
Aktuell werden sogenannte Phase-2-Studien mit rund 50 bis 100 Patienten durchgeführt. Als nächstes braucht es dann zwei Phase-3-Studien, bei denen etwa 300 Patienten behandelt werden. Diese werden zur Zeit geplant – aber dafür braucht es grosse Pharmafirmen, die das finanzieren, weil solche Studien sehr teuer sind. Dann dauert es ein bis drei Jahre, bis die Studien durchgeführt werden. Bis zur Beantragung von Zulassung, Herstellung und Vermartkung von LSD als Medikament kann es also je nach Finanzierung drei bis fünf Jahre dauern.
Was würde das bedeuten, wenn es eine Zulassung für LSD als Medikament gäbe? In der Schweiz gibt es ja bereits Therapien mit LSD.
Dafür müssen die Ärzte nun aber spezielle Ausnahmebewilligungen für jeden einzelnen Patienten beim Bundesamt für Gesundheit beantragen. Die Anträge sind umfangreich und müssen zeigen, dass keine anderen Therapieansätze funktioniert haben. Das dauert einige Wochen, bis das bewilligt ist.
Und mit Zulassung wäre das einfacher? LSD aus der Apotheke quasi.
Aus der Apotheke bekommt man LSD dann natürlich trotzdem nicht, das muss immer noch der Arzt beziehen. Aber ja, es gäbe keine Bewilligungspflicht mehr. Vermutlich würde es nach Zulassung auch eine Kassenpflichtigkeit geben, damit würde die Therapie für die Patienten günstiger.
Matthias Liechti ist Professor für Klinische Pharmakologie und Innere Medizin am Universitätsspital Basel. Mit seiner Psychopharmacology Research Group der Abteilungen für Biomedizin und Klinische Forschung, erforscht Matthias Liechti die Pharmakologie psychoaktiver Substanzen, sowohl in vitro als auch am Menschen.
Wie viel kostet das denn heute?
Eine Behandlung kann ohne Vergütung der Krankenkassen mehrere hundert bis mehrere tausend Franken kosten. Ausserdem gibt es bei einer Zulassung als Medikament eine Liefersicherheit, die wir heute nicht haben: Wir haben schon heute Nachschub- und Finanzierungsprobleme, weil eben keine grössere Pharmafirma LSD als Medikament herstellt.
LSD war in der Schweiz viele Jahre selbst für Forschungsanwendungen verboten. Lag das auch daran, dass die Substanz mit der Hippie-Bewegung in Verbindung gebracht wurde und diese vielen Leuten suspekt war?
Es stimmt, dass die Antikriegs- und Hippie-Bewegung in den 1960er Jahren vom damaligen Establishment unter anderem mit dem Verbot von LSD bekämpft wurde – Drogen wurden oft politisch instrumentalisiert, um eine Gruppe zu diskreditieren. Im Fall von LSD hat das die internationale Forschung durchaus zum Teil behindert.
Könnte die LSD-Forschung also weiter sein, wenn die Droge nicht von den Hippies entdeckt worden wäre?
Das Problem ist mehr, dass uns Studien fehlen, die methodologisch sauber nach heutigen Standards durchgeführt wurden – das hat mit Verboten nichts zu tun, sondern mit den weniger strengen Auflagen für Arzneimittelforschung vor 60 Jahren. Aber einen kleinen Einfluss hatte es sicher, dass die Droge wegen der Gegenbewegung kriminalisiert wurde. Dafür kamen auch sehr viele Leute mit dem Wirkstoff in Berührung – und daher wissen wir, dass er sicher ist.
Wobei LSD ja nicht ohne Risiken ist.
Jedes Medikament hat einen Nutzen und einen potenziellen Schaden. Aber: Praktisch alle Psychedelika sind körperlich nicht schädlich. Bei LSD ist auch die Dosis so gering, dass kein Organ belastet wird. Für ein Arzneimittel ist das ein riesiger Vorteil. Kopfschmerzen und Erbrechen sind leichte Nebenwirkungen. Wichtige, schwerere unerwünschte Wirkungen sind psychiatrischer Art: Angst unter der Wirkung ist häufig. Eine psychische Krankheit kann sich nach einem LSD-Erlebnis zudem auch verschlechtern, nicht alle Patienten zeigen eine Verbesserung.
Aber Personen mit Schizophrenie oder Bipolarität werden für die Forschung gar nicht erst zugelassen.
Heute vermuten wir, dass LSD bei Patienten mit Schizophrenie wegen der Realitätsveränderung, die auch bei der Krankheit eine Rolle spielt, nicht sinnvoll ist – aber auch das ist nicht sicher. Die Forschungseinschränkungen ist eine Vorsichtsmassnahme.
Wenn man die Substanz in einem kontrollierten Umfeld einnimmt, mit einem Therapeuten vorbesprechen und danach auch über das Erlebnis reden kann, ist das angenehmer und sicherer, als wenn man es selber macht.Matthias Liechti, Professor für Klinische Pharmakologie am Unispital Basel
Es gibt auch die Sorge, dass die LSD-Erfahrungen Schizophrenie auslösen können.
Rein statistisch gesehen ist das Risiko, eine Schizophrenie zu entwickeln, nicht höher bei LSD als in der restlichen Gesamtbevölkerung. In Populationsstudien aus den USA führte Psychedelika/LSD-Konsum nicht zu mehr psychiatrischen Krankheiten oder psychiatrischen Hospitalisierungen. Es ist sogar umgekehrt. Drogen sind mit psychiatrischen Krankheiten assoziiert, aber nicht die Psychedelika.
Trotzdem denken viele Menschen bei LSD an Horrortrips.
Wenn man die Substanz in einem kontrollierten Umfeld einnimmt, mit einem Therapeuten vorbesprechen und danach auch über das Erlebnis reden kann, ist das angenehmer und sicherer, als wenn man es selber macht. Flashbacks und negative Trips sind in der Therapie selten. Aber: Etwa eine von 20 Personen wird auch in einem sicheren Rahmen starke Angst haben, etwa ein Viertel erlebt zumindest phasenweise Angst. Doch Therapie ist ja auch sonst nicht nur schön und fun, sondern auch belastend. Wir wollen aber nicht, dass die Leute Angst haben – denn das trägt vermutlich nicht zum Therapieeffekt bei und ist belastend und kann mit der richtigen Dosierung vermindert werden.
In den vergangenen Jahren gab es auch einen Hype um die Mikrodosierung von LSD – also in so geringen Mengen, dass es zwar keinen Trip, aber einen kreativen Schub gibt. Spielt Microdosing auch in der Forschung eine Rolle?
Wir untersuchen derzeit in Basel Microdosing bei ADHS-Patienten. Eine erst kürzlich erschienene neuseeländische Studie hat erstmals zeigen können, dass die Einnahme von geringen Mengen LSD bei gesunden Personen am Behandlungstag zu einem subjektiv gesteigerten Wohlbefinden führen kann – allerdings nicht mehr am Folgetag, wenn man es nicht mehr genommen hat. Noch nicht untersucht wurde, wie sicher es ist, wenn man monate- oder jahrelang täglich oder alle paar Tage LSD in geringen Mengen einnimmt. Da braucht es noch sehr viel Forschung.
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