«Wir bereuen nichts»

Ein kleines Online-Medium in Bern berichtet einseitig über die Eskalationen im Nahen Osten, der Kanton kürzt ihm Gelder. Was ist los bei «baba news»?

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Albina Muhtari (rechts) und Merita Shabani leiten das Online-Magazin «baba news» (Archivbild). (Bild: Marion Bernet) (Bild: © marion bernet fotografie)
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Bei «baba news» laufen die Social-Media-Kanäle heiss. Ständig posten die Macherinnen Updates in die Instagram-Stories. Fast immer geht es um Solidarität mit Palästinenser*innen. «Wir wollen Kontext bieten und Aufklärungsarbeit leisten», sagen Chefredaktorin Albina Muhtari und ihre Stellvertreterin Merita Shabani.

Für journalistische Beiträge haben die Chefinnen des Online-Magazins «baba news», laut Eigenbezeichnung «für Schweizerinnen und Schweizer mit Wurzeln von überall», hingegen seit Wochen weniger Zeit. Stattdessen studieren Muhtari und Shabani Rechtstexte und schreiben Beschwerdebriefe.

Sie versuchen zu entwirren, was sich in den letzten Wochen zugetragen hat. Und verstehen dabei immer noch nicht genau, wie es dazu kommt, dass der Kanton Bern unverhältnismässig stark gegen «baba news» vorgeht.

Aber eines wissen sie: «Wir bereuen nichts», sagt Albina Muhtari.

Muhtari und Shabani sitzen in ihrem gemütlichen Einraumbüro im Industriegebiet am Zentweg am Rande der Stadt Bern. Viel Zeit haben sie nicht – und doch reden sie sich in diesen 90 Minuten ins Feuer. Ein Satz kommt dabei immer wieder vor: «Der Kanton Bern will uns mundtot machen», sagen sie. Es ist ein Satz, der in dieser Absolutheit stutzig macht.

Was ist da genau passiert? Warum ecken die Macherinnen eines Kleinstmediums so an? Und was hat die allgemeine Überforderung mit Stellungnahmen beim Thema Israel und Palästina damit zu tun?

Wie alles ins Rollen kam

Was bisher geschah: Am 17. Oktober veröffentlichten Shabani und Muhtari einen Podcast mit dem Titel «Bedingungslose Solidarität mit Israel widerspricht jeglichen demokratischen Grundsätzen». Darin reden sie über eine Stunde lang über die Situation in Palästina – ohne viele Worte über den terroristischen Überfall der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung am 7. Oktober zu verlieren.

«Unser Fokus war der Kontext, wir wollten die Situation der Palästinenser*innen sichtbar machen», sagt Albina Muhtari heute dazu. «Ausserdem finde ich es zynisch, dass ausgerechnet von uns als winziges Medium verlangt wird, in einem einzigen Beitrag alle Facetten des Konfliktes zu beleuchten.»

Zu diesem Zeitpunkt ist der Konsens bei vielen Meinungsmacher*innen klar: Man hat den beispiellosen Angriff der Hamas zu verurteilen. Ohne «Aber». Muhtari und Shabani halten sich nicht daran. Sie bringen – 10 Tage nach der Tötung von hunderten israelischer Zivilist*innen – das «Aber» ein. Verweisen auf die seit Jahren immer wieder eskalierende Situation im Nahen Osten.

Auch wenn ihr Beitrag einseitig war: Würde der Podcast heute produziert, gäbe es diesen Aufschrei wohl nicht mehr. Denn mittlerweile wird der Kontext wieder gemacht.

Wie es weiterging

«Baba news» fiel in der Folge mit Tweets auf, die anprangerten, dass die palästinensische Seite zu wenig angehört werde. Zunächst passierte nicht viel. Bis die Gratiszeitung 20 Minuten auf den Podcast aufmerksam wurde und Geldgeber von «baba news» mit dem umstrittenen Inhalt konfrontierte.

In dem 20-Minuten-Artikel vom 29. Oktober äusserten sich öffentliche Stellen wie das Staatssekretariat für Migration (SEM). Es forderte eine Stellungnahme von der Medienplattform. In einem weiteren Artikel vom 2. November berichteten Bund/BZ, dass der Kanton Bern seine Unterstützung für das kleine Medium einstelle.

So sistierte die Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion von Regierungsrat Pierre Alain Schnegg (SVP) ein noch laufendes Projekt und stoppte die Auszahlung der letzten Tranche. Zudem teilte der zuständige Mitarbeiter des Amts den Macherinnen von «baba news» in einer Mail, die der «Hauptstadt» vorliegt, mit, dass «allfällige zukünftige Gesuchseingaben nicht berücksichtigt» würden.

Es klingt wie eine Abkehr für immer, die erst noch weitergeht als der blosse Stopp finanzieller Unterstützung: Die Berner Berufsschule GIBB hat «baba news» kürzlich in einer Mail informiert, es gebe eine «Anweisung des Kantons Bern», dass es «bis auf weiteres» nicht mehr möglich sein werde, «baba news» Räume der GIBB zu vermieten. Die Mail liegt der «Hauptstadt» vor. In der Vergangenheit hat «baba news» dort eine Tagung und Workshops durchgeführt.

Kanton rudert zurück

Auf eine Anfrage der «Hauptstadt» nimmt die Direktion von Schnegg Abstand von der absoluten Formulierung. Es stehe «baba news» frei, Gesuche einzureichen, wird schriftlich mitgeteilt. Das Amt für Integration und Soziales entscheide dann abschliessend über Gesuche. Mit anderen Worten: Zuständig ist dieselbe Stelle, die «baba news» mitgeteilt hatte, dass «allfällige zukünftige Gesuchseingaben nicht berücksichtigt» würden. Ausserdem teilt der Kanton mit, es habe wiederholte Gesprächsangebote des Kantons gegeben, auf die «baba news» nicht eingegangen sei.

Bezüglich der Raumvermietung hält die zuständige Bildungs- und Kulturdirektion (BKD) lapidar fest: «Es gibt keine solche Weisung von Seiten BKD.» «Baba news» bestreitet das. «In der E-Mail, die wir von der GIBB erhalten haben, ist unmissverständlich von einer ‹Anweisung des Kantons› die Rede. Man hat uns vor vollendete Tatsachen gestellt», so Merita Shabani.

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Wichtig für «baba news» sind Antirassismus-Workshops, die sie in der ganzen Deutschschweiz anbieten. (Bild: Marion Bernet) (Bild: © marion bernet fotografie)

Zurück ins Büro von Muhtari und Shabani. Ein Vorwurf, der in Medienberichten und in Mails des Kantons geäussert worden ist, ist die «uninformierte, einseitige» Berichterstattung im Podcast. Doch diesen lassen die beiden Gründerinnen von «baba news» nicht gelten: «Wir brauchen keinen Nachhilfeunterricht», sagt Muhtari. Den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) habe man für eine Podcast-Folge eingeladen, was dieser höflich abgelehnt habe. Auf das vom SIG gleichzeitig angebotene Hintergrundgespräch hätten sie verzichtet. Ebenso hätte «baba news» schon früh dargestellt, dass es auch innerhalb der jüdischen Community verschiedene Standpunkte und Meinungen gebe.

SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner bestätigt den Sachverhalt: «Der SIG ist der Meinung, dass, wenn sich zwei Parteien so unterschiedlich gegenüberstehen, ein Dialog zuerst einmal ohne Mikrofon begonnen werden sollte. Baba news wurde deshalb ein of-the-record Gespräch zwischen den beiden Chefredaktorinnen und mir angeboten. Eine Antwort darauf haben wir jedoch nicht erhalten.»

Zuerst Vorzeigemedium

In den letzten Jahren war «baba news» erfolgsverwöhnt. Nicht unbedingt finanziell, denn da war es immer eng. Aber ideell: Viele, vor allem städtische und weltoffene Menschen finden es grundsätzlich gut, dass es ein Medium gibt, das diejenigen Bevölkerungskreise in den Mittelpunkt rückt, die sonst wenig oder gar nicht vorkommen: Migrantinnen und Migranten.

Dass nun ein einzelner Medienbeitrag so kontrovers diskutiert wird, empfindet Muhtari als doppeldeutig. «Als Migrant*in gilt man in der Schweiz nur als cool und integriert, solange man nicht aneckt. Äussert man Kritik oder stellt sogar Forderungen, wird gleich die Integration in Frage gestellt. Dabei machen gerade die Mitsprache und Mitgestaltung der Gesellschaft, und dazu gehört die Meinungsäusserungsfreiheit, das Fundament einer Demokratie aus.»

Mit Unterstützung aus der städtischen, kantonalen und gar nationalen Politik, können sich die Macherinnen seit einigen Jahren einen bescheidenen Lohn auszahlen. Bei der Unterstützung handelt es sich meistens um zeitlich begrenzte und auf einzelne Projekte beschränkte Finanzierungen.

Wichtig sind auch die Antirassismus-Workshops, für die «baba news» in Schulen in der ganzen Deutschschweiz gebucht wird. Denn nur darauf zu setzen, dass die Nutzer*innen für «baba news»-Inhalte zahlen, reicht nicht. Schlicht, weil Menschen höchstens zaghaft für Onlinemedien in die Tasche greifen. Etwa 880 Member, die einen Jahresbeitrag von 60 Franken zahlen, hatte «baba news» vor dem Eklat um den Podcast. Knapp die Hälfte davon hat laut Muhtari einen migrantischen Hintergrund.

Zulauf an Member

Und jetzt das: Seit einigen Wochen steigen und steigen die Member-Zahlen. Bereits sind es um die 1500. Während es vom Kanton eine Distanzierung gibt, erfahren Albina Muhtari und Merita Shabani von Gesellschaftsseite viel Zuspruch.

Wer sind denn diese neuen Menschen, die «baba news» gut finden? «Die Zusammensetzung ist immer noch gleich», sagt Albina Muhtari. Etwa die Hälfte habe eine Migrationsgeschichte, die andere Hälfte nicht. Was diese Menschen verbinde, sei folgendes: «Es ist ihnen wichtig, dass Medien unabhängig und kritisch berichten können, zum Beispiel, dass man Israel kritisieren darf, ohne gleich als Antisemit*in zu gelten.»

«Unabhängig und kritisch berichten» sind für Muhtari und Shabani die Hinweise auf die Unterdrückung der Palästinenser*innen seit 75 Jahren, das menschliche Leid, das sich in den letzten Wochen im Gazastreifen zeige. Und da haben die beiden eine klare Haltung: «Natürlich wird uns gesagt, wir sollen den Ball flach halten und uns anderen, unverfänglicheren Themen widmen», sagt Muhtari.

«Aber ich kann das nicht, wenn ich sehe, wie in der Öffentlichkeit die eine Seite trotz völkerrechtswidrigem Handeln bedingungslos unterstützt und die andere offen dehumanisiert wird.» Sie wolle gar keine Gräben zuschütten. Im Gegenteil: «Es gibt Dinge, wie die Tötung von Tausenden von Unschuldigen, bei denen eine gesellschaftliche Polarisierung das Mindeste ist. Alles andere ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft.»

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«Baba news» versteht sich als anwaltschaftliches Medium. (Bild: Marion Bernet) (Bild: © marion bernet fotografie)

In diesem Sinne verstehen sich die beiden als anwaltschaftliche Journalistinnen, als Journalistinnen, die sich dezidiert auf eine Seite stellen. «Wir sind für die Menschenrechte. Für die basic human rights, egal auf welcher Seite», sagt Shabani.

Tatsächlich hat «baba news» früher in diesem Jahr ein Tiktok-Video gepostet, das mit 1,4 Millionen Views viral ging: Es war ein Video mit einem fast 100-jährigen jüdischen Mann zum Gedenktag der Opfer des Holocaust. «Ein junger Nutzer hat darunter geschrieben: Möge ihm inshallah nur das Beste widerfahren!», erzählt Muhtari. «Und ich fand das toll, dass sich ein muslimisches Kiddie mit einem fast 100-jährigen jüdischen Mann identifizieren und empathisch zeigen kann.»

Und jetzt?

Und wie steht es denn um Shabanis und Muhtaris persönliche Haltung? Oder anders, wie beantworten die beiden die Gretchenfragen: Ist die Hamas eine Terrororganisation? Hat Israel eine Daseinsberechtigung? «Ja und ja», sagt Albina Muhtari. Und weil sie sich über die Frage nervt, setzt sie dann doch noch zu einer langen Antwort an.

«Ich finde es problematisch, dass diese Fragen als Beipackzettel für jede Diskussion mitgegeben werden müssen. Weshalb geht man davon aus, dass ich Terror gegen Zivilist*innen unterstützen würde? Und auch die floskelhafte Frage nach dem Existenzrecht Israels verhindert zielführende Diskussionen. Denn wenn wir über das Existenzrecht Israels sprechen, stellt sich unmittelbar die Frage, von welchen Grenzen wir hier reden.

Sind es die Grenzen von 1947? Sind es die Grenzen von 1967? Die Grenzen von 2023? Wenn wir hier nicht nachhaken, weil uns diese Frage schlichtweg egal ist, dann ist das sehr entlarvend, welcher Seite wir eine Existenz zugestehen und welcher Seite eben nicht. Denn im Falle der Palästinenser*innen stellt man die Frage nach der Daseinsberechtigung nie.»

Muhtari und Shabani haben zwei Beschwerdebriefe an den Kanton geschrieben, in denen sie eine bisher fehlende juristische Begründung und das rechtliche Gehör verlangen. Bezüglich der Medienberichterstattung haben sie beim Presserat wegen Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflichten Beschwerde erhoben. «Ich finde es recht bedenklich, dass wir selber jetzt die ganze Entwirrungsarbeit leisten müssen», sagt Shabani.

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