Klimabericht: Wir könnten 10 Millionen Menschenleben retten
Der Weltklimarat IPCC hat in Interlaken getagt und festgestellt: Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, um die Klimakrise zu bekämpfen. Sie sind sofort umsetzbar. Ihre positiven Nebenwirkungen sind fast zu schön, um wahr zu sein, findet Marie Tuil. Aber: Wir müssen endlich handeln.
Manchmal trau ich mich gar nicht, die Berichte vom Weltklimarat anzugucken. Vor den Dürren, Überschwemmungen und Toten würde ich am liebsten die Augen verschliessen. Auch wenn ich weiss, dass das nicht richtig ist.
Aber diesmal geht die Pressemitteilung richtig positiv los. «Wenn wir jetzt handeln, können wir noch eine lebenswerte, nachhaltige Zukunft für alle sichern.» Und: «Die Umsetzung wirksamer und gerechter Klimaschutzmassnahmen wird nicht nur die Verluste und Schäden für Natur und Menschen verringern, sondern auch weitere Vorteile mit sich bringen.»
Die Klimaforscher fordern grundlegende Änderungen in Bereichen wie Ernährung und Transport. Und allein die gesundheitlichen Nebenwirkungen klingen in meinen Ohren fast zu gut, um wahr zu sein: Locker mehr als 10 Millionen Menschenleben könnten wir retten – pro Jahr.
Zum Vergleich: Laut WHO sind an Corona weltweit insgesamt 6.9 Millionen Menschen gestorben.
Wie eine kostenlose Wunderpille
Wie ist das möglich? Beispiel Verkehr: Weniger Autofahren ist nicht nur für die Umwelt gut. Körperlich Aktive leben länger, sind geistig fitter, weniger pflegebedürftig, psychisch ausgeglichener und haben eine höhere Lebensqualität.
Diese Aufzählung kommt nicht von mir, sondern vom Bundesamt für Gesundheit. Klingt wie eine Wunderpille – eine kostenlose. Autofahren ist also ungesund. Und das natürlich nicht nur für die Person, die fährt.
Die WHO schätzt, dass Luftverschmutzung weltweit etwa sieben Millionen vorzeitige Todesfälle pro Jahr zur Folge hat. Der Weltklimarat sagt dazu: «Der wirtschaftliche Nutzen für die Gesundheit der Menschen, der sich allein aus der Verbesserung der Luftqualität ergibt, wäre ungefähr gleich gross oder möglicherweise sogar grösser als die Kosten für die Verringerung oder Vermeidung von Emissionen.»
Diese Emissionen kommen nicht nur aus dem Auspuff, sondern auch aus Schornsteinen. Heizungen oder Industrieanlagen: Ihre klimafreundliche Umstellung kostet also gerade mal so viel, wie wir an Krankheitskosten einsparen können. Wenn das mal keine gute Nachricht ist!
Kompromiss: Speiseplan anpassen
Wie sieht’s mit Ernährung aus? Schliesslich ist die Landwirtschaft für etwa ein Drittel der menschengemachten Treibhausgase verantwortlich.
Tatsächlich sind hier die Möglichkeiten, Krankheit, Tod und Leid zu verhindern, sogar noch grösser. Mit der Planetary Health Diet, einem wissenschaftlich fundierten Speiseplan, könnten wir – innerhalb der planetaren Grenzen – bis zu zehn Milliarden Menschen versorgen.
Und gleichzeitig weltweit elf Millionen vorzeitige Todesfälle verhindern. Pro Jahr!
Was wir in der Schweiz dafür deutlich weniger essen sollten: Fleisch und Milchprodukte. Wovon dafür viel mehr auf den Teller gehört: Pflanzen. So könnten wir Herzinfarkte, Krebsdiagnosen, Hirnkrankheiten und vieles mehr vermeiden.
Marie Tuil hat sich nach einem Abstecher in den Journalismus zur sozialen Serienunternehmerin entwickelt. Mit ihren Basler Startups Solarbalkon, Direct Coffee und Haferdrinkkonzentrat setzt sie sich für eine bessere Welt ein.
Klingt doch nach einem sinnvollen gesellschaftlichen Ziel, oder? Schade, dass der Bund die Produzent*innen von pflanzlichen Lebensmitteln gerade mal mit neun Millionen «Absatzförderung» unterstützt. Für die Fleisch- und Milchproduktewerbung gibt es dagegen satte 38 Millionen Subventionen aus Steuergeldern. Irgendwas läuft da falsch.
Eins macht der Weltklimarat sehr klar: Die Treibhausgasemissionen müssen ab sofort drastisch sinken. Schon in der letzten Dekade waren die Todesfälle durch Überschwemmungen, Dürren und Stürme in besonders gefährdeten Regionen 15 Mal höher.
Wir müssen endlich handeln.
Der Kampf gegen die Klimakrise hat keine Alternative. Aber er gibt uns auch eine einmalige Chance: Viel gesünder zu leben. Wir müssen sie nur ergreifen.
Dir auch? Jetzt Bajour-Member werden und unabhängigen Journalismus unterstützen.