«Chapeau!» für die Studierenden
In einem offenen Brief kritisieren Studierende der Universität Basel ihre Rektorin scharf. Der Historiker Giorgio Miescher vom Zentrum für Afrikastudien zeigt sich davon beeindruckt, denn der Brief stosse eine wichtige Debatte an – über Wissenschaftsfreiheit.
Zehn Tage nachdem die Uni Basel ihren internen Bericht zur Einhaltung wissenschaftlicher Standards im Fachbereich Urban Studies publiziert hat, wenden sich nun die Studierenden der Philosophisch-Historischen Fakultät selbst in einem offenen Brief an die Uni-Rektorin. Nach der Lesart der Studierenden hat Andrea Schenker-Wicki im Interview mit der Sonntagszeitung vom 28. Januar eine «einseitige und falsche» Definition des Postkolonialismus bestätigt, indem sie dem Autoren zustimmte, es handle sich dabei um eine «Ideologie, die die Welt in Täter (Weisse, der Westen) und Opfer (People of Color, der globale Süden) unterteilt» und keinerlei Grautöne zulasse. Von Seiten der Dozierenden der Universität gibt es derzeit keine vergleichbare öffentliche Stellungnahme. Der Historiker Giorgio Miescher hingegen vertritt gegenüber Bajour eine klare Meinung.
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Giorgio Miescher lehrte und forschte bis Ende Januar am Zentrum für Afrikastudien an der Universität Basel. Seit 2016 war er mit der Etablierung eines Forschungsschwerpunkts zu Namibian and Southern African Studies beauftragt. Zudem ist er Associated Researcher an der University of Namibia.
Giorgio Miescher, wie nehmen Sie den Brief der Studierenden wahr?
Ich finde ihn grossartig. Es ist entscheidend, dass sie damit gewisse Sachen richtig gestellt haben, zum Beispiel, dass Postcolonial Studies nicht einfach eine Ideologie ist, sondern ein Instrumentarium, um zentrale kritische Fragen zu stellen, wie: Was macht Kolonialismus mit den Leuten, Kolonisatoren und Kolonisierten? Wie sehr sind wir geprägt davon – in welcher historischen Rolle auch immer?
Im Brief ist Enttäuschung zu spüren.
Ich lese fast täglich in der NZZ ziemlich unfundierte Tiraden über alles, was den Titel Postcolonial Studies trägt. Wenn man als Studierender sieht, wie sorgfältig im Unterricht mit diesen Theorien umgegangen wird und dann von der Rektorin solche Pauschalaussagen kommen, finde ich das auch ein bisschen enttäuschend von einer Universität.
Auf Anfrage schreibt die Universität Basel, die Universitätsleitung sei in engem Austausch mit den Studierenden und sie habe ihnen ein Treffen im Januar vorgeschlagen. «Die Studierenden bevorzugten jedoch einen Termin zum Semesterbeginn Ende Februar», so Mediensprecher Matthias Geering. «Die Rektorin wird den Offenen Brief der Studierenden selbstverständlich beantworten und auf die eingebrachten Punkte eingehen.» Dieser Dialog finde aber «Uni-intern» statt.
Welche Reaktion hätten Sie sich denn von der Universitätsleitung gewünscht?
Mehr Zurückhaltung. Im von den Studierenden kritisierten Interview von Andrea Schenker-Wicki kommt es als Pauschalkritik am ganzen Themenbereich der Postcolonial Studies rüber. Wenn so eine öffentliche Attacke auf einen Fachbereich geritten wird, bräuchten insbesondere die Studierenden öffentliche Rückendeckung – von Dozierenden und von der Universitätsleitung.
Von den Dozierenden gibt es bis jetzt keine gemeinsame Stellungnahme.
Ja, das muss man immer gut ausdiskutieren und miteinander abstimmen, dafür habe ich Verständnis. Umso beeindruckender finde ich den Brief der Studierenden, die mit ihrem Namen hinstehen und sich wehren. Sie haben diese Arbeit geleistet.
Man könnte auch sagen: Die Studierenden preschen vor oder nicht?
Nein, ich fände es total falsch, so ein Engagement abzuwürgen. Sie stossen jetzt eine sehr wichtige Debatte an.
Und die wäre?
Eine über die Wissenschaftsfreiheit.
Es gibt Forscher*innen und Studierende, die Bajour gegenüber gesagt haben, diese sei jetzt in Gefahr und sie fühlten sich verunsichert.
Bei den Studierenden verstehe ich das. Ich persönlich muss aber sagen: Mich verunsichert es nicht.
Sie sind auch seit letzter Woche in Pension.
Ich wäre auch vorher nicht verunsichert gewesen. Mit öffentlichen Diskussionen ist zu rechnen und manchmal gibt es Gegenwind. Und dann muss man aus der eigenen Bubble rausgehen und darüber diskutieren.
So wie das jetzt mit den Urban Studies passiert ist?
Da ist die Debatte aus meiner Sicht massiv verengt worden. Generell gibt es in der Schweiz derzeit wenig Möglichkeiten einer konstruktiven und sorgfältigen Diskussion zu solch schwierigen Themen wie dem Konflikt in Palästina und Israel. Für eine Gesellschaft ist es wichtig, dass verschiedene Meinungen diskutiert werden. Und für die Uni auch. Alle sollten an so einer Diskussion teilhaben können. Offenbar hatte das Institut in diesem Fall aber keine Gelegenheit, direkt zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen.
«Für eine Gesellschaft ist es wichtig, dass verschiedene Meinungen diskutiert werden. Und für die Uni auch.»
Statt von einer konstruktiven Diskussion sprechen jetzt einige von einer Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit.
Sehr wahrscheinlich gehen wir jetzt in Basel wieder einmal durch eine Phase, in der wir die Wissenschaftsfreiheit verteidigen müssen. Diese gibt es nicht einfach so, die müssen wir uns immer wieder erarbeiten. Das ist auch nichts Neues.
Und wie geht es jetzt weiter?
Eine Gesellschaft kann eine Debatte nur führen, wenn Personen hinstehen und die eigene Meinung sagen. Dass die Jungen das jetzt vor uns Alten geschafft haben, dafür spreche ich ihnen meine Hochachtung aus. Chapeau!
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