Woher kommen die Klima-Fakten?
Der Weltklimarat hat den ersten Teil des sechsten Klimaberichts veröffentlicht. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, wie viel Einfluss die Politik auf dessen Inhalt nimmt.
Der aktuelle Klimabericht zeigt, was die Menschheit im Kampf gegen den Klimawandel zu tun hat – und wie viel Zeit ihr noch bleibt, um Gegenmassnahmen zu ergreifen. Der Frage, wie viel politische Akteure den Bericht des Weltklimarats beeinflussen, sind die Kolleg*innen von higgs nachgegangen.
- Die Berichte des Weltklimarats werden von Forschenden verfasst und dienen als Grundlage für politische Entscheide.
- Forschende und Regierungsvertreter kommentieren mehrere Entwürfe hinsichtlich Qualität und Vollständigkeit.
- Die Wissenschaft hat das letzte Wort. Sie kann gegen Einwände in der Plenarversammlung ihr Veto einlegen.
Für eine gute Klimapolitik braucht es robuste Fakten. Diese Fakten liefern die Berichte des Uno-Klimarats IPCC. Dieser wurde 1988 von der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) und dem Umweltprogramm der Uno (Unep) gegründet, um Regierungen verlässliche Entscheidungsgrundlagen zur Klimafrage zur Verfügung zu stellen. Der Rat setzt sich zusammen aus den Regierungen der 195 Mitgliedsländer, Forschenden aus der ganzen Welt und Beobachtern aus anderen internationalen Organisationen. Die Forschenden haben den Auftrag, regelmässig den aktuellen Stand des Wissens zum Klimawandel und seinen Folgen zusammenzutragen. Fünf Klimaberichte hat der Weltklimarat bisher veröffentlicht, der sechste kommt bald. Doch wie entsteht so ein Bericht eigentlich? Und wie gross ist der Einfluss der Politik?
Die vorläufigen Zahlen, die dazu an einem Medien-Hintergrundgespräch präsentiert werden, sind beeindruckend: Bereits sechs Jahre dauern die Arbeiten am ersten Band des 6. Sachstandsberichts, der am 9. August 2021 erscheinen soll. Dieser erste Teilbericht dreht sich um die physikalisch-wissenschaftlichen Grundlagen rund um den Klimawandel. Mehr als 14 000 wissenschaftliche Publikationen haben die Beteiligten hierfür begutachtet – ehrenamtlich, in ihrer Freizeit. Über 200 Forschende aus unterschiedlichsten Fachgebieten haben als Leitautoren daran geschrieben, mehr als 500 weitere haben einen Beitrag geleistet. Die Expertinnen und Experten stammen aus über 65 Ländern. Mehr als die Hälfte arbeitet zum ersten Mal an einem IPCC-Bericht mit.
Zehntausende Kommentare zu beantworten
Da der Bericht als Grundlage für politische Entscheide dient, folgt seine Entstehung einem strikten Prozedere, das streng kontrolliert wird. Dazu gehört auch die Qualitätskontrolle: Gutachter aus der Forschung und aus den Regierungen kommentieren die Entwürfe der Berichte und deren Zusammenfassungen. Alleine für den in Kürze erscheinenden ersten Band wurden fast 78 000 solcher Kommentare berücksichtigt – und schriftlich beantwortet. Wer will, kann sich alle davon ansehen, denn: Zusammen mit dem Bericht werden auch die Entwürfe, die Kommentare und die Antworten im Netz veröffentlicht.
Die Gutachter aus der Forschungscommunity prüfen, ob die Fakten korrekt sind, zeigen Wissenslücken auf und sorgen dafür, dass Kontroversen als solche im Bericht dargestellt werden. Das ist also quasi wie ein Peer-review bei einer wissenschaftlichen Studie – nur etwas strenger, weil noch mehr Personen als üblicherweise beteiligt sind.
Die üblichen Verdächtigen sind bekannt
Und die Regierungs-Gutachter? Bei ihnen handelt es sich nicht um Politiker, sondern ebenfalls um Spezialisten. In der Schweiz ist José Romero vom Bundesamt für Umwelt zuständig, den Entwurf innerhalb der Bundesverwaltung an möglichst viele relevante Departemente und Ämter weiterzuleiten. Ans Staatssekretariat für Wirtschaft, ans Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten, innerhalb des Bundesamts für Umwelt und so weiter. Die Aufgabe der Fachpersonen in den verschiedenen Departementen ist, zu prüfen, dass im Bericht keine politisch relevanten Elemente fehlen.
Es gehe dabei um fachliches Kommentieren, nicht um eine politische Steuerung, sagt José Romero. Er sagt aber auch: «Natürlich haben gewisse Regierungen ihre eigene Agenda». Man kenne die traditionellen Verdächtigen, fügt Romero an, ohne aber Namen nennen zu wollen. Spezifische Punkte aus Agenden entgegen den Fakten, die das IPCC zusammenträgt, zu platzieren, sei jedoch sehr schwierig. «Dass einzelne Regierungen den ganzen Prozess beeinflussen, ist unmöglich», meint Romero.
Wissenschaft ist das Primat
Lange um den Wortlaut der Zusammenfassung für Entscheidungsträger diskutiert wird vor allem in der Plenarversammlung, dem obersten Organ des IPCC. Fischlins Erfahrung ist: «Einwände von Regierungen führen mitunter dazu, dass Forschende die zugrundeliegenden Fakten noch besser belegen». Der Satz sei dann vielleicht etwas umformuliert, das Ergebnis für die Wissenschaft falle damit aber noch robuster aus. «Es gibt nur ganz wenige negative Ausnahmen», meint der Klimaforscher.
Ein Beispiel betrifft die sogenannten «Burning Embers»-Diagramme, die die Risiken des Klimawandels zusammenfassen. Seit 2001 gibt es diese Grafik in den Klimaberichten, beim vierten von 2007 aber fehlt sie. Dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush nahe Kreise hätten den Co-Vorsitzenden der betreffenden Arbeitsgruppe bearbeitet und gewünscht, die Grafik wegzulassen. Fischlin sieht dies als eine Art Selbstzensur aufgrund von Lobbying. Veröffentlich wurde die Grafik am Ende aber dennoch, und zwar im Fachmagazin PNAS. Grundsätzlich können die Forschenden aber das Veto einlegen, wenn Einwände wissenschaftlich keinen Sinn machen oder die wissenschaftlichen Ergebnisse verzerrten. Die Wissenschaft habe damit das entscheidende letzte Wort.
Dem pflichtet auch der emeritierte ETH-Professor für Systemökologie, Andreas Fischlin bei. Fischlin ist seit 1992 in verschiedenen Rollen beim IPCC tätig, zwei Mal war er koordinierender Leitautor. Aktuell ist er als Vizepräsident jener Arbeitsgruppe, die am zweiten Band des neusten Klimaberichts arbeitet, in der Leitung des Weltklimarats. Er sagt: «Der Einfluss der Politik ist nicht gleich Null, aber sehr geringfügig». Das Zusammenspiel von Regierungen und Wissenschaft, das Ringen um Formulierungen sei im Grossen und Ganzen positiv zu sehen.