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Wem gehört Basel?

Er ist der sozialste Vermieter Basels

Luxussanierungen, Massenkündigungen: Immobilienbesitzer*innen machen häufig schlechte Schlagzeilen. Es gibt aber Vermieter*innen, denen das Glück ihrer Mieter*innen ebenso wichtig ist wie die Rendite. So einer ist Jan Delpy.

03/15/21, 04:12 AM

Aktualisiert 03/19/21, 09:38 AM

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Jan Delpy mit Danilo, dem wahren Herrn des Hauses.

Jan Delpy mit Danilo, dem wahren Herrn des Hauses. (Foto: Romina Loliva)

Die Haltingerstrasse schlägt sich wie eine Schneise durch das Matthäus-Quartier. Die kleine Wohnoase kann im rauschenden Verkehr auf dem Riehenring leicht übersehen werden. Für die Bewohner*innen ist das eigentlich ein Glück. Die Häuser haben hier kleine Vorgärten, Velos, Trottinetts und Dreiräder sind ordentlich aufgereiht, bunte Fahnen flattern im Wind. Schön friedlich. So war es jedoch nicht immer.

Im Jahr 2000 hingen aus den Fenstern der Hausnummer 100 beschriftete Leintücher. Darauf stand: «Wir wollen hier wohnen bleiben!» Die Mieter*innen mussten sich Luft verschaffen und protestierten, denn das mit dem Bleiben, sah die ehemalige Eigentümerin anders.

Das 1912 erbaute Mehrfamilienhaus war stark sanierungsbedüftig und entsprach nicht mehr dem üblichen Standard: Toiletten im Treppenhaus, Blechduschkabinen, keine Balkone, winzige Zimmer. Die Besitzerin und ihre Verwaltung sahen für sich keinen lohnenden Ausweg und hatten die Abrissbirne schon bestellt. Die Stunde des Hauses schien geschlagen zu haben, als Jan Delpy auftauchte.

Die Rettungsaktion

Der Zufall will, dass der heute pensionierte Lehrer damals beschlossen hatte, gegen den Strom zu schwimmen. Anstatt seine 2. Säule weiterhin bei seiner Pensionskasse zu belassen, die damit höchstwahrscheinlich Immobilien gekauft hätte, liess er sich das Kapital auszahlen. Und anstatt sich damit ein Einfamilienhaus im Grünen zu leisten, hatte er sich in den Kopf gesetzt, eine Liegenschaft in der Stadt zu retten. «Mein Ziel war ganz klar, ein Abrisshaus zu kaufen», erzählt der 70-Jährige. 

Damals, als grosse Anleger*innen noch nicht so stark auf den Immobilienmarkt drängten, war der Kauf eines Mehrfamilienhauses für Leute aus dem Mittelstand, wie Delpy, erschwinglich, besonders dann, wenn das Objekt, wie die Nummer 100, nicht im besten Zustand war. Der Preis spielte für ihn durchaus eine Rolle, dennoch waren seine Beweggründe andere: Aktiv sein, etwas unternehmen, gestalten, bauen, ein Zuhause erschaffen – und mit einem kleinen aber entschiedenen Schritt der Bodenspekulation entgegentreten. «Ich fand die Pensionskasse schon immer eine Fehlkonstruktion und wollte mit meinem Ersparten etwas machen», erklärt er. Und sein Wunsch ging in Erfüllung. Er bekam den Zuschlag für das Haus.

Wir haben Vorurteile.

Zuerst stand jedoch ein Haufen Arbeit an. Jan Delpy krempelte die Ärmel hoch und fackelte nicht lange: «Der Architekt und ich standen fünf Minuten lang im Innenhof und schauten uns das Gebäude an, schon hatten wir das Konzept».

Die Renovation war umfangreich, Grundrisse wurden zusammengelegt, Bäder eingebaut, Küchen saniert, später wurde das Dachgeschoss aus- und Balkone angebaut. Dabei galt für Delpy die Prämisse: Gute Bausubstanz erhalten, kreative Lösungen suchen und bei der Qualität der Materialien nicht schmürzeln. «Damit bin ich gut gefahren», erzählt er, «und ich bereue es nicht.»

Die Philosophie

Fast zwanzig Jahre später sitzen wir auf seinem Balkon, im vierten Stock. Von hier aus kann man auf den Claraturm sehen: «Früher hatte ich freie Sicht», bemerkt Delpy und zieht die Augenbraue hoch. Der Frühling macht sich zum ersten Mal richtig bemerkbar, unten im Innenhof geht es schon geschäftig zu und her.

Gastgeber Delpy serviert dampfenden Kaffee und streichelt dazwischen seinen Hund Danilo, der etwas Mühe mit dem Besuch hat. «Ja, wenn du nicht die ganze Aufmerksamkeit bekommst, dann schimpfst du, ja», plaudert er mit dem Rüden. Danilo gibt sich zufrieden und kuschelt sich auf der Sitzbank neben Delpy. 

«Wir sind keine Wohngemeinschaft, aber eine Hausgemeinschaft.»

Vermieter Jan Delpy

Zur Runde gesellt sich auch Lena Tamini. Die 44-jährige Illustratorin bewohnt seit vier Jahren eine Ein-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss des Hauses. Sie ist eine der Mieter*innen, die an der Nummer 100 ihr persönliches Refugium gefunden haben. Ausser ihr wohnen hier eine weitere Einzelperson, eine Frauen-WG, ein Paar, und zwei Familien. Das Sagen haben jedoch ganz klar Danilo und die Katze Nera, die im Treppenhaus von ihrem Thron herab alles überblickt. Und angeblich läuft hier sogar ein Elefant herum.

Tamini weiss auch wo: «Oberhalb von mir, da wohnt er, der kleine Elefant», sagt sie und lacht. Delpy hat auch schon vom lauten Bewohner erfahren: «Ja, du hörst ihn recht gut, gäll», meint er zu Lena. Danilo jault zustimmend auf. An den Elefanten – ein Kind, das gerade die Gravitationsgesetze auf die Probe stellt – stört sich hier niemand. In anderen Häusern würde das vielleicht zu Diskussionen führen, hier gehört Lärm dazu.

Das Haus ist ringhörig, die alte Holztreppe knarzt bei jedem Tritt: «Deshalb Stunk zu machen, ist nicht mein Stil», sagt Delpy, lieber gehe er vorbei, wenn es irgendwo im Haus länger laut wird, «man kann doch über solche Dinge reden». Für ihn ist das eine Frage der Philosophie: Delpy ist ein Vermieter, der keine bösen Briefe schreibt, sondern seine Tür offen hat und seine Mieter*innen regelmässig zu sich einlädt. Zum Geburtstag oder zum Schwatz im Treppenhaus. «Wir sind keine Wohngemeinschaft, aber eine Hausgemeinschaft», meint Delpy, «so hatte ich das auch im Sinn».

«Ich könnte das Haus mit einem satten Gewinn verkaufen – aber wo sollen wir dann hin?»

Vermieter Jan Delpy

Das Haus, dass beim Kauf etwas über eine Million Franken gekostet hat, ist sein Zuhause aber auch seine Pension. Um den Umbau zu finanzieren, holte er seine 3. Säule von der Bank, die Mieteinnahmen sind neben der AHV sein Einkommen. Eine Kostenmiete könne er nicht anbieten, aber eine faire. Für ihn und für die Mieter*innen.

Das Bauchgefühl

Das bestätigt Lena Tamini. Ihre Wohnung kostet, alles inklusive, 700 Franken in Monat. «Für mich stimmt das», sagt sie, «ich bin selbständig und muss auf mein Budget achten». Bei der Nebenkostenabrechnung bekäme sie auch immer etwas zurück, «das passierte mir bei den früheren Vermietern nicht». Delpy sei sogar mit der Miete herunter, 40 Franken pro Monat, «das zählt sich schon zusammen», erzählt sie weiter.

Delpy wirft ein: «Es ist eigentlich verrückt, wie viel Geld man den Leuten mit den Nebenkosten rausziehen kann, ich verstehe es wirklich nicht.» In fast jeder Wohnung hat er einen Holzofen einbauen lassen, auf dem Dach sammeln Sonnenkollektoren Energie für das Warmwasser und die Heizung ist an der Fernwärme angeschlossen, «wir kommen mit bescheidenen Akontozahlungen bestens aus». 

Teure Verwaltungskosten spart sich Delpy. Er ist Vermieter, Hauswart, Handwerker und Nachbar in einem. Und seine Mieter*innen sucht er sich nach Bauchgefühl aus. Ein Betreibungsauszug? Nie verlangt. Referenzen? Nicht nötig. Verstehen müsse man sich, für alles andere gebe es eine Lösung: «Wenn jemand in Zahlungsschwierigkeiten kommt, sage ich: Komm zu mir, wir finden einen Weg.» Einen so guten Umgang mit dem Vermieter sei Gold wert, sagt Lena Tamini. «Hier ist mein Zuhause, vom ersten Tag an war das so», sagt sie. 

Für Jan Delpy ist es sein Lebenswerk. Und er lässt es sich nicht nehmen. «Ich bekomme oft Kaufangebote», die Vorschläge der Immobilienheinis, wie er sie nennt, seien finanziell durchaus interessant: «Ich könnte das Haus mit einem satten Gewinn verkaufen», meint er, «aber wo sollen wir dann hin?»

Für jetzt erstmals in den Park, Danilo möchte raus.

Aufruf

Ist dein*e Vermieter*in auch so sozial, imfall? 

Dann schreibe uns ein paar Zeilen und erkläre, was deine*n Hausbesitzer*in so besonders macht: 

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