Thüring gegen die rechte Welt

Erst spaltete die SVP die Gesellschaft, dann sich selbst. Was ist los im rechten Spektrum, wenn ein Hardliner wie Joël Thüring zur Stimme der Vernunft wird und sich dafür als «Faschist» bezeichnen lassen muss?

Thüring links
In der Krise überfordert? Corona spaltet die SVP. (Quelle: Keystone / zvg / Illustration: Bajour)

Joël Thüring teilt gerne aus für Basler Verhältnisse. Kaum ein lokaler Politiker schiesst in den sozialen Medien so scharf wie er. Im Moment steckt der laute SVP-Grossrat aber auch einiges ein: Von Leuten, die seiner Partei eigentlich nahe stehen: Massnahmengegner*innen. 

Thüring vertritt seit Beginn der Pandemie eine Corona-Politik, die konsequent quer zum mehr oder weniger lautstark mittreichelnden Teil der Schweizer SVP steht: für die Zertifikatspflicht, gegen Gratis-Tests, fürs Impfen sowieso. 

Und er steht bezüglich Zertifikat – fast – alleine da. Kürzlich wurde er dafür sogar als «Faschist» bezeichnet, zusammen mit zwei anderen SVP-Politiker*innen, die, zeichens ihres Regierungsamtes, ebenfalls vor vollen Intensivstationen warnen: Die SVP-Gesundheitsdirektor*innen Natalie Rickli (Zürich) und Alain Schnegg (Bern). 

Thüring konterte seinerseits mit einer Kritik. An Mitgliedern der eigenen Partei:

Solche Töne ist man sich nicht gewohnt. Normalerweise heisst es: Die SVP gegen den Rest. Wobei «Rest» abwechselnd für Ausländer*innen, Europa, Elite oder Gutmenschen steht. 

Jetzt tönt es mehr nach: Joël Thüring gegen rechts. 

Der Basler SVP-Hardliner verkörpert wie kaum ein Zweiter das Dilemma der Volkspartei, die in ihrer jahrelang kultivierten Staatsopposition zum Sammelbecken wissenschaftsfeindlicher Irrationalität zu werden droht. 

Corona hat die Schweizer SVP gespalten

Die Mehrheit der SVP ist gegen das Zertifikat. So unterstützt sie das Referendum gegen das Covid-Gesetz am 28. November, die Delegierten beschlossen die Parole mit 181 zu 23 Stimmen. 

Ausserdem suchen SVP-Aushängeschilder seit Monaten demonstrativ die Nähe zu Massnahmengegner*innen. Bundesrat Ueli Maurer und Christoph Blocher liessen sich mit einem Freiheitstrychler-Shirt ablichten. Der Aargauer Nationalrat Andreas Glarner hält es für angebracht, mit einer «Impfen-macht Frei»-Collage per Holocaust-verharmlosenden Sujet Stimmung gegen die Impfung zu machen. Und der Basler Grossrat David Trachsel – Präsident der jungen SVP Schweiz – spazierte letzten Samstag an der Corona-Demo mit, an der unter anderem antisemitische Schilder getragen und Kleber verteilt wurden. 

«Wahrscheinlich haben einige SVPler auch ein wenig Angst, dass rechts von uns eine neue Partei entsteht.»

Joël Thüring, SVP Basel-Stadt

Ewige Provokation, Hetze gegen sozial Schwache, Ausländer*innen und im Fall der Basler SVP – gegen rumänische Bettler*innen – gehören bei der SVP bekanntlich zum Programm und sind dadurch inzwischen bis in die einst staatstragende FDP hinein salonfähig geworden.

Doch zur aktuellen Corona-Politik geht Joël Thüring auf Distanz und grenzt sich – im Gegensatz zu fast allen SVPler*innen – öffentlich ab von der Melange aus wissenschaftsfeindilichen Zertifikats- oder Impfgegner*innen, die im Zuge der Pandemie zueinander gefunden haben: «Ich glaube nicht, dass wir als SVP gewinnen, wenn wir uns mit Leuten ins Bett legen, die sonst mit unserer Politik wenig gemein haben.» 

Thüring hat einen Verdacht: «Wahrscheinlich haben einige SVPler auch ein wenig Angst, dass aufgrund Corona rechts von uns eine neue Partei entsteht und versuchen sich dort beliebt zu machen.»

«Die Verfassungsfreunde kommen aus unterschiedlichen politischen Richtungen. Teilweise stehen sie rechts, teilweise links von der SVP.»

Michael Hermann, Politgeograf

Tatsächlich haben die Coronakritiker*innen der so genannten «Freunde der Verfassung» im Sommer angekündigt, eventuell Ende Oktober eine eigene Partei zu gründen. Massnahmenkritische Bewegungen wie auch «Mass-Voll», «Aktionsbündnis der Urkantone» oder «Netzwerk Impfentscheid» vermögen staatskritische Schweizer*innen zu mobilisieren. Davon will die SVP profitieren. Sie hat es nötig: Die üblichen Kassenschlager der SVP, Migration und EU, sind gerade nicht en vogue: Der Einwanderungssaldo ist zurückgegangen und das Rahmenabkommen dank der SVP gebodigt.

Trachsel hat abgefärbt

Bleibt noch Corona. Die Strategie scheint aufzugehen, aber nur so halb: Zwar verzeichnet die Partei deshalb Parteieintritte von Corona-Gegner*innen, wie das «SRF» berichtete. «Das gilt auch für die Basler Sektion», sagt Thüring. Zwar hat sich die lokale SVP eigentlich nicht gross als Trychler-Versteherin exponiert. Aber die Politik der SVP-Coronagegner*innen national und von Grossrat Trachsel hat vielleicht abgefärbt. 

Aber: Der Flirt mit Impf- oder Zertifikats-Ängsten kommt bei der bodenständigen SVP-Basis nicht nur gut an. Es gibt wegen der Coronapolitik auch Austritte, national wie regional. Thüring sorgt sich deshalb: «Wie nachhaltig ist es, Massnahmengegner*innen anzuziehen und langjährige Mitglieder zu vergraulen? Sind die neuen Mitglieder wirklich auf SVP-Linie? Was machen sie nach der Krise, unterstützen sie dann die SVP immer noch?»

Michael Hermann
Michael Hermann analysiert die Schweiz. Er ist Geschäftsführer des Meinunfsforschungsinstituts Sotomo. (Quelle: Keystone)

Diese Frage ist berechtigt. Denn obwohl an den Corona-Demos immer wieder Menschen mit rechtsextremen bis offen nationalsozialistischem Gedankengut auftreten, sind längst nicht alle Massnahmenkritiker*innen rechts. So sagt Politgeograf Michael Hermann: «Die Verfassungsfreunde kommen aus unterschiedlichen politischen Richtungen. Teilweise stehen sie rechts, teilweise links von der SVP.» Im Moment vereint die Stimmung gegen «die da oben», die «Classe Politique», die Wissenschaft, die Elite, den Staat über politische Grundeinstellungen hinweg. Aber was bleibt der SVP davon nach Corona?

Bei den kommunalen Wahlen vom September im Aargau – SVP Hochburg und Heimat von Impfgegner und Städterinnenverachter Glarner –, verlor die Partei an Wähler*innen. Die SVP ist strategisch plötzlich in der Defensive. 

«Ehe für alle» übertrumpft SVP

Ob das Aargauer SVP-Debakel mit der Umarmung der Coronaskeptiker*innen oder mit der Stimmungsmache gegen die Städte zusammenhängt, ist aber nicht so klar: «Man kann das nicht verallgemeinern», sagt Politgeograf Hermann. Die kommunalen Wahlen fanden am selben Sonntag statt, wie die nationale Abstimmung über die «Ehe für alle» und die 99-Prozent-Initiative. «Das hat die Linken an die Urne gebracht», ist Hermann überzeugt. Im Gegensatz zum Juni, als die Schweiz über das CO2-Gesetz abstimmte: Das wiederum mobilisierte die Auto fahrenden Bürgerlichen vom Land. 

«Leute, die nicht an die Pandemie glauben, kann ich nicht ernst nehmen.»

Joël Thüring, SVP Basel-Stadt

Der Basler Thüring ist als SVP-Städter eher ein Exot: «Ich fahre ab und an Velo, habe kein Auto, meine Freunde stehen eher links von mir.» Sie alle würden im städtischen Umfeld wohnen und seien durchaus offen für die SVP, aber: «Niemand findet ihre Corona-Politik richtig.» Er kenne auch SVP-Politiker*innen in ländlicheren Kantonen, welche das Corona-Zertifikat unterstützten. «Sie trauen es sich einfach nicht, so laut zu sagen.» 

Wegen den ausgesprochenen Drohungen auf Social Media, unter anderem. Trotzdem sagt Thüring weiter seine Meinung: «Ich glaube, mit den Corona-Massnahmen besiegen wir die Pandemie am schnellsten. Und Leute, die nicht an die Pandemie glauben, kann ich nicht ernst nehmen.»

Wie tief der Riss und die Distanz zu den Parteistrateg*innen inzwischen ist, der durch die SVP geht, ist noch schwer abzuschätzen. In Basel ist Thüring nicht alleine. Demi Hablützel, im Vorstand der Jungen SVP Basel-Stadt, twitterte nach der Corona-Demo letztes Wochenende: «Ich lehne jegliches antisemitische Gedankengut ab und distanziere mich entschieden von jeder entsprechenden Gesinnung! (...).»

File

Und Pascal Messerli, Fraktionschef der SVP im Grossen Rat, schrieb dazu: «Word».

Trachsel selbst sagte zu «20 Minuten» zu seiner Teilnahme an der Demo: ​​«Ich wollte ein Zeichen gegen die Massnahmen des Bundesrats setzen.» Das Zertifikat richte durch Umsatzeinbussen in einigen Branchen grossen Schaden an, mehr als es nütze. Kinder- und Jugendpsychiatrien seien überfüllt. Zu antisemitischen Symbolen sagte er: «Leider hat es immer wieder vereinzelte Spinner, und das ist sehr schade.» 

Will man überhaupt noch Mitglied einer Partei sein, die sich während der grössten Krise der Schweiz seit langem in Grabenkämpfe zwischen Coronaleugner*innen und Zertifikatsbefürworter*innen verliert und einige Exponent*innen sogar an Demos mit antisemitischen Plakaten mitlaufen? 

Thüring will: Er wiederholt dann, was viele gemässigte SVPler*innen sagen, wenn man sie auf die Coronagräben in ihren Reihen anspricht: «Corona steht nicht im Parteiprogramm der SVP.» Nur: Der Umgang mit dem Virus wird die SVP vermutlich noch sehr lange beschäftigen.

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