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Sounds zum Träumen

Anna unleashed

Die Basler Musikerin Anna Aaron hat mit Bernard Trontin von The Young Gods ein Album veröffentlicht. Es ist kaum radiotauglich – aber vielleicht das Wichtigste, das sie je aufgenommen hat.

05/14/21, 04:00 AM

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Anna Aaron und Bernard Trontin haben zusammen das Album «Moonwaves» aufgenommen

Musikalische Seelenverwandte: Bernard Trontin und Anna Aaron. (Foto: Colette Meyer)

Sie war ein Lichtblick in dem von der Pandemie verdunkelten Basler Konzertjahr 2020. Anna Aaron performte auf der improvisierten Bajour-Bühne zwischen einem Kaktus und ihrem Zarenbourg E-Piano für Gärngschee-Kultur. Und am nächsten Tag schrieb Bajour-Naomi voller Begeisterung, das Konzert sei «wie ein einziger riesiger wundervoller Group Hug» gewesen.

Das war im April 2020, und Anna Aaron hoffte damals mit vorsichtigem Optimismus, den Corona-Ausnahmezustand bald wieder hinter sich lassen zu können. Der Lockdown, erzählte sie, habe ihre Arbeit nicht gross beschnitten. Denn sie sei während der letzten Wochen sowieso in ihrem Studio eingebunkert gewesen.

Ein Teil von dem, was damals im Studio entstand, gibt es nun, ein knappes Jahr später, auf ihrem neuen Album «Moonwaves» zu hören. Es ist, erster Eindruck, kein typisches Anna-Aaron-Album. Die 36-jährige Musikerin singt darauf zum Beispiel kein einziges Wort, ihre Stimme ist stattdessen bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Denn «Moonwaves» ist kein Pop-, sondern ein Ambientalbum.

Geisterhaft betörend – so klingt «Moonwaves»:

Heisst im Klartext: keine Lyrics, kaum Melodie. Dafür viel Stimmung und Atmosphäre. Das mag nicht besonders radiotauglich sein. Ist aber, was Anna Aarons musikalische Entwicklung betrifft, vielleicht das wichtigste Album, das sie bislang aufgenommen hat.

Aaron hat «Moonwaves» zusammen mit Bernard Trontin eingespielt, dem Schlagzeuger der legendären Westschweizer Band The Young Gods. Die beiden kennen sich seit Aarons Zeit beim Lausanner Label Two Gentlemen, bei dem die Baslerin 2009 ihren ersten Plattenvertrag unterschrieb und bei dem auch The Young Gods unter Vertrag standen.

Wer die Musik der beiden kennt, kann definitiv Schnittstellen ausmachen. Hier Basels Elektro-Queen, dort die Post-Industrial-Giganten aus Fribourg.

Ein wortloser Austausch

Eine Zusammenarbeit war irgendwann nur noch einen kleinen Schritt entfernt, erzählt uns Anna Aaron, als wir sie an einem windigen Vormittag auf der Terrasse eines Kleinbasler Cafés zum Gespräch treffen. «Als der Lockdown kam, hatte Bernard plötzlich Zeit. Dann ging alles schnell.»

Aaron schickte Trontin ein paar «Skizzen» – unfertige Songs –, die dieser sogleich weiter bearbeitete und an sie zurückschickte. So ging das mehrere Wochen hin und her, und zwar kommentarlos. «Wir haben schon miteinander geredet. Einfach nicht über die Musik.»

Wir staunen nicht schlecht. Kann eine derart offene Zusammenarbeit zu einem Ziel führen? Wie weiss man zum Beispiel, wann ein Track fertig ist? «Gute Frage», sagt Anna Aaron und lacht. Bei Ambient müsse man vor allem aufpassen, dass man nicht zu viel macht. «Diese Grundeinstellung hilft. Das Wissen, dass eine Stelle auch leer bleiben kann. Dass ich noch viele Layers machen könnte, mich aber zurückhalte.»

Ein Akt der Befreiung

Ambient ist für Anna Aaron weit mehr als ein musikalisches Experiment, es ist ein Akt der Befreiung: «Als Popmusikerin suchst du immer automatisch nach der Melodie, nach dem Hook, auch unbewusst. Ich hatte das grosse Bedürfnis, aus diesen Strukturen auszubrechen.» Zu diesem Zweck hat Aaron 2019 gar ein eigenes Label gegründet, Bambient, «weil ich einen Ort für diese Musik brauchte.»

Denn seit Musik auf Plattformen wie Spotify konsumiert wird, fühlt sich Anna Aaron als Popmusikern zunehmend eingeschränkt. «Wenn du heute ein Pop-Album macht, muss immer alles sofort da sein, in den ersten fünf Sekunden. Sich mal sieben Minuten Zeit zu lassen, damit sich ein Lied entwickeln kann, geht nicht mehr.»

«Als Popmusikerin suchst du immer nach der Melodie, nach dem Hook. Ich hatte das grosse Bedürfnis, aus diesen Strukturen auszubrechen.»

Anna Aaron, Musikerin

Anders auf «Moonwaves». Da dauern Tracks schon mal 8 bis 10 Minuten, in denen ganz langsam ganz viel passiert. Es sind Sounds zum Verweilen, Sounds ohne instant gratification. Geisterhaft betörende Klänge, zu denen man am liebsten Kopfhörer aufsetzt, alle Fensterläden schliesst und unter die Bettdecke kriecht.

Das kommt offenbar unterschiedlich gut an. Als Anna Aaron die Albumveröffentlichung auf Facebook verkündet, schreibt sie dazu: «New pop music is also coming, don’t worry.»

Warum hatte sie das Gefühl, ihre Fans im Voraus besänftigen zu müssen? «Da sind durchaus Leute auf mich zugekommen und haben infrage gestellt, wie schlau dieser musikalische Richtungswechsel ist», sagt Aaron. Das bemerke sie vor allem in der deutschsprachigen Schweiz. «In der Romandie sagen alle: Das bist immer noch du, das ist dein Spirit. Aber in der Deutschschweiz ist das schwieriger, da wollen alle wissen: Was bist du jetzt eigentlich genau?» 

Anna Aaron findet dieses Bedürfnis, Dinge exakt zu beschriften, problematisch. «Denn sobald etwas beschriftet ist, glaubt man, ein Recht darauf zu haben, genau das zu erhalten, was dort angeschrieben steht. Eine Beschriftung ist wie ein Versprechen, das du einlösen musst.»

Ein unstillbarer Wille

Anna Aaron kennt sich aus mit Beschriftungen. Einst wurde sie als die «neue Sophie Hunger» bezeichnet, auch davon musste sie sich befreien. Heute sagt sie: «Wenn du dich zu lange mit deinem eigenen Image beschäftigst, drehst du durch.» Ihr Rezept gegen solche Störfeuer ist simpel: «Ich merke immer wieder, dass ich einfach zu meiner Arbeit zurückkommen muss.»

Und das tut sie. Anna Aaron ist aktuell wieder im Studio und arbeitet bereits an ihrem nächsten Album, von dem sie sagt, dass es bald fertig sei: «Wir beginnen bald mit dem Mischen. Vielleicht kann ich dieses Jahr noch eine Single veröffentlichen.»

Ein paar dieser neuen Songs gab Anna Aaron während ihres Bajour-Konzerts zum Besten:

Und auch wenn dieses neue Album wieder mehr in Richtung Pop geht, hat die Erfahrung mit «Moonwaves» bereits tiefe Spuren hinterlassen. «Ich habe gelernt, Vertrauen zu haben», sagt Anna Aaron, «Vertrauen in meine eigene Musik – denn ohne Vertrauen hätte dieser wortlose Austausch mit Bernard Trontin nicht funktioniert.»

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