«Dieses Buch ist noch nicht fertig geschrieben»
Zora del Buono wird für «Seinetwegen» mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet. In ihrem Roman spürt sie dem Tod ihres Vaters nach, der beim Autounfall ums Leben gekommen ist. Die Zürcher Autorin plädiert für Offenheit und dafür, auch mit vermeintlichen Feind*innen zu reden.
Zora del Buono, herzlichen Glückwunsch zum Schweizer Buchpreis. Wie geht es Ihnen mit dieser Auszeichnung?
Ich muss das alles erst einmal etwas sacken lassen. Es geht mir jetzt schon viel besser als eine halbe Stunde nach der Preisverleihung und noch besser als am Sonntagmorgen. Denn die Anspannung und Nervosität waren doch gross. Die Freude ist da, aber nicht nur Freude. Wir waren fünf Nominierte und viel zusammen. Und jetzt hat eine von uns gewonnen und die anderen vier nicht. Das ist auch ein bisschen traurig. Die Auszeichnung ist aber eine sehr schöne Bestätigung, dass ein so kleines Buch, das dünn und persönlich ist, doch auf ein grösseres Interesse stösst. Es geht im Roman ja nicht nur um mich, sondern auch um universelle Themen.
Die Autorin Zora del Buono wurde 1962 in Zürich geboren. Sie studierte Architektur an der ETH Zürich und der Hochschule der Künste Berlin. 1996 war sie Gründungsmitglied von «mare - die Zeitschrift der Meere» und von 2001-2008 Stellvertretende Chefredakteurin. 2008 erschien ihr erster Roman «Canitz' Verlangen». Sie ist heute mare-Interimsredakteurin, Dozentin in den USA und der Schweiz, Autorin von Romanen und Reisebüchern.
Warum haben Sie das Buch über den Tod Ihres Vaters erst jetzt geschrieben und nicht schon früher?
Das ist eine gute Frage. Davor habe ich das Buch «Die Marschallin» geschrieben, in dem es um meine Grossmutter ging. Da kam die Geschichte mit meinem Vater kurz vor. Hinzu kommt, dass meine Mutter demenzkrank geworden ist, sodass ich mit ihr nicht mehr über meinen Vater reden kann. Ich habe plötzlich gedacht: Mensch, das ist ja Wahnsinn, vielleicht lebt der Mann noch, der meinen Vater damals umgefahren hat.
Haben Sie mit Ihrer Mutter über den Unfall gesprochen? Sie waren erst acht Monate alt, als Ihr Vater starb.
Nein, ich habe kaum mit ihr darüber gesprochen.
Warum nicht?
Ich konnte ihren Schmerz nicht ertragen. Als Kind versucht man immer, die eigenen Eltern zu schonen. Es war mein Wunsch, dass meine Mama glücklich ist. Daher habe ich nicht mit ihr geredet und jetzt kann ich es nicht mehr tun. Das ist schon wahnsinnig traurig. Deswegen hat es vielleicht diese Neugier danach gegeben, was eigentlich genau geschehen ist.
«Ich habe viel erfahren und nun müsste ich zu meinem Vater eigentlich noch ein Buch schreiben.»Zora del Buono
Was hat die Recherche mit Ihnen gemacht?
Das Gute war, dass ich gemerkt habe, dass der Unfall den Mann, der für den Tod meines Vaters verantwortlich war, schon betroffen gemacht hat. Er hat das nicht einfach weggesteckt und ist weiter gerast.
Er war ein Raser, oder?
Ja, genau. Aber nach dem Unfall nicht mehr. Er war nicht einmal mehr ein Autofahrer. Das sind Dinge, die ich schon enorm fand. Ich habe viel erfahren und nun müsste ich zu meinem Vater eigentlich noch ein Buch schreiben.
Haben Sie Neues über Ihren Vater erfahren?
Ja, und nachdem das Buch erschienen war, haben sich Leute gemeldet, die ihn kannten. Zum Beispiel auch die Krankenschwester, die ihn die letzten fünf Tage vor seinem Tod gepflegt hat. All solche Dinge passieren jetzt noch und das ist natürlich auch sehr bewegend.
Das Buch öffnet Ihnen also neue Türen.
Ja, erstaunlicherweise. Dieses Buch ist nicht fertig geschrieben. Da könnte ich gut ein Postscriptum anhängen. Das habe ich zuvor mit keinem anderen Buch erlebt.
Der Schweizer Buchpreis wird seit 2008 jedes Jahr im Rahmen des Literaturfestivals «Buch Basel» verliehen. Ziel ist es, «das beste erzählerische oder essayistische deutschsprachige Werk der Schweiz» zu ehren. Der Preis ist mit insgesamt 42'000 Franken dotiert. 30'000 davon gehen in diesem Jahr an Zora del Buono, die weiteren Nominierten erhalten je 3’000 Franken. Das sind: Mariann Bühler mit «Verschiebung im Gestein», Martin R. Dean mit «Tabak und Schokolade», Béla Rothenbühler mit «Polifon Pervers» und Michelle Steinbeck mit «Favorita».
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass es wichtig ist, auch zu Menschen in Beziehung zu treten, mit denen man nicht einer Meinung ist. Warum erachten Sie das für wichtig?
Die Politik auf der ganzen Welt macht jetzt das Gegenteil. Und das Einzige, das wir tun können, ist, dass wir auch mit denen reden, von denen wir denken, sie sind unsere Feinde. Das habe ich von meiner Grossmutter gelernt, die eine Kommunistin war. Eine rasende und reiche Kommunistin, was ja an sich schon absurd ist. Sie hatte aber auch Freunde aus rechten Parteien, weil sie grosse Lust hatte, mit ihnen zu diskutieren. Das ist etwas, das auch heute ganz gut täte.
Der Roman liefert auch viele Fakten über das Autofahren. Sie schreiben darin, dass jährlich mehr Menschen bei Autounfällen ums Leben kommen als in Kriegen.
Das stimmt, aber wir müssen jetzt schauen, wie es mit den Kriegen so weitergeht … In Deutschland sterben acht Menschen pro Tag auf den Strassen und 145 sind schwerverletzt. Heute wieder und gestern und morgen auch. Für all die Betroffenen und die Menschen um sie herum ändert sich innerhalb von Sekunden alles. Weil es Rowdytum und Unachtsamkeit gibt.
«Ich möchte daran appellieren, dass die Leute aufeinander aufpassen.»Zora del Buono
Haben Sie ein Buch gegen das Autofahren geschrieben? Das Auto ist so ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft, das können wir nicht einfach wegtun. Aber ich möchte schon daran appellieren, dass die Leute aufeinander aufpassen. Ich bin eine von denen, die immer rechts fährt auf der Autobahn. Ich frage mich: Warum muss man so schnell fahren und sich und andere in Gefahr bringen?
Was möchten Sie Ihren Schweizer Leser*innen gerne mit auf den Weg geben?
Ich bin aufgrund der Recherche zum Ort des Autounfalls gegangen, in eine Gegend, die ich gar nicht gut kannte. Ich habe das Glarnerland lieb gewonnen. Das war für mich eine wichtige Erfahrung. Sonst geht man immer an dieselben Orte, die man schon kennt. Ich war im Glarnerland und habe gedacht, dieses Land ist so reich an Landschaften und an Menschen. Ich bin zum Beispiel auf die Geschichte des Glarners Heinrich Hössli gestossen, der bereits vor fast 200 Jahren für die Rechte der Homosexuellen eintrat. Er hat die früheste Verteidigung der Homosexualität verfasst, die es seit den Griechen in schriftlicher Form gegeben hat. Ein Glarner, ich meine, wie toll ist das denn. Für solche Geschichten muss man an andere Orte gehen und recherchieren. Dazu möchte ich meine Leserinnen und Leser ermuntern.