All eyes on Züri

Die Bewohner*innen von Zürich sollen eine City Card erhalten. Insbesondere Menschen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus würden davon profitieren. In Basel hat die Juso reagiert und fordert eine Basel-City Card.

Demonstranten fordern eine kollektive Regularisierung fuer alle Sans-Papiers vor dem Rathaus in Basel am Mittwoch, 14. November 2018. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Rechte für Sans-Papiers sind auch in Basel immer wieder Thema – hier bei einer Kundgebung im November 2018.

Update: Am 17. Mai haben die Juso Basel-Stadt bekannt gegeben, dass sie zusammen mit verschiedenen Partnerorganisationen eine kantonale Initiative zur Einführung einer City Card in Basel-Stadt lancieren wollen. «Die City Card bietet eine sinnvolle, menschliche und machbare konkrete Verbesserung im Leben von Sans-Papiers mit viel Potenzial für unser gesellschaftliches Zusammenleben», ist Freija Geniale, Vizepräsidentin der JUSO Basel-Stadt, überzeugt.

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In Zürich können Sans-Papiers neuerdings ein Bankkonto einrichten, ein Päckli von der Post abholen oder das Kind in die Kita anmelden. Gestern hat die Limmatstadt  mit einer hauchdünnen Mehrheit (51,7 Prozent) der Züri City Card den Weg geebnet.

Die Stimmberechtigten haben den Rahmenkredit von 3,2 Millionen Franken genehmigt, mit welchem die Vorbereitungsarbeiten zur Einführung eines solchen Stadtausweises finanziert werden sollen. Dieses Dokument schliesslich soll Einwohner*innen der Stadt unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus einen vereinfachten und teils vergünstigten Zugang zu Informationen, Dienstleistungen oder kulturellen Angeboten bieten. 

Kein politischer Auftrag

Ling, die im richtigen Leben anders heisst, ihren Namen aber nicht online lesen möchte, fände eine City Card auch in Basel «sehr toll». Aber noch lieber hätte sie, die seit vielen Jahren illegal hier wohnt, einen geregelten Aufenthaltsstatus. 

Auf eben dieses Thema haben auch Basler Aktivist*innen gesetzt. Katharina Boerlin von der Basler Anlaufstelle für Sans-Papiers sagt: «Wir haben gemeinsam mit den Papierlosen entschieden, uns auf die Strategie der liberalen Härtefallpraxis zu konzentrieren» – angelehnt an das Genfer Modell, wo dank der Operation Papyrus hunderte Sans-Papiers regularisiert wurden

Diese Regularisierungen nach bestimmten Kriterien seien für die Papierlosen wertvoll, sie ermöglichten ihnen einen geklärten Status und faire Löhne. «Das ist unsere Priorität», sagt Boerlin. Natürlich aber fände sie es «auch super», wenn es eine City Card gäbe. Wichtig dabei sei, dass diese von den Behörden auch wirklich akzeptiert werde. 

«Die Einführung einer City Card würde mich sehr freuen. Es ist aber wichtig, dass die Karte einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt.»

von Ling* (Name geändert), Sans-Papiers in Basel

Auch Ling sagt, eine City Card bräuchte einen gewissen Bekanntheitsgrad, sonst bringe ihr das Dokument am Ende nichts – ausser ein paar komische Blicke, die sie ohnehin tunlichst zu vermeiden versucht. Sans-Papiers leben in permanenter Angst, aufzufliegen.

Kein politischer Auftrag

Das Projekt City Card kommt in Basel aber auch deshalb nicht voran, weil es im Moment keinen politischen Auftrag gebe, sagt Melanie Imhof, Kommunikationschefin im Präsidialdepartement, auf Anfrage. Aber: «Wir verfolgten die Entwicklung in Zürich und das Abstimmungswochenende sehr aufmerksam.»

In Basel biete die Abteilung Kultur mit dem Projekt «Kultur Community» seit Jahren spezifische Programme an für Menschen, denen die Kultur nicht so einfach zugänglich ist. Sie arbeite dafür mit einem Netzwerk von zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen, um zu gewährleisten, dass Personen, die sich nicht persönlich ausweisen möchten oder können, inkludiert werden. Alle von der Stadt unterstützten Institutionen würden verpflichtet, Personen, die einen anerkannten Flüchtlingsstatus haben, Gratis-Eintritte zu gewähren.

Jessica Brandenburger, Co-Präsidentin SP Basel-Stadt
Jessica Brandeburger, Grossrätin und Co-Präsidentin der SP Basel-Stadt, hatte bereits einen Vorstoss zum Thema in der Pipeline.

Tatsächlich hat SP-Co-Präsidentin und Grossrätin Jessica Brandenburger letzten August zwar einen Entwurf für einen entsprechenden Vorstoss formuliert, ihn wegen einer Reihe von Missverständnissen und einer anderen Prioritätensetzung letzten Endes aber nicht eingereicht. Die Idee sei danach politisch wieder versandet. Auch die SP, so scheint es, hat nach Zürich geschielt, das Thema könnte nun also wieder an Fahrt aufnehmen. 

(Nach Publikation dieses Artikels gaben die Juso Basel-Stadt bekannt, dass sie eine kantonale Initiative zur Einführung einer City Card in Basel-Stadt lancieren wollen; siehe Update am Anfang des Textes.)

Alle Augen nach Zürich 

Nicht nur in der Schweiz, auch ennet den Landesgrenzen dürften sich die Augen nun auf Zürich richten. Wie es weitergeht, ist noch nicht ganz klar. Das überparteiliche Komitee aus EVP, SVP und FDP, das die Vorlage bekämpft hat, zeigt sich in einer Medienmitteilung enttäuscht, muss den Volkswillen aber vorerst akzeptieren. 

Ihrer Meinung nach würde mit der City Card, die ein faktisches Aufenthaltsrecht auf dem Stadtgebiet anerkennt, gegen Bundesrecht verstossen. Ausserdem würden nun Steuergelder in Millionenhöhe für ein Projekt eingesetzt, «das nie realisiert werden kann».

«Das Ziel bleibt es, ein konkretes Projekt für die Karte auszuarbeiten, die für die gesamte Zürcher Bevölkerung nützlich ist.» 

von Corine Mauch, Zürcher Stadtpräsidentin (SP) zur Umsetzung der Züri City Card

Die Einführung der Züri City Card dürfte tatsächlich noch Jahre dauern. So sind noch einige juristische und technische Fragen ungeklärt. Der Stadtrat schätzt die wiederkehrenden Kosten auf jährlich zwei bis drei Millionen Franken. Über die definitive Einführung der Züri City Card wird nach deren Ausarbeitung voraussichtlich noch einmal abgestimmt. 

Vorerst zeigt sich SP-Stadtpräsidentin Corine Mauch gegenüber SRF aber erleichtert: «Das Ziel bleibt es, ein konkretes Projekt für die Karte auszuarbeiten, die für die gesamte Zürcher Bevölkerung nützlich ist.» 

Keine neue Idee

Die Einführung einer City Card in Schweizer Städten ist inspiriert durch die Bewegung der Sanctuary Cities in den USA, erklärt Sarah Schilliger, die an der Universität Bern unter anderem zum Thema Migration- und Grenzregime forscht. Insbesondere nach der Wahl von Donald Trump habe diese Bewegung grossen Aufschwung erhalten. 

In den nordamerikanischen Sanctuary Cities untersage eine «Don’t Ask Don’t Tell»-Politik den städtischen Angestellten, bei öffentlichen Diensten nach dem Migrationsstatus zu fragen («Don’t Ask»), und, falls dieser doch bekannt wird, ihn nicht an andere staatliche Behörden weiterzugeben («Don’t Tell»). Dadurch sollen Sans-Papiers grundlegende Rechte zugestanden werden und sie sollen vor Ausschaffung geschützt werden.

«Das Konzept der Solidarischen Stadt ist zu einem wichtigen Bezugspunkt von Bewegungen geworden, die sich auf lokaler Ebene der zunehmend restriktiven nationalen und europäischen Grenz- und Migrationspolitik widersetzen.»

von Sarah Schilliger, forscht an der Uni Bern zum Thema Migration- und Grenzregime

In New York wurde die sogenannte City ID bereits 2015 eingeführt, von öffentlichen Verwaltungen, Schulen, privaten Unternehmen und der städtischen Polizei wird sie als Ausweisdokument akzeptiert. Für die Bewegungen in Europa ist New York häufig ein Vorbild.

Auf theoretischer Ebene sei das Konzept der Sanctuary City eingebettet in die Debatten um Urban Citizenship, so Schilliger weiter. Im Unterschied zum herkömmlichen Citizenship-Verständnis knüpfe Urban Citizenship soziale Rechte nicht an Nationalität und Aufenthaltsstatus, sondern an den Wohnort und Lebensmittelpunkt. In Europa sei die Bewegung eher bekannt unter dem Slogan «Solidarische Stadt», vorangetrieben von Bewegungen wie «Wir alle sind Bern» oder Seebrücke

Schilliger: «Das Konzept der Solidarischen Stadt ist zu einem wichtigen Bezugspunkt von sozialen Bewegungen, NGOs, migrantischen Vereinigungen, Kommunalpolitik und Stadtverwaltungen geworden, die sich auf lokaler Ebene der zunehmend restriktiven nationalen und europäischen Grenz- und Migrationspolitik widersetzen.» Städte würden dabei als Möglichkeitsräume gesehen, in denen nationalstaatliche Grenzziehungen und Abschottungspolitiken in Frage gestellt werden können.

In der Schweiz zählen sich neben Bern auch St. Gallen, Luzern und Zürich zu den «solidarischen Städten». Eine ID nach New Yorker Vorbild wird nebst Basel auch in Bern, Winterthur, St. Gallen, Lausanne, Biel, La Chaux-de-Fonds und Freiburg diskutiert. Überall scheint der Prozess aber zu stocken.

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