Fünf Vorstösse für mehr Mitsprache
Am Samstag wurde im Basler Rathaus an der Migrant*innensession beider Basel den Menschen eine Stimme gegeben, die sonst nicht stimmberechtigt sind. Alle von den Migrant*innen eingereichten Vorstösse wurden angenommen und werden nun in den Parlamenten behandelt.
«Es ist ein kraftvolles Zeichen dafür, dass alle Menschen in der Schweiz eine Stimme haben», sagte die Baselbieter Grünen-Nationalrätin Florence Brenzikofer in ihrer Begrüssung zur Migrant*innensession. Und ein wichtiges. Denn 25 Prozent der Einwohner*innen in der Schweiz haben kein Stimmrecht. «Das ist eine Herausforderung für unsere Demokratie», betont Brenzikofer. Es sei daher wichtig, diesen Menschen zuzuhören, denn: «Sie zeigen Probleme auf, die sonst nicht sichtbar sind.»
«Die Migrant*innensession ist ein kraftvolles Zeichen.»Florence Brenzikofer, Baselbieter Grünen-Nationalrätin
Genau dies haben sich Gülten Akgünlü und Sine Diagne, die beiden Co-Präsidentinnen des Vereins Mitstimme, zur Aufgabe gemacht. Mit Erfolg. Der Grossratssaal war an diesem Samstag fast bis auf den letzten Platz besetzt, zahlreiche Gross- und Landräte folgten der Einladung des Vereins, der sich für die Anliegen der Migrant*innen in den beiden Basel einsetzt und ihnen dieses Forum ermöglicht. Akgünlü und Diagne zeigten sich sichtlich erfreut darüber, dass nicht nur Migrant*innen selbst, sondern auch Politiker*innen von links bis rechts gekommen sind, um zuzuhören und über die Anliegen abzustimmen.
«Es soll nicht das Ziel sein, zu wandern, sondern anzukommen.»Stefan Suter, SVP-Grossrat und Regierungsratskandidat
Zu Beginn wurde das Wort «Migration» unter die Lupe genommen, denn SVP-Grossrat und Regierungsratskandidat Stefan Suter sprach nicht nur Grussworte, er ging auch dem Ursprung des Wortes auf den Grund. Die Tatsache, dass «Migration» vom lateinischen Wort «migrare» («wandern») stammt, hinterfragt Suter kritisch. Denn es solle nicht das Ziel sein, zu wandern, sondern anzukommen. Zum Ankommen gehört auch das Gefühl, sich beteiligen und mitstimmen zu dürfen – und genau darum ging es an der vierten Migrant*innensession. Suter und seine Partei SVP sprechen sich allerdings klar gegen das Ausländer*innenstimmrecht aus, über das im November abgestimmt wird.
Der Verein Mitstimme setzt sich für die politische Partizipation von und mit Migrant*innen ein. Mit der Migrant*innensession hat er im Raum Basel einen in der Schweiz einzigartige Plattform geschaffen, um Menschen ohne Stimm- und Wahlrecht die Teilnahme am politischen Geschehen zu ermöglichen. Gemeinsam mit Grossrät*innen aus Basel-Stadt und Baselland erarbeiten die Migrant*innen in Arbeitsgruppen politische Vorstösse, über die an der Migrant*innensession abgestimmt wird. Wenn sie angenommen werden, werden sie von den beteiligten Politiker*innen in den Parlamenten eingereicht.
«Ohne Migrant*innen wäre der wirtschaftliche Erfolg Basels nicht denkbar», sagte auch SP-Regierungsrat Kaspar Sutter, Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Soziales und Umwelt. Dass in Basel rund 32’000 erwachsene Personen in Basel ohne Wahl- und Stimmrecht leben, sei ein «Demokratiedefizit». Am 24. November könnte sich das ändern, wenn die Basler Stimmbevölkerung über das Stimm- und Wahlrecht für Ausländer*innen an der Urne entscheidet.
«Ohne Migrant*innen wäre der wirtschaftliche Erfolg Basels nicht denkbar.»Kaspar Sutter, Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Soziales und Umwelt
Gemeinsam mit den Gross- und Landrät*innen haben die Migrant*innen in drei Arbeitsgruppen insgesamt fünf Vorschläge ausgearbeitet:
- Psychische Gesundheit: Die beiden Basel sollen während des ganzen Jahres Massnahmen zur Sensibilisierung zum Thema Ausgrenzung und psychische Gesundheit anbieten. Die Kantone sollen prüfen, ob Diplome von migrierten Therapeut*innen anerkannt werden können, um die Angebotslücke von freien Therapieplätzen zu schliessen. Der Kanton Baselland wird aufgefordert, sich an der Woche gegen Rassismus Anfang November zu beteiligen.
- Dolmetschen im Gesundheitswesen: Die Kommunikation zwischen medizinischem Fachpersonal und Patient*innen soll in beiden Kantonen verbessert werden. Es wird angeregt, das Angebot von interkulturellem Dolmetschen auszubauen und Dolmetsch-Apps einzusetzen. Dies auch im Hinblick darauf, dass aktuell Kinder bei Arztbesuchen der Eltern übersetzen müssen, was problematisch sein könne.
- Partizipatives Budget als neues Format der Partizipation: Der Kanton Basel-Stadt soll ein partizipatives Budget (auch Mitmach-Budget oder Bürger*innenhaushalt genannt) einführen. In diesem Prozess wird ein fixer Budgetbetrag für selbstinitiierte Projekte der Stadt- oder Quartierbevölkerung zur Verfügung gestellt. Ziel ist es, die Bevölkerung aktiv bei der Gestaltung ihres Lebensraums zu fördern und ein Zugehörigkeitsgefühl zu schaffen.
- Teileingliederung Heimatliche Sprachen und Kultur (HSK): Es soll eruiert werden, ob eine finanzielle Entschädigung der HSK-Lehrpersonen durch den Kanton Basel-Stadt und Baselland übernommen werden kann. Zudem sollen die HSK-Kurse in den regulären Unterricht integriert werden.
- Arbeitsbeschränkung und Studiengebühren für internationale Studierende: Der Kanton Basel-Stadt wird gebeten, die Arbeitsbeschränkungen und die hohen Studiengebühren für internationale Student*innen und deren Konsequenzen einzuschätzen. Denn die Kombination von beidem erschwere es Studierenden aus dem Ausland, ihr Studium zu finanzieren und gleichzeitig Praxiserfahrung zu sammeln.
Alle Vorschläge wurden mit grossem Mehr angenommen und werden nun von den Politiker*innen als Vorstösse in den beiden Parlamenten eingebracht. Die Freude darüber, debattieren und auch abstimmen zu können, war im Grossratssaal spürbar.
Moderiert wurde die Migrant*innensession von der Soziologin und Rassismus-Expertin Anja Glover und Grossratspräsident Claudio Miozzari mit grossem Respekt für das Engagement und mit Empathie für die zum Teil persönlichen Anliegen der Migrant*innen. Zum Abschluss der Session stimmten alle Anwesenden über die Resolution ab, in der die Vorschläge aus den einzelnen Arbeitsgruppen zusammengefasst werden. Auch sie wurde mit grossem Mehr und unter Beifall verabschiedet.
«Man lebt in Basel, man stimmt in Basel.»Laila Knotek, Projektleiterin der Migrant*innensession beider Basel
Laila Knotek, Projektleiterin der Migrant*innensession beider Basel, war sichtlich bewegt, als sie in ihrer Abschlussrede sagte: «Wir sind so glücklich!» Sie hoffe nun, dass Basel die wichtigen Stimmen höre und die Menschen, die sonst kein Stimmrecht haben, auf diese Weise mitbestimmen lässt. Knotek appellierte an die Basler Stimmbevölkerung im November an der Urne ein Zeichen zu setzen. Ganz nach dem Motto: «Man lebt in Basel, man stimmt in Basel.»