Zwangspensen für Lehrer*innen
Geht es nach LDP-Erziehungsdirektor Conradin Cramer, soll die Basler Schulleitung Lehrer*innen neu dazu verpflichten können, 20 Prozent weniger oder mehr zu arbeiten – bei gleichem Lohn. Dadurch sollen Überstunden abgebaut werden. Die Betroffenen bezeichnen den Vorschlag als «absurd».
Sarah (Name geändert) ist «empört». Sie ist Lehrerin und Mutter, arbeitet jeweils am Montag und Mittwoch an einer Basler Volksschule; ihre zwei Kinder werden in dieser Zeit in einer Kita betreut. Doch ab dem kommenden Jahr könnte sich ihr Lebensentwurf verändern. Dann könnte die Schulleitung ihr von heute auf morgen den Mittwoch streichen – bei gleichem Lohn.
Weniger arbeiten bei gleich viel Geld, dagegen hätte Sarah nichts einzuwenden. Aber: Auch das Gegenteil könnte passieren: Dass ihr die Schulleitung zusätzlich einen dritten Arbeitstag obendraufschippt. Ebenfalls bei gleichem Lohn. Denn: Geht es nach dem Basler Erziehungsdepartement (ED) soll die Schulleitung Lehrer*innen neu dazu verpflichten können, 20 Prozent mehr oder weniger zu arbeiten, gerechnet auf den jeweiligen Beschäftigungsgrad.
Der Grund für die geplante Änderung durch das ED sind Überstunden. Die Basler Lehrer*innenschaft hat ein zu hohes Lektionenguthaben im Bereich Volksschulen, und dieses muss abgebaut werden.
«Vereinbarkeit gefährdet»
«Durch die Anpassung der Pflichtenlektionsverordnung wäre die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefährdet», sagt Sarah. Sie engagiert sich gemeinsam mit anderen Lehrer*innen im VPOD gewerkschaftlich gegen diese Änderungen. Einige von ihnen haben mit Bajour anonym über ihren Unmut gesprochen. «Mit so einer grossen Schwankung ist es schwer, die Kinderbetreuung zu sichern, da die Kitas überfüllt sind und es längere Wartezeiten gibt», sagt Sarah.
So findet auch Laura: «Die Attraktivität des Lehrberufs würde dadurch geschwächt - und das in einer Zeit, in der Lehrer*innenmangel herrscht, oder dieser zumindest vor der Tür steht.» Sie fürchtet zudem, dass dieses Tool willkürlich eingesetzt werde, sollte sich die Situation weiter verschärfen.
Laura schliesst nicht aus, den Kanton in diesem Fall zu wechseln, sind die Bedingungen in der Stadt nicht umso viel besser als auf dem Land; die Lohnentwicklung im Baselbiet ist laut einer Übersicht aus dem Jahr 2015 allerdings besser (gleichzeitig ist dort der Stufenanstieg davon abhängig, wie die Lehrer*innen in den Mitarbeiter*innengesprächen bewertet werden).
Die Lehrpersonen empfinden das Vorgehen des ED unter Leitung von Regierungsrat Conradin Cramer (LDP) als «Vertrauensbruch». Sie hätten sich vom Departement oder von Urs Bucher, dem Leiter der Basler Volksschulen, gewünscht, in den Prozess involviert zu werden. Damit dieser praxistauglich hätte gestaltet werden können, sagen sie. Das Vorgehen zeige das fehlende Verständnis des ED gegenüber der Lehrer*innenschaft auf.
Lehrerin Anna meint: «Wir müssen unser Leben opfern für eine Fehlplanung der Schulleitung, die in einem Berg an Überstunden resultierte.» Das Kleingedruckte im Vertrag werde im Nachhinein und einseitig geändert, das sei unfair.
Wieso Lehrer*innen diese Überzeit indes anhäufen mussten, ist unklar. Ist der Lehrpersonenmangel, der in Basel aufgrund der bevorstehenden Pensionierungswelle für das Jahr 2024/25 prognostiziert wurde, womöglich doch schon eingetreten? Erst vergangenen Oktober sagte Simon Thiriet, Mediensprecher des ED, zur bz: «In Basel-Stadt herrschte – im Gegensatz zu anderen Kantonen – kein Lehrermangel bei den Anstellungen für das aktuelle Schuljahr.»
«Auf der konstruktiven Schiene»
Das ED möchte sich zur aktuellen Kritik nicht äussern, da es sich derzeit im Konsultationsverfahren befindet, das heisst: die Betroffenen konnten sich ihre Meinungen zu den Absichten des Departements bilden. Das Verfahren ist am 23. November allerdings ausgelaufen. Wie Thiriet gegenüber Bajour schreibt, wolle man nun erst einmal alle Rückmeldungen sammeln.
Und diese sind alles andere als positiv: Die Lehrer*innen wehren sich. Das ist bemerkenswert, haben sie sich in den letzten Jahren doch kaum gegen Änderungen ausgesprochen, die Initiative für die Wiedereinführung der Kleinklassen durch die Freiwillige Schulsynode Basel-Stadt (FSS) – das ist der Berufsverband der Lehrerschaft, dem 4000 Lehrer*innen angehören –, ist dabei eine Ausnahme.
So sprechen sich sowohl die FSS, die kantonale Schulkonferenz Basel-Stadt (KSBS) als auch die Gewerkschaft VPOD gegen die geplanten Änderungen aus. Letztere am vehementesten. Auf der VPOD-Website wird das Vorgehen als «absurd», im Austausch gar als «skandalös» bezeichnet. Die KSBS lehnt die Weisungskompetenz von Schulleitungen ebenfalls «deutlich» ab. Und die FSS schreibt, sie sei «grundsätzlich nicht einverstanden» und verlange darum «eine gemeinsame Neuaushandlung» des Geschäfts.
Die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen, ist bei den Sozialpartnern allerdings unterschiedlich gross. Während die FSS der Meinung ist, das Erziehungsdepartement solle die vorgeschlagenen Verordnungsänderungen «nochmals überdenken», finden die VPOD-Mitglieder: «Die Verordnung muss ganz zurückgenommen werden.»
Und überdenken wird das ED das Vorhaben nun tatsächlich nochmals: Vergangenen Donnerstag hat es sich mit der FSS zusammengesetzt, wie ihr Präsident, Jean-Michel Héritier, gegenüber Bajour bestätigt. Demnach wird das ED die Verordnungsänderung erneut «vertieft diskutieren und überarbeiten». Anfang Jahr soll über die Weiterbearbeitung informiert werden. Héritier zeigt sich zuversichtlich und sagt: «Aus meiner Sicht befinden wir uns auf der konstruktiven Schiene, was gut ist.»
«Das Problem noch längst nicht gelöst»
VPOD-Gewerkschaftssekretärin Alexandra Aronsky hingegen möchte weiter Druck aufbauen: «Es ist völlig unklar, inwiefern das ED auf die Kritik der Sozialpartner eingehen und Änderungen vornehmen wird. Daher wollen unsere Mitglieder jetzt klar machen, dass sie sich mit diesen oder ähnlichen Vorschlägen nicht zufriedengeben.»
Zuallererst müsse analysiert werden, wie es überhaupt zu den Überstunden kam. Denn, so die Gewerkschaftssekretärin weiter: «Die Lehrer*innen haben diese Mehrarbeit auf Geheiss der Schulleitung geleistet – sie haben sich nicht selber darum gerissen.»
Dieser Meinung sind auch Politiker*innen von links bis bürgerlich. Das Parlament wurde in das Verfahren allerdings nicht involviert, da es sich um eine administrative Massnahme auf Verordnungsebene handelt – und demnach Sache der Regierung ist. Deshalb möchte SP-Grossrätin Franziska Roth nicht als Präsidentin der Bildungskommission Stellung beziehen, sondern lediglich ihre persönliche Meinung äussern.
Diese deckt sich mit jener der Sozialpartner. Roth sagt: «Ich kann das geplante Vorgehen nicht unterstützen und finde vor allem, dass zuerst abgeklärt werden muss, warum ein so grosser Überstundenpool entstanden ist und was es für Veränderungen braucht, damit das nicht mehr geschieht.»
Auch Bildungspolitikerin Sandra Bothe von der GLP fragt sich, warum das Lektionenguthaben in dem Umfang aufgebaut werden musste. Grundsätzlich findet sie: «Ein Diktat von oben ist nie motivierend und schürt Widerstände.» Die Arbeitszufriedenheit sinke und am Ende wirke sich dies wiederum auf die Schüler*innen aus.
Selbst Elias Schäfer, Vizepräsident der Basler FDP, sieht die geplanten Massnahmen kritisch. Er sagt: «Die Verordnungsänderung würde die Attraktivität des Lehrberufs schmälern.» Seine Partei lancierte in der jüngsten Vergangenheit eine regelrechte Vorstossoffensive, um das Basler Schulsystem zu verbessern, darunter auch ein Mindestpensum von 50 Prozent für Lehrpersonen, um den Lehrer*innenmangel zu beheben und Kontinuität im Schulalltag zu schaffen, heute arbeitet jede*r fünfte Lehrer*in laut Primenews weniger als 50 Prozent.
Der Regierungsrat war Mitte November allerdings nicht bereit, die Motion zur Stellungnahme entgegenzunehmen. Demnach glaubt Schäfer auch nicht, dass die Anpassung der Pflichtlektionenverordnung nun ein Versuch der Regierung sein könnte, Mindestpensen durch die Hintertür einzuführen. Vielmehr dürfte sich das ED durch die Anpassung eine gewisse Flexibilität versprechen, denn die Schullektionen braucht es trotz Abbau der Überstunden. Für Schäfer scheint klar: «Es braucht mehr Lehrpersonen.» Die von der FDP eingereichten, vom Regierungsrat indes zurückgewiesenen Vorstösse hätten seiner Meinung nach genau dort angesetzt.
Wie der Regierungsrat die Verordnungsänderung anzupassen als auch den Lehrer*innenmangel zu beheben gedenkt, steht noch in den Sternen. Doch Schäfer ist überzeugt: «Cramer wird nach den kritischen Rückmeldungen nicht einfach geradeaus weiterlaufen.»
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