Lena blockiert eine Grossbank - Teil 3, Der Blick in die Zukunft

Im Juli 2019 kämpfte Lena mit ihrem Körper vor der UBS gegen den Klimawandel. Sie betonierte ihren Arm in ein Fass. Wie weit geht ziviler Ungehorsam – und was passiert dann? Eine Reportage in drei Teilen.

Was geschieht nun mit den Basler Aktivist*innen?
Was geschieht nun mit den Basler Aktivist*innen? (Foto: Olivier Christe) (Bild: Olivier Christe)

Was bisher geschah: Am 8. Juli 2019 verbrachte Klima-Aktivist*in Lena die erste Tageshälfte an ein Fass gekettet vor der UBS am Basler Aeschenplatz. Dann verbrachte sie 24 Stunden in Polizeigewahrsam. Wir erzählten die diese Ereignisse in «Teil 1 - Die Blockade». Sie hat, zusammen mit mindestens 62 anderen Aktivist*innen, Einsprache gegen den Strafbefehl erhoben – nun stehen die Prozesse an. Folgt das Gericht der Staatsanwaltschaft – oder stellt ein Urteil aus Lausanne den Basler Prozess plötzlich auf den Kopf? Was Lausanne mit der Geschichte zu tun hat, haben wir in «Teil 2 - Der Notstand» erzählt. 

Nun wagen wir einen Blick in die Zukunft:

Wenn einer eine Meinung zur Lausanner Auslegung von Artikel 17 Strafgesetzbuch (rechtfertigender Notstand), der den Aktivist*innen in der Westschweiz den Freispruch bescherte, dann ist es Martino Mona. Er ist Professor für Strafrecht an der Universität Bern und Herausgeber des Buches «Grenzen des rechtfertigenden Notstands». Wir erreichen ihn am Telefon und er sagt deutlich: 

«Wenn Erstsemestrige in den Prüfungen argumentieren, wie es der Richter Colelough in Lausanne gemacht hat, dann sind sie deutlich ungenügend.»

Was will er damit sagen?

Dieses Urteil vom 13. Januar 2020 sei, so Mona, eines der grössten strafrechtlichen Fehlentscheide der letzten Jahre. «Weder das waadtländische Appellationsgericht noch die Basler Richter*innen werden diesem Urteil folgen. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.»

Allenfalls, so Mona, sei eine Strafmilderung nach Art. 48 wegen achtenswerten Beweggründen denkbar. Und sollte die Möglichkeit eines Freispruchs erwogen werden, dann nicht mit Art. 17, sondern wegen fehlendem Strafbedürfnis nach Art. 52. Behörden können gestützt auf diesen Artikel von einer Bestrafung absehen, wenn «Schuld und Tatfolgen geringfügig» sind.

Dieser Artikel wiederum, sagt Mona, werde aber von Gerichten sehr restriktiv angewendet.

Dann sagt Mona etwas, das auf den ersten Blick widersprüchlich klingt. Er wiederholt nochmal, er könne sich wirklich nicht vorstellen, dass Basel dem Lausanner Urteil folgen werde, ausser «…die Richter*innen hätten sich gegen die Klimaaktivist*innen verschworen. Aber davon ist nicht auszugehen.»

Was Mona sagt, klingt verdreht. Er behauptet, dass gerade ein Freispruch den Klimaaktivist*innen erheblichen Schaden zufügen würde.

Was ist damit gemeint? Eins nach dem anderen.

Wir haben mehr Fragen als Antworten.

Mona argumentiert, wie auch der Lausanner Richter Philippe Colelough, mit den Bedingungen, die für den rechtfertigenden Notstand gegeben sein müssen. Nur sieht der Strafrechtsprofessor aus Bern die Sache genau andersrum. Weder sei das Tennisspiel in der CS-Filiale die einzige Möglichkeit gewesen (zur Erinnerung: das Gesetz nach Art. 17 (StGB) verlangt, dass die Gefahr nicht anders abwendbar ist), noch sei diese Aktion überhaupt geeignet, die Gefahr abzuwenden. Der Klimawandel entspreche nicht der unmittelbaren Gefahr für ein Individualrechtsgut, wie sie Art. 17 verlange, sagt Mona.

Ob das nicht eine Frage der Auslegung sei, wollen wir wissen. Immerhin hat ein erfahrener Richter an einem Bezirksgericht genau das Gegenteil entschieden.

Mona negiert. Das Gesetz enthalte zwar einen gewissen Interpretationsspielraum, die Auslegung von Colelough gehe aber massiv darüber hinaus.

Wir haken nach: Ermöglicht aber nicht genau der Klimanotstand eine Interpretation der Gesetze, welche die Einschätzung einer unmittelbaren Gefahrenlage zuliesse?

Die einzige Gemeinsamkeit des vorliegenden Falls mit Art. 17, erklärt Mona, sei in der Tat der Begriff des Notstands. Im Umgang des Lausanner Gerichts mit diesem Artikel liege aber ein gravierendes Missverständnis vor. Martino Mona beschreibt, wie ziviler Ungehorsam in der Geschichte immer wieder zu Fortschritten im Rechtssystem geführt habe und nennt als Beispiele die Frauen- wie auch die Bürgerrechtsbewegung.

Und genau so, sagt Mona weiter, müsse auch der Klimanotstand Folgen im Rechtssystem nach sich ziehen, das sei richtig.

Die Verantwortung dafür liege aber bei der Politik. Sie müsse zum Erlass neuer Gesetze gedrängt werden, die klimaschädliches Verhalten ahnden und strafbar machen. Der Hebel muss nach Mona also anderswo angesetzt werden. Dass plötzlich Hausfriedensbruch rechtmässig sein soll, könne nicht das Ziel von zivilem Ungehorsam sein.

Das ist eine fundamentale Umkehr der Lausanner Auslegeordnung. Die Einschätzung nach der Notwendigkeit einer neuen Gesetzeslage bleibt aber dieselbe, darum die Frage: Wie sollen solche Gesetze entstehen?

Die Wichtigkeit der öffentlichen Meinung

Mona argumentiert, dass dazu grosser gesellschaftlicher Druck notwendig sei. Dieser Druck, so Mona, könne auch die Folge von zivilem Ungehorsam sein. Er sagt weiter, dass wenn Aktivist*innen das Gesetz übertreten und vom Gericht verurteilt würden, das in der Bevölkerung einen Aufschrei auslösen könne.

Dabei sei es jedoch wichtig, dass eine allfällige Strafe in Kauf genommen würde, da dies die Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit der Anliegen unterstreiche.

Wenn die Aktivist*innen diese Strafe nicht annehmen, sondern vor Gericht anfechten, so Monas Einschätzung, könne in der Öffentlichkeit das Gefühl aufkommen, dass den Aktivist*innen der Kampf gegen den Klimawandel gar nicht so wichtig sei.

Nach einer Pause erklärt er weiter, dass ihm aufgrund der obigen Gedanken eigentlich ein einziger Schluss plausibel erscheine:

«Der Richter Colelough wollte den Aktivist*innen politisch schaden.» Und auch wenn er es nicht bewusst beabsichtigt haben sollte, schlussfolgert Mona, dies sei das Resultat.

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Über 60 Basler Aktivist*innen haben Einsprache gegen den Strafbefehl erhoben. (Foto: Olivier Christe)

Mona steht mit dieser Einschätzung nicht alleine da, sondern erhielt Rückendeckung von anderen Strafrechtler*innen, die in Medienberichten in eine ähnliche Richtung argumentierten.  So weit die Einschätzungen der Expert*innen. Die Reaktionen der medialen Öffentlicheit zeichneten allerdings ein ganz anderes Bild.

So gab es als Reaktion auf die Aktion mit dem Tennisspiel und im Kontext der Gerichtsverhandlung zwar einen gewaltigen Aufschrei in den sozialen Medien – dieser fiel aber grossmehrheitlich zugunsten der Klimaaktivist*innen aus.

Insbesondere der Hashtag #RogerWakeUpNow rauschte zeitgleich zum Lausanner Prozess durch die digitale Welt, kletterte nach dem Freispruch der Aktivist*innen vorübergehend sogar an die Spitze der Schweizer Twitter Charts und zwang Roger Federer, der sich von der CS sponsern lässt und von politischen Aussagen grundsätzlich absieht, zu einer Stellungnahme. So sagte er, dass er sich seiner Verantwortung als Privatperson, Athlet und Unternehmer sehr bewusst sei und diese Position für den Dialog mit seinen Sponsoren nutzen möchte. Weiter bedankte sich Federer bei den Aktivist*innen, «dass sie uns alle dazu zwingen, unser Verhalten zu überprüfen und nach innovativen Lösungen zu suchen.»

Doch zurück zum grundsätzlichen Konflikt:

Um was geht es den Aktivist*innen eigentlich?

Aus Sicht der Aktivist*innen geht um nicht weniger als die Lebensgrundlage der Menschen, oder um es in der Sprache von Klimawissenschaftler*innen auszudrücken: Um das verbleibende globale Kohlenstoffbudget.

Gemäss dem Weltklimarat (IPCC) ist dieses bei gleichbleibenden Treibhausgasemissionen in maximal acht Jahren aufgebraucht, wenn die schlimmsten Folgen der Klimaerwärmung mit einer vernünftigen Wahrscheinlichkeit verhindert werden sollen. Wie Berechnungen der Klima-Allianz, einem Zusammenschluss von über 80 zivilgesellschaftlichen Organisationen, zeigen, ist der Finanzplatz der mit Abstand grösste Hebel in der Schweiz. Die Klima-Allianz schreibt, dass dieser «20 mal mehr Treibhausgasemissionen verantwortet als der gesamte Inlandausstoss unseres Landes.»

Die Gruppe «Collective Climate Justice» (CCJ), welche bereits die Basler UBS-Blockade 2019 organisiert hat, will auch 2020 wieder eine Aktion durchführen, «um den Druck auf den Finanzplatz aufrecht zu halten», wie sie schreibt. Die Gruppe kommuniziert mit einem Schreiben auf ihrer Website, dass dieses Jahr das Herz des Schweizer Finanzplatzes im Visier sei. Über weitere Details schweigt sie sich allerdings aus.

Dass jederzeit mit der Vorladung für die Gerichtsverhandlung zur Aktion vom vergangenen Jahr gerechnet werden muss, bleibt im Communiqué ebenfalls unerwähnt.

Bleibt CCJ aber ihrer Aktionsform treu, könnte es zu einer Neuauflage der direkten Aktion vom vergangenen Jahr kommen – inklusive der Reaktion der Sicherheitskräfte und der Staatsanwaltschaft.

Allerdings dürfte in diesem Fall das Strafmass für diejenigen Aktivist*innen, die bereits im Juli 2019 dabei waren, deutlich erhöhen.

Das würde auch auf Lena zutreffen.

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Manche fragen sich: Braucht es extremere Protestformen, wenn die Politik versagt? (Foto: Olivier Christe)

Bajour trifft die Aktivistin zu einem zweiten Gespräch – diesmal am Kleinbasler Rheinufer. 

Uns interessiert: Ist Lena auch bei der nächsten geplanten Aktion dabei, aller drohenden Konsequenzen zum Trotz. Und wenn ja, warum?

Sie hält einen Moment inne und sagt: «Ja, ich bin wohl wieder dabei. Jedoch im Hintergrund. In einer Form, in der ich mich nicht strafbar mache.» Aus finanziellen und beruflichen Gründen. Auf Anfrage sagt die CCJ-Gruppe, sie versuche sämtliche Geldstrafen sowie Verfahrens- und Anwält*innenkosten für die 62 angeklagten Aktivist*innen zu übernehmen, die Spendenaufrufe laufen auf ihrer Homepage und in den sozialen Medien. 

Ziviler Ungehorsam als Ultima Ratio?

Lenas Fall zeigt, dass die strafrechtlichen Folgen für zivilen Ungehorsam erheblich sein können.

Auf der anderen Seite steht die immer populärer werdende Ansicht, dass ziviler Ungehorsam zum entscheidenden Faktor in der Klimakrise werden könne. So sprach sich im Februar etwa Christiana Figueres, ehemalige Generalsekretärin der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) und Architektin des Pariser Klimaübereinkommens von 2015 für die Aktionsform des zivilen Ungehorsams aus.

Es sei, so Figueres, an der Zeit, sich entsprechenden Bewegungen anzuschliessen. Unzählige Wissenschaftler*innen argumentieren ähnlich. Der zivile Ungehorsam könnte als Aktionsform also an Bedeutung zulegen. Wo lässt sich das heute schon beobachten? Und welche Auswirkung hatte das bisher auf Gesetzesebene?

Jüngst wurde das neue CO2-Gesetz vom Parlament überarbeitet. Es ist das zentrale klimapolitische Werkzeug der Schweiz. Diesem Gesetzesentwurf stellten die Umweltverbände WWF, Greenpeace, VCS und ProNatura in einem gemeinsamen Communiqué ein katastrophales Zeugnis aus. Die Emissionsreduktionen im Inland seien um den Faktor 2 zu tief, die Umlenkung der Finanzströme weitgehend ausgeklammert und die internationale Klimafinanzierung bleibe ungesichert.

Fazit:

Der Strafrechtsprofessor Martino Mona hatte vorgeschlagen, die Auswirkung auf die Gesetzeslage als Gradmesser für den gesellschaftlichen Druck auf die Politik zu machen. In Anbetracht der Debatte um das CO2-Gesetz kann – mit diesem Gradmesser – festgestellt werden:

Der Druck auf die Politik reicht auch nach anderthalb Jahren Klimastreik, nach den grünen Wahlen 2019 und nach grossen Aktionen nicht aus, um die Schweiz auf einen Paris-kompatiblen Kurs zu bringen.

Das ist ein alarmierendes Signal, das Fragen aufwirft. Aus Sicht der Aktivist*innen, die Ölhäfen und Banken blockieren: Geht das alles nicht weit genug? Müssen grössere, extremere Protestformen gefunden werden?

Der Fall Lena zeigt, dass dies in der Realität für die Aktivist*innen risikoreich ist, da hohe Geldstrafen und die vielfältigen Folgen von Strafregistereinträgen drohen.

Strafe ja, aber nicht ohne eine Verschärfung der Klimaschutzgesetze

Wie reagiert Aktivistin Lena auf diese Pattsituation?

Die junge Frau sitzt am Rhein und hält die Füsse ins kühle Wasser. «Wir müssen Klartext sprechen. Ziviler Ungehorsam arbeitet mit massiven Übertretungen gegebener Gesetze. Das erst schafft die Bühne, um auf höhere Gerechtigkeitsmassstäbe aufmerksam zu machen und diese anschliessend zu erreichen.»

Lena sagt: «Auch wenn für eine Bestrafung der UBS für ihre fossilen Finanzflüsse aktuell die Gesetzesgrundlage oder Rechtspraxis fehlen, ist die Verfassungsgrundlage zur Ausarbeitung solcher Gesetze grundsätzlich gegeben.»

Das, so Lena, müsse nun endlich geschehen. Dafür habe sie sich an ein Fass gekettet. Sie präzisiert: «Ich kann eine Bestrafung grundsätzliche in Kauf nehmen. Nicht aber in dieser Höhe und ohne eine gleichzeitige Verschärfung der Klimaschutzgesetze.»

Bevor sie sich verabschiedet, sagt Lena noch diesen einen Satz, in dem ihre ganze Hoffnung auf ein Umdenken liegt: «Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, wem die eigentliche Strafe gilt: den Klimaaktivist*innen, weil sie die UBS blockieren? Oder der UBS, weil sie die Klimakatastrophe vorantreibt?»

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