Regionale Unternehmen klagen: «Wir finden kein Personal»

Saskia Riat vom Hotel Hofmatt in Münchenstein, Informatiker Rolf Walser und das Unispital kämpfen mit demselben Problem: Sie haben offene Stellen, aber kaum jemand bewirbt sich.

Arbeitskräftemangel
Viele Schweizer Unternehmen suchen derzeit händeringend nach Personal. Auch in Basel. (Bild: Bajour)

Saskia Riat vom Hotel Hofmatt in Münchenstein hat ein Problem: Sie hat zu wenig Personal.

«Wir suchen schon seit mehr als einem halben Jahr und finden niemanden», sagt die Managerin. Zwei Stellen hat das Hotel Hofmatt aktuell ausgeschrieben. «Unsere jetzige Annonce ist schon seit zwei Wochen online und wir haben bisher leider noch keine einzige Bewerbung erhalten. In unserem zweiten Unternehmen, in der Mühle in Aesch, ist die Situation ähnlich!», Saskia Riat seufzt ins Telefon. 

Sie habe von anderen Gastronomiebetrieben gehört, die ihre Öffnungszeiten anpassen mussten, weil sie zu wenig Leute haben, um die Küche offen zu halten. «So weit ist es bei uns zum Glück nicht.»

Verantwortlich macht sie dafür die Pandemie. «Vor allem in der Gastronomie hat das Corona-Virus seine Spuren hinterlassen. Viele Angestellten haben sich in der Corona-Zeit neue Stellen gesucht oder sich umgeschult, diese Angestellten kommen nicht mehr zurück in die Gastronomie.» 

«Covid hat die Lage zusätzlich verschärft.»
Rolf Walser, Personalvermittler für IT-Fachkräfte

So wie Saskia Riat geht es vielen Arbeitgeber*innen in der Region und im ganzen Land. Noch nie gab es in der Schweiz so viele offene Stellen. Das tönt erst einmal gut, gerade aufgrund der Pandemie, in der viele Menschen den Job verloren haben. Doch Finanzchefs sehen den so genannten Arbeitskräftemangel als grosses Risiko, liest man hier und da. Ist er während der Anfangszeit von Corona zurückgegangen, hat er jetzt wieder Ausmasse angenommen, der vielen Unternehmen Sorgen bereitet. Doch aktuell soll der Mangel so bedrohlich sein wie noch nie. 

Das spürt auch Rolf Walser. Der Informatiker arbeitet seit 25 Jahren für die Personal- und Unternehmensberatung Nexus und besetzt offene Stellen mit IT-Fachkräften. Walser sagt: «Es gibt schon seit Jahren viele offene IT-Stellen, aber wenige Bewerbungen. Covid hat die Lage zusätzlich verschärft.» Ein Grund: In Krisen bleiben die Arbeitnehmer*innen lieber, wo sie sind. «Dadurch ist ein deutlicher Rückgang bei der Anzahl der Bewerbungen spürbar», so Walser. Ingenieur*innen, Techniker*innen und Informatik-Berufe landen im Fachkräftemangel-Ranking für die Nordwestschweiz im Jahr 2020 alle unter den Top 5.

Die Schweiz hatte allerdings schon vor Corona zu wenig Arbeitskräfte. Wieso?

Demografischer Wandel
Von einer Pyramide, über eine Glocke bis zu einer Tanne: In der Schweiz dominiert heute die Generation der Babyboomer. Es gibt weniger junge Menschen und die Zahl der Älteren wächst.

Der Hauptgrund ist der demografische Wandel. Das sagt Manuel Buchmann, Postdoktorand an der Universität Basel im Bereich Arbeitsökonomie und Projektleiter beim Demografie-Kompetenzzentrum Demografik. Buchmann sagt: «Wir haben sehr viele Babyboomer in der Schweiz, die nun nach und nach in die Pension gehen. Dadurch gehen momentan viele Arbeitskräfte verloren und es werden in Zukunft noch mehr sein.»

Traditionell behelfen sich Schweizer Unternehmen mit Kräften aus dem Ausland. Doch diese Strategie verhebt je länger je weniger.

Denn: Die Menschen werden auch ännet der Grenze älter, in Deutschland sogar noch schneller als in der Schweiz, sagt Ökonom Manuel Buchmann. «Dadurch gibt es in Deutschland weniger Arbeitskräfte und das Lohnniveau steigt.» Der Lohnunterschied zur Schweiz wird kleiner, die Jobs hierzulande weniger attraktiv. «Es ist unklar, inwiefern deutsche Arbeitskräfte den Arbeitskräftemangel in der Schweiz dann noch ausgleichen können und wollen», sagt Buchmann. Dementsprechend stagnierte die Einwanderung aus Deutschland in den vergangenen zehn Jahren und auch die Pandemie bremste die Zuwanderung in die Schweiz. 

Das bedeutet: «Aus Deutschland werden weniger Grenzgänger*innen kommen.» In Frankreich ist der Effekt weniger schlimm, doch auch von dort stagniert die Migration. Das dürfte sich vor allem auf Basels Arbeitsmarkt bemerkbar machen. Aktuell arbeiten mehr als 34’000 Grenzgänger*innen in dem Kanton.

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«Allgemein sieht man, dass der Trend des Arbeitskräftemangels sich verschärft», sagt Buchmann. Technische Berufe, IT und die Pflege seien besonders betroffen. «In der Pflege wird es noch viel schlimmer werden, weil der demografische Wandel nicht nur den Arbeitskräftemangel vorantreibt, sondern auch die Nachfrage nach Pflege.»

Ein Blick auf ein Basler Job-Portal bestätigt: mehr als 1000 freie Stellen im Bereich Medizin/Gesundheitswesen. Das Unispital spürt die Entwicklung. «In der Pflege sind derzeit rund 40 Stellen ausgeschrieben», sagt Sprecher Nicolas Drechsler. Dort suche man gerade am meisten Personal, genauso im Bereich MTT, also zum Beispiel Radiologiefachpersonen. «Aber auch in bestimmten medizinischen Fachgebieten ist es schwierig, Fachpersonen zu finden», sagt Drechsler.

Wo sieht er die Ursachen? «In allen Gesundheitsberufen ist die Suche nach Fachpersonal schon länger ein Thema. «Aktuell ist die Dringlichkeit höher als vor Corona.» Das Unispital sucht deshalb nicht mehr nur im Dreiland: «Der Kreis, in dem wir rekrutieren, wird immer grösser. Wir rekrutieren bis nach Hamburg, das ist auf Dauer nicht nachhaltig», sagt Drechsler. 

Was wäre denn nachhaltig?

Ausbilden, ausbilden, ausbilden: «Wir müssen zusehen, dass wir den Bedarf mit Kräften vor Ort gedeckt kriegen. Da müssen wir uns selbst helfen und den Nachwuchs selbst ausbilden, so Drechsler.»

Das fordert auch die Pflegeinitiative und der Gegenvorschlag, über die wir am 28. November abstimmen.

Pflege-Initiative, darum geht's

Eidgenössische Pflege-Initiative 

Die Initiative verlangt, dass Bund und Kantone die Pflege fördern. Es soll genügend diplomierte Pflegefachpersonen geben und Pflegende sollen entsprechend ihrer Ausbildung und ihren Kompetenzen eingesetzt werden. Auch verlangt die Initiative, dass der Bund die Arbeitsbedingungen regelt und für eine angemessene Abgeltung der Pflegeleistungen sorgt. Ausserdem sollen Pflegefachpersonen gewisse Leistungen direkt zulasten der Krankenkasse abrechnen können.

Die Gegner*innen der Initiative sagen, dass der Bund nicht für Löhne und Arbeitsschichten des Pflegepersonals zuständig sei. Auch Bundesrat und Parlament geht die Initiative zu weit, sie haben einen indirekten Gegenvorschlag gemacht. Die Aus- und Weiterbildung soll während acht Jahren mit bis zu einer Milliarde Franken gefördert werden. Pflegefachkräfte sollen gewisse Leistungen direkt abrechnen können, wobei ein Kontrollmechanismus verhindern soll, dass dadurch die Gesundheitskosten und die Krankenkassenprämien steigen. Der Gegenvorschlag tritt in Kraft, wenn die Initiative abgelehnt wird. 

Doch gemäss Ökonom Buchmann ist Ausbilden die richtige Strategie: «Alle Firmen sind selbst verantwortlich, ihre Strategie auf die Zukunft auszurichten. Und viele Firmen realisieren noch gar nicht, dass eine grosse Pensionswelle auf sie zukommt.» Die Schuld der Politik in die Schuhe zu schieben, greife zu kurz.

In der Informatik ist das aber nicht so einfach. Der Grund: Die Schweiz bildet traditionell zu wenig MINT-Fachkräfte aus. MINT, das steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. In den MINT-Fächern wurden 2015 28 Prozent der UH-Bachelor- und 32 Prozent der FH-Bachelorabschlüsse vergeben.

Der Druck ist so hoch, dass die Unternehmen mit Ausbilden gar nicht nachkommen, sagt Personalvermittler Walser: «Die Firmen haben häufig kein Interesse, in Fortbildungen, Umschulungen oder Trainee-Programme zu investieren, weil sie den Druck haben, die Arbeitskräfte sehr schnell operativ einzusetzen». Wer dann nur zu 90 Prozent auf eine Stelle passe, werde gar nicht erst eingeladen zum Gespräch.

Kandidat*innen werden träger

Seit Corona gibt es aber noch ein weiteres Problem, so Walser. HR-Leute würden kritisieren, dass die Covid-Massnahmen zu einer grösseren Trägheit bei den Kandidat*innen geführt hat. Die Menschen wollten lieber im Home Office arbeiten, anstatt an einen anderen Ort zu ziehen, vor allem nicht, wenn dieser ländlich liegt. «Zum Teil ist es einfacher, jemanden aus Barcelona zu rekrutieren als aus der Schweiz. Das hat den Arbeitsmarkt noch einmal verkompliziert.» 

Buchmann rät Unternehmen, ihr Potenzial besser zu nutzen, und Arbeitnehmer*innen über 50 Jahren mehr wertschätzen und länger einzusetzen. «Heute ist es sehr schwierig, in dem Alter eine Stelle finden, obwohl die betroffenen Personen während ihrer Laufbahn einen enormen Erfahrungsschatz erarbeitet haben.» Dem Trend, dass Leute früher in Rente gehen, könnten Unternehmen mit flexibleren Arbeitsmodellen entgegenwirken. «Sogar Personen über 65 sind oft daran interessiert, noch einen oder zwei Tage pro Woche weiterzuarbeiten.»

Fachkräftemangel
Stellen in den MINT-Berufen zu besetzen, ist in der Schweiz besonders schwer, zeigt das Fachkräftemangel-Ranking der UZH.

Saskia Riat vom Hofmatt arbeitet viel mit Aushilfen zusammen um die Lücken zu schliessen. Seit der Lockdown vorbei ist, sei das Alltag für sie. «Die Aushilfen sind unter anderem auch Bekannte oder Freunde.» Eine andere Möglichkeit sind Stellenvermittlungsbüros, dies ist aber wiederum mit zusätzlichen Kosten verbunden.» Das ist aber eine Notlösung: «Auf längere Sicht ist der Personalmangel aber sehr unangenehm und demotivierend für unser bestehendes Personal.»

Riat würde sich wünschen, dass es eine andere Strategie gäbe, um Arbeitslosen Jobs zu vermitteln. «Bei uns kann man auch als Ungelernter eine Stelle als Servicekraft übernehmen. Aber leider werden uns solche Leute bisher nicht vermittelt.» 

Alles locker bei der Pharma

Zwei Unternehmen scheinen aber keine Probleme zu haben. Zwar ist die Pharma im Arbeitskräftemangel-Rating auf Platz 3, aber Roche und Novartis spüren keine Notlage. «Bei Roche in der Schweiz können wir aktuell alle offenen Stellen mit qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern besetzen», heisst es auf Anfrage von der Medienstelle. Ähnlich klingt es bei Novartis: «Mit zwei Ausnahmen beobachten wir aktuell keinen Fachkräftemangel.» Lediglich gewisse Lehrstellen seien schwierig zu besetzen, da sich zu wenig geeignete Interessierte dafür bewerben würden. Ausserdem gebe es Technologien, bei denen nur wenige Berufsleute über die nötige Erfahrung verfügten. Hier sei der Markt angespannter.

Ein Vorteil für Roche und Novartis als Teil der international geprägten Pharma-Branche dürfte wohl sein, dass sie weltweit rekrutieren können. Nach eigenen Angaben hat die Roche 14’400 Mitarbeiter*innen aus über 100 Nationen.

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