Richterin: «Klima schützen ist kein Verbrechen»
Fünf Klimaaktivist*innen wurden vom Basler Strafgericht in allen Anklagepunkten freigesprochen. Die Richterin warnte davor, das Urteil als Freipass für künftige, militantere Aktionsformen zu nehmen.
Das Basler Strafgericht eröffnete das Urteil gegen die Klimaaktivist*innen am Freitag, den 22. Januar, kurz nach 10 Uhr. Die Angeklagten wurden von sämtlichen Anklagepunkten, der Nötigung, der mehrfachen qualifizierten Sachbeschädigung, des Landfriedensbruchs und des Hausfriedensbruchs, freigesprochen.
Rund 100 Aktivist*innen hatten im Sommer 2019 die UBS-Filiale am Aeschenplatz mit Kohle und Ästen verbarrikadiert, um gegen die Investitionen der Bank in den Abbau fossiler Energien zu protestieren. Die Polizei räumte die Blockade nach einer Anzeige der Bank, mehrere Aktivist*innen wurden vorübergehend festgenommen. Die Staatsanwaltschaft verschickte knapp 60 Strafbefehle an Aktivist*innen. Weil sämtliche Angeklagte gegen die Strafbefehle Einspruch erhoben, war es am Strafgericht zum Prozess gekommen. Die fünf Aktivist*innen waren die ersten der Prozessreihe, die vor Gericht erscheinen mussten.
Das Urteil war mit Spannung erwartet worden. Nebst den Angeklagten hatten sich zirka 50 solidarische Demonstrant*innen vor dem Gerichtsgebäude eingefunden, ebenso eine grosse Anzahl Journalist*innen. Vor allem die Begründung sorgte in den Gängen sowie auf dem Vorplatz für rege Diskussionen.
Der Grund: Das Strafgericht von Renens, einem Lausanner Vorort, hatte im Januar 2020 zwölf Klimaaktivist*innen in erster Instanz freigesprochen. Sie hatten aus Protest gegen Klima-Investitionen in einer Credit-Suisse-Filiale Tennis gespielt. Begründung des Richters: Das Vorgehen der Aktivisten sei notwendig und angemessen gewesen, weil es sich bei der Klimakrise um eine reale Gefahr handle.
Die heute Freitag in Basel angereisten Journalist*innen fragten sich deshalb: Würde die Strafgerichtspräsidentin Susanne Nese den Klimanotstand auch in Basel als rechtfertigenden Grund für die Blockade der Bank berücksichtigen?
Kurze Antwort: nein. Nese setzte vielmehr alles daran, mögliche Vergleiche mit dem Fall von Renens zu unterbinden.
Die Frage, ob das Blockieren einer Bank als legitimer Ausdruck einer Notwehr gegen den drohenden Klimawandel zulässig sei, wie das die Verteidigung geltend gemacht hatte, müsse unbeantwortet bleiben, sagte Nese.
«Dem Gericht ist bewusst, dass die Antwort auf diese Frage interessant gewesen wäre, gerade weil sie von verschiedenen Gerichten in unterschiedlichen Kantonen unterschiedlich beantwortet wurde. Das Bundesgericht hat sich zur Frage des Klimanotstandes als Rechtfertigungsgrund noch nicht geäussert. Das wird aber noch kommen», sagte Nese. Und fuhr fort:
«Es wird heute nicht über den Klimanotstand befunden. Wir sind hier in einem Strafverfahren. Prüfmassstab ist das Strafgesetz und nicht die Klimapolitik.»
Dann äusserte die Strafgerichtspräsidentin doch noch einen Satz, der in Erinnerung bleiben wird:
«Klimaschützen ist kein Verbrechen. Es ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag und die Aufgabe für uns alle.»
Die entscheidende Frage für das Gericht sei es aber: «Was darf man machen, um das Klima zu schützen?» Diese Frage hat das Gericht mit Blick auf die konkrete Aktion bewertet und anhand der Beweise beurteilt.
Eine der Angeklagten reagierte nach dem Prozess vor dem Gericht gegenüber Bajour auf das Urteil.
Die Urteilsbegründung
Hier wechselte die Richterin die Flughöhe, sprach nicht mehr von Klimanotstand, sondern ganz konkret über die juristischen Details und die Anklagepunkte der Strafbefehle. Die Absenderin derselben, die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt, kam hierbei nicht gut weg.
Die Richterin bemängelte, es hätte in mehreren Punkten gar nicht zu einer Anklage kommen müssen. Die Aktion vor der Basler UBS-Filiale sei zu keinem Zeitpunkt von einer aggressiven Grundstimmung getragen worden. Es habe sich folglich nicht um eine «Zusammenrottung» gehandelt und so seien wesentliche Voraussetzungen für den Tatbestand «Landfriedensbruch» nicht erfüllt.
Auch dass die ersten Strafbefehle von der Staatsanwaltschaft bereits einen Tag nach der Aktion, als einige Aktivist*innen noch in Untersuchungshaft sassen, verschickt wurden, kritisierte Nese als voreiligen Akt. Damit sei die Richtung für alle weiteren Fälle vorgegeben gewesen.
Denn: Auch im Strafbefehlsverfahren müsse selbstverständlich der generelle und individuelle Sachverhalt geklärt sein, sagte die Richterin. Und wenn die Staatsanwaltschaft in Abwägung der erforderlichen Ressourcen diese Sachverhalte nicht oder nur sehr pauschal klären wolle, dann müsse sie auch mit der Konsequenz einer Beweislosigkeit rechnen.
Die Stawa dürfe sich also über einen Freispruch nicht wundern, meinte die Richterin.
«Wenn die Staatsanwaltschaft die Sachverhalte nur sehr pauschal klären will, dann muss sie auch mit der Konsequenz einer Beweislosigkeit rechnen.»Strafgerichtspräsidentin Susanne Nese
Ausgedeutscht heisst das: Die Stawa hatte sich offenbar nicht die Mühe gemacht, für jede*n der Aktivist*innen einen individuellen Strafbefehl auszustellen. Sie hat einfach Sammelanklagen gegen mehrere Leute erhoben, die sich nach der Abmahnung der Polizei nicht schnell genug vom Ort entfernt hatten und durch ihre weissen Overalls als Teil der Gruppe erkennbar waren.
Für die Strafbefehle hatte die Staatsanwaltschaft zunächst auch die Anklage der UBS im Rücken, die Anzeige erstattet hatte wegen Hausfriedensbruch, Nötigung und Sachbeschädigung.
Aber als die Bank am 22. Dezember ihre Strafanträge zurückzog mit der Begründung, sie habe sich mit den Aktivist*innen auf einen Vergleich geeinigt, da lag die ganze Beweislast plötzlich bei der Staatsanwaltschaft.
Bankangestellte, die sich von der Aktion gestört gefühlt hatten, liessen sich keine mehr finden. Im Gegenteil, ein Banker, der am 8. Juli in dem Gebäude arbeitete, sagte als Zeuge vor Gericht, die Aktion sei durchaus interessant gewesen. Die Nötigung konnte damit nicht bewiesen werden. Der Hausfriedensbruch wurde durch den Rückzieher der Bank hinfällig. Selbst der Einsatzleiter der Polizei, der als Zeuge befragt wurde, sagte, die Stimmung sei durchweg friedlich gewesen. Landfriedensbruch: gestrichen.
«Schweizer Geld zerstört die Welt»
Blieb noch die Sachbeschädigung. Die sei, so Richterin Nese, zwar in einem Fall bewiesen, denn eine der Angeklagten hatte mit Kohle den Spruch «Schweizer Geld zerstört die Welt, wir tolerieren das nicht mehr» auf eine Wand geschrieben.
Aber weil der Schaden, den dieser einzelne Slogan verursachte, unter 10’000 Franken lag, gilt er nicht mehr als «grosser Schaden». Damit war diese Sachbeschädigung kein Offizialdelikt mehr, das die Staatsanwaltschaft von Gesetzes wegen verfolgen muss, sondern ein Antragsdelikt. Und die Bank war ja nicht mehr an einer Strafverfolgung interessiert. Darum auch hier: Freispruch.
Beide Parteien, die Aktivist*innen und die Staatsanwaltschaft, haben nun zehn Tage Zeit, auf das Urteil zu reagieren und allenfalls Einspruch zu erheben.
Wenn das nicht passiert und die Urteile rechtskräftig werden, dann hat das Folgen für viele der über 50 weiteren Angeklagte dieser Prozessreihe. Das Urteil könnte auf weitere Verfahren mit identischen Anklagepunkten ausgedehnt werden, sie wären damit ebenfalls freigesprochen.
Die Mahnung der Richterin
Ganz zum Schluss wagte die Richterin eine Prognose. Denn seit der UBS-Blockade am 8. Juli 2019 ist es schon zu weiteren Klima-Aktionen gekommen. Mit weiteren sei zu rechnen:
«Es ist folglich absehbar, dass es zu weiteren Prozessen mit gleicher und ähnlicher Thematik kommen wird», sagte Nese, «wenn die Schnittmenge mit radikal systemfeindlichen Kreisen grösser und grösser wird.» Das Urteil sei keinesfalls ein Freipass für künftige, allenfalls militantere Aktionsformen.
Das Urteil, fuhr Nese fort, beziehe sich lediglich auf diese spezifische Aktion vom Juli 2019, die, wie der Prozess gezeigt habe, «friedlich, gefahrenfrei, im grossen Teilen kreativ, bedacht und nachhaltig in der Absicht» verlaufen sei. Es sei bei dieser Aktion eben nicht um «blinden Vandalismus» und «provozierende Konfrontation» hinter vorgeschobener politischer Motivation gegangen. Sondern es ging, so Nese weiter, «um das Artikulieren grosser und grösster Zukunftssorge».
«Und in dem Sinne bin ich eben schon mit Ihnen einverstanden», sagte die Gerichtspräsidentin zum Schluss: «Klima schützen ist kein Verbrechen.»