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Gesellschaft

Bald mehr psychologische Unterstützung für Geflüchtete?

Bei der psychischen Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden besteht Handlungsbedarf. Auf Initiative von Privaten entstehen Unterstützungskonzepte in der psychosozialen Arbeit mit Geflüchteten.

09/05/22, 12:56 PM

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Dieser Artikel ist zuerst bei der P.S. Zeitung erschienen. Die P.S. gehört wie Bajour zu den verlagsunabhängigen Zeitungen der Schweiz.

Während geflüchtete Menschen in Ungewissheit wartend in Asylzentren sitzen, plagen sie Flashbacks, Albträume und grosse Ängste. Viele bräuchten dringend eine traumaspezifische psychiatrische oder psychologische Behandlung.

Während geflüchtete Menschen in Ungewissheit wartend in Asylzentren sitzen, plagen sie Flashbacks, Albträume und grosse Ängste. Viele bräuchten dringend eine traumaspezifische psychiatrische oder psychologische Behandlung. (Foto: Mojtaba Ravanbakhsh / Unsplash)

Krieg und Flucht reissen tiefe Wunden in die Psyche. Die heulenden Sirenen und nicht enden wollenden Bombeneinschläge, die Todesangst in kalten Bunkern ohne Wasser und Strom, der Verlust von Liebsten und allem, was man sich im Leben aufgebaut hat – das erschüttert jeden Menschen bis ins Mark. Wer es in die Schweiz schafft und hier einen Asylantrag stellt, hat Traumatisches erlebt. 

Ausser Lebensgefahr können Geflüchtete die schlimmen Erlebnisse erst verarbeiten. Während sie in Ungewissheit wartend in Asylzentren sitzen, plagen sie Flashbacks, Albträume und grosse Ängste. Manche sind übertrieben schreckhaft, kommen gar in paranoide Zustände. Nicht selten ruft der erlebte psychische Stress körperliche Symptome hervor wie Herzrasen, Zittern, Kopfschmerzen, Übelkeit oder überwältigende Müdigkeit. Auch Depressionen und Suizidgedanken werden häufig berichtet.

In dieser Situation ist zusätzlich belastend, keiner Beschäftigung nachgehen zu können und untätig in engen Platzverhältnissen sich selbst überlassen zu sein. Räumliche Enge und fehlende Rückzugsmöglichkeiten wirken sich besonders negativ auf Menschen aus, die womöglich an einer Traumafolgestörung leiden. Keine Privatsphäre zu haben, kann das Fass zum Überlaufen bringen. Betroffene können ihre Symptome nicht mehr regulieren, die Situation eskaliert. 

«Sie brauchen dann zwingend eine traumaspezifische psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung, um ihr Leiden zu lindern. Unbehandelt droht sich die Krankheit zu chronifizieren und ihr Leben lang zu begleiten», erklärt Psychiater und Psychotherapeut Oliver Schwald, der unter anderem sechs Jahre das Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer (AFK) des Schweizerischen Roten Kreuzes in Bern ärztlich geleitet hat. 

Zahlreiche Versäumnisse

Geholfen wird traumatisierten Geflüchteten etwa in den schweizweit fünf AFK, die im Verbund Support for Torture Victims zusammengeschlossen sind. Doch solche Behandlungsplätze sind rar und die Wartezeiten lang. «Wir haben Kapazität für ungefähr 200 Personen. Rund 60 Neueintritte sind es pro Jahr. Die Wartefrist ist aktuell neun Monate», informiert Naser Morina, der Leiter des AFK am Universitätsspital in Zürich. «Das ist natürlich viel zu lang», gesteht Morina, der selbst als Psychologe und Psychotherapeut tätig ist.

In der Schweiz besteht seit je eine gravierende Versorgungslücke an spezialisierten Behandlungsangeboten für Asylsuchende. Besonders in der Deutschschweiz ist die Unterversorgung gross. Im Vergleich zur Westschweiz wurde wenig dagegen unternommen. Neue Angebote wurden in den letzten Jahren kaum geschaffen. Weniger als 10 Prozent erhalten in der Deutschschweiz schätzungsweise ihre benötigte Behandlung. In der Westschweiz sind es immerhin zwischen 30 bis 70 Prozent. 

Genaue Zahlen fehlen, da man es bisher versäumt hat, schweizweit repräsentative Daten zur psychischen Gesundheit von Asylsuchenden zu erheben. Obwohl psychometrische Fragebögen für ein frühzeitiges Screening lange bereitstehen, werden diese in den Zentren des Bundes und der Kantone nicht systematisch angewendet. Fachpersonen äussern in Umfragen, es bestehe eine Vermeidungstendenz seitens der involvierten Akteur­Innen, psychische Krankheiten bei Asylsuchenden überhaupt zu diagnostizieren. 

Hilfe muss rasch kommen

Dabei ist mindestens die Hälfte der in der Schweiz lebenden vorläufig Aufgenommenen und anerkannten Flüchtlingen mit psychischen Problemen konfrontiert. Die Schätzungen von Fachpersonen gehen gegen 60 Prozent. Nochmals mehr sind es bei den Jugendlichen. Nicht jede geflüchtete Person ist von einer Traumafolgestörung betroffen – jedoch der Grossteil von Postmigrationsstressoren. 

 Asylverfahren sind langwierig und belastend. Nicht zu wissen, ob man ein Aufenthaltsrecht bekommt und die Familie nachziehen oder jemals eine Ausbildung oder Arbeit aufnehmen darf, lässt die Betroffenen ohnmächtig und fremdbestimmt zurück. Das kann die psychische Situation deutlich verschlechtern. 

 Die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SRAA) übt in diesem Zusammenhang regelmässige Kritik am 2019 verschärften Ausländer- und Integrationsgesetz. Die erweiterten Integrationskriterien in der Gesetzesrevision würden unverhältnismässig streng angewendet und verunsicherten stark. Die Hürden für Aufenthaltstitel seien unnötig hoch. Das hat die SBAA anhand von Fallbeispielen dokumentiert.  

«Integrationsschwierigkeiten wirken sich negativ auf den psychischen Gesundheitszustand aus. Deswegen ausbrechende Traumafolgeerkrankungen können wiederum die Integration behindern. Es besteht eine enge Wechselwirkung zwischen den psychosozialen Belastungen nach der Flucht und klinisch erkennbaren Traumafolgestörungen bei Geflüchteten», fasst Morina seine Forschungsergebnisse zusammen.

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Auch die nächste Generation leidet darunter. Kinder von psychisch stark belasteten Eltern haben ein erhöhtes Risiko, selbst später psychische Auffälligkeiten zu entwickeln.

Laut Studien benötigen Asylsuchende in der Mehrheit deshalb möglichst früh Unterstützung im Umgang mit den psychosozialen Belastungen im Asyl- und Integrationsprozess. Sogenannte niederschwellige Beratungsangebote und psychosoziale Interventionen können dazu beitragen, dass Geflüchtete ihre Situation besser bewältigen. Niederschwellig bedeutet, dass die Hilfe möglichst einfach ohne Überweisung durch medizinische Fachpersonen für eine grössere Zielgruppe zugänglich ist. 

Im Sinne einer Subsidiarität ergänzen solche Angebote die spezialisierte Gesundheitsversorgung. Die Massnahmen konzen­trieren sich in Form von Selbsthilfe auf Psychoedukation, Stabilisierung und die Aktivierung eigener Ressourcen. Die Interventionen sind auf eine kurze Dauer ausgelegt, wobei die Intensität variieren kann. 

«In vielen Fällen kann so verhindert werden, dass Geflüchtete, die zwar psychisch belastet, aber noch nicht klinisch erkrankt sind, manifeste Störungen entwickeln. Auch in einem Therapieverlauf wirken sich solche Interventionen positiv aus. Sie vermögen die Behandlungsaussichten zu erhöhen und die Therapiedauer zu verkürzen», erläutert Morina. 

Private entwickeln innovative Lösungen

Die meisten der heute in der Schweiz bestehenden Kurzinterventionen für psychisch belastete Asylsuchende befinden sich erst noch in der Planung oder sind Pilotprojekte von bescheidener Reichweite. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat dies Ende 2021 in detaillierten Steckbriefen zu insgesamt zehn Initiativen dokumentiert. 

Unter den Projekten findet sich etwa ComPaxion – Transkulturelles Psychosoziales Counseling. Initiant ist der Verein Paxion, der psychosozialen Support von Geflüchteten für Geflüchtete anbieten will. Esther Oester, die Gründerin und Ökonomin mit langjähriger Managementerfahrung unter anderem in Entwicklungszusammenarbeit und Public Health, sagt: «Unser Ziel ist, den bewährten Beratungsansatz Value Based Counseling von unserem internationalen Partner Ipso – International Psychosocial Organisation – nachhaltig in der Schweiz einzuführen.» 2004 hat Ipso die Methode der «werteorientierten Beratung» in Afghanistan entwickelt und seither in Deutschland und vielen anderen Ländern eingesetzt. Geflüchtete mit einer relevanten fachlichen Qualifikation aus ihrem Land werden danach selbst zu BeraterInnen weitergebildet. Sie erhalten so nachhaltig Arbeit und Lohn und sichern anderen Geflüchteten psychosoziale Unterstützung in deren Sprachen zu, die sensibel auf die Wertesysteme in deren Herkunftsgesellschaften ausgerichtet sind. Oester sagt: «Gerade die psychische Gesundheit unterliegt einem sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Verständnis und ist vielfach stigmatisiert. Im Rahmen von Value Based Counseling kennen Counselors die jeweiligen gesellschaftlichen Werte und Codes, da sie aus dem gleichen Herkunftskontext stammen. Weil sie dieselbe Sprache sprechen, kann schnell Vertrauen und eine Beziehung aufgebaut werden. Die Herkunft aus demselben oder einem Nachbarland wird als Ressource in den Counselings genutzt.»

Für die Wirksamkeit dieser Interventionsform gibt es auch wissenschaftliche Evidenzen. «Das Coping mit den psychosozialen Stressoren verbessert sich signifikant», sagt Oester. «KlientInnen, die unter psychischen Belastungsstörungen litten, konnten sich bereits in fünf bis acht Sitzungen von einer Stunde psychisch stabilisieren und in ihren Bewältigungsstrategien gestärkt werden. Das half ihnen, ihre Handlungsfähigkeit wiederzuerlangen und sich besser auf Bildung, Arbeit und das gesellschaftliche Leben zu konzen­trieren», führt sie aus.

Während der Covid-19-Pandemie konnte Paxion schon im Auftrag des Staatssekretariats für Migration (SEM) in einem Bundesasylzentrum ein Pilotprojekt «Video-Counseling» durchführen. Erfahrene Counselors aus Beratungsstellen von Ipso in Deutschland haben Asylsuchende in der Schweiz per Video beraten. «Wir konnten aufzeigen, dass die Kurzzeit-Gesprächs-Interventionen nach Value Based Counseling auch im Schweizer Kontext und online funktionieren», sagt Oester. Doch das Projekt wird nicht definitiv eingeführt – trotz durchwegs positiver Evaluation des Pilots. 

Bewusstsein wächst langsam

Im Rahmen der nationalen Integrationsagenda stellt eine ExpertInnengruppe fest, dass ganze 30 Prozent aller Personen im Asyl- und Integrationsprozess vor allem aus gesundheitlichen Gründen überhaupt kein Potenzial für den hiesigen Bildungs- und Berufsmarkt haben. Es ist zu erwarten, dass sie zeitlebens auf Sozialhilfe angewiesen sind. Es fehlt in der Integrationsförderung an zielgerichteten Massnahmen an der Schnittstelle zum Gesundheitsbereich, um dieser Gruppe von Menschen zu helfen, sich psychisch zu stabilisieren und Fuss zu fassen. Durch den Krieg in der Ukraine und die vielen zusätzlichen Personen mit Schutzstatus S wird der Bedarf an solchen Massnahmen nochmals deutlich steigen. 

 Das SEM wurde aktiv und startete im Mai dieses Jahres das Programm «Stabilisierung und Ressourcenaktivierung von Personen mit besonderen Bedürfnissen». In einer Ausschreibung waren die Kantone eingeladen, innovative Projekte zur psychischen Gesundheitsversorgung im Asylwesen einzureichen. Überzeugten die Angebote, erhielten sie eine Mitfinanzierung, die vorgeschlagenen Massnahmen bereitzustellen. Bis zu 50 Prozent der Gesamtkosten an einem Projekt verspricht das SEM zu tragen. 

ComPaxion hat mit dem Kanton Aargau einen Unterstützer erster Stunde. Oester sagt: «Schon im September 2020 hat er uns eine beträchtliche Beitragsleistung aus dem Swisslosfonds zugesichert – sofern wir die restliche Anschubfinanzierung für den Start des Projekts sichern können.» Nun hat der Kanton Aargau das Projekt ComPaxion bei der Ausschreibung des SEM eingereicht und erhielt prompt eine Zusage. Damit kann er seine bisherige Unterstützung verdoppeln. Mit dem Kanton Zug ist Paxion im Gespräch für eine vergleichbare Zusammenarbeit. 

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Das Pilotprojekt kann voraussichtlich Anfang 2023 starten. Dann werden rund 20 vorqualifizierte Personen mit Flucht- oder Migrationserfahrung gesucht, die als Counselors tätig werden wollen. Mitbringen sollten sie möglichst eine Vorbildung aus dem eigenen Land in Psychologie, medizinischen oder sozialen Berufen. Die Weiterbildung knüpft an diese Vorkenntnisse an, auch wenn ihre Diplome in der Schweiz nicht anerkannt sind. Weiter sollten sie der deutschen sowie einer der häufigsten Sprachen von Asylsuchenden mächtig sein – das sind Tigrinja, Dari/Farsi, Arabisch, Ukrainisch und Kurdisch. 

Inklusive Praktikum in einer kantonalen Asylunterkunft dauert die Weiterbildung voraussichtlich ein Jahr. Bei bestandener Abschlussprüfung können die Counselors anschliessend in einer Beratungsstelle des Projekts arbeiten. 

 «Wenn die Beratungsstellen laufen, gilt es noch die wiederkehrenden Kosten für die Beratungseinheiten zu sichern. Diese sollten möglichst durch Gesundheits-, Sozial-, Inte­grations- oder Bildungsbudgets auf kantonaler Ebene finanziert werden», erklärt Oester. Der Kanton Aargau will die Einführung von leistungsbezogenen Kostengutsprachen genauer prüfen. Damit Angebote wie ComPaxion bestehen bleiben, muss in den Kantonen jeweils eine Institution gefunden werden, die bereit ist, nach Projektende die laufenden Betriebskosten zu übernehmen. Ohne nachhaltige Integration ins staatliche Regelsystem müsste deren Fortführung durch Spenden unterstützt werden oder die Angebote gingen wieder ein.

Behandlungsbarrieren abbauen

«Unsere Counselors schliessen ihre Weiterbildung mit Zertifikat ab. Damit wird ein neuer anerkannter Beruf für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung pilotiert», sagt Oester. Auch KlientInnen werden für den Bildungs- und Arbeitsmarkt gerüstet. Voraussichtlich lassen sich so für den Staat etliche Kosten einsparen. Nicht nur die Sozialhilfe fällt bestenfalls weg, auch allenfalls sonst notwendig gewordene medizinische und therapeutische Kosten oder weitere Folgekosten bei Betreuung, Justiz und Polizei. 

 Da Peers die Behandlungen anbieten, werden keine interkulturell Dolmetschenden benötigt. Diese wären sonst notwendig, um die Sprache zu übersetzen und den sozialen und kulturellen Hintergrund in Bezug auf ein unterschiedliches medizinisches Verständnis zu berücksichtigen. Peer-to-Peer-Selbsthilfen sind auch in der Not entstanden, um sprachlichen und soziokulturellen Behandlungsbarrieren zu begegnen. 

 «An qualifizierten Dolmetschenden für die gängigen Sprachen mangelt es in der Schweiz zwar nicht. Auch werden sie gut über die rund 20 regionalen Vermittlungsstellen begleitet und gefördert, beispielsweise mittels Intervisionsgruppen und Weiterbildungsangeboten», sagt Lena Emch-Fassnacht, die Geschäftsleiterin von Interpret, der nationalen Fachstelle für interkulturelles Dolmetschen. «Aber es ist weder national noch kantonal einheitlich geregelt, wer interkulturell Dolmetschende bezahlt – obwohl deren Nutzen und Notwendigkeit allgemein anerkannt sind», klärt sie auf. Insbesondere bei Zugewanderten am Anfang des Integrationsprozesses ist die einwandfreie Verständigung während der Behandlung nur unzureichend möglich. Um das Leiden der Betroffenen wirklich zu verstehen und komplexe Krankheitsbilder richtig zu erkennen, müsste zwingend eine interkulturell dolmetschende Person beigezogen werden.

 Nur im Kanton Waadt übernimmt die öffentliche Hand die Übersetzungskosten. In anderen Westschweizer Kantonen übernehmen dies öfters grössere Spitäler, Universitätskliniken und Psychiatrien. In der Westschweiz gibt es viel mehr migrationsspezifische Strukturen zentral bei der staatlichen Gesundheitsversorgung.

In der Deutschschweiz werden Asylsuchende mit psychischen Problemen primär dezentralisiert in privaten Arzt- und Psychotherapiepraxen behandelt. «Die Zusammenarbeit mit Dolmetschenden scheitert an der fehlenden Finanzierung. Weil die obligatorische Krankenversicherung keine Übersetzungskosten deckt, müssten Fachpersonen die Kosten selbst tragen. Kostendeckend anbieten, kann das niemand», erklärt Emch-Fassnacht.

Wie Schwald, der heute im Interdisziplinären Zentrum für psychische Gesundheit Sollievo.net in eigener Praxis tätig ist: «Die Finanzierung erfolgte bisher durch mich und den Verein Papilio, der gegründet wurde, um Übersetzungen im Therapiekontext zu finanzieren. Leider muss sich dieser aufgrund von Ressourcenknappheit im Vorstand bis Ende 2022 voraussichtlich auflösen. Das erhöht die Barrieren für Geflüchtete, die Therapie benötigen.» Emch-Fassnacht sagt: «Durch eine Deckung der Übersetzungskosten hätten traumatisierte Geflüchtete rascher Zugang zur Therapie, da auch geeignete PsychotherapeutInnen in Privatpraxen und in der Regelversorgung Traumatherapien für geflüchtete Personen ohne ausreichende Kenntnisse der Landessprachen anbieten könnten.»  

Zusammenarbeit stärken

Fachpersonen appellieren in einer Massnahmenempfehlung ans BAG, dringend eine Lösung für die Finanzierung von Dolmetschkosten zu finden. Das Thema sei «prioritär zu behandeln». Doch Bund und Tarifpartner wie Versicherer und Leistungserbringer schieben sich weiter gegenseitig die Verantwortung zu. Ende 2019 lehnte der Bundesrat eine entsprechende Motion im Nationalrat ab. Damit hätte die Tarmed-Tarifstruktur angepasst werden sollen, um im ambulanten Bereich Dolmetschdienste in die Leistungserbringung einbeziehen zu können. Zwar anerkannte der Bundesrat, dass «das Dolmetschen in der Psychotherapie und insbesondere in der Traumabehandlung ein unverzichtbares Instrument ist», doch er sehe «keinen Anlass, die Tarmed-Tarifstruktur in eigener Kompetenz anzupassen». Die Tarifpartner sollten Kostenanteile für diesen Aufwand «im Rahmen der Tarifautonomie» in ihre vertraglich vereinbarten Tarife einfliessen lassen.

 Solange das Problem der Dolmetschkosten nicht gelöst ist, wird es auch weiter zu wenig TherapeutInnen geben, die Asylsuchenden Traumabehandlungen anbieten können. Und auf genügend spezialisierte Therapieplätze sind niederschwellige psychosoziale Behandlungsangebote wie ComPaxion angewiesen. Schwere Fälle müssen an spezialisierte traumatherapeutische Stellen weitervermittelt werden können, die dolmetschergestützt arbeiten.

In Deutschland ist die Situation vergleichbar und wird ebenfalls kritisiert. Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) schreibt in einem Positionspapier: «Peer-Programme sollten immer in enger Verbindung mit dem bestehenden professionellen Regelsystem stehen». Die BAfF weist weiter darauf hin, dass Peer-Programme «kein Allheilmittel für jahrelang versäumte Missstände» sind und «keine kostengünstige Alternative für Mängel in den bestehenden Versorgungsstrukturen» darstellen dürfen. «Die Öffnung des Regelsystems muss weiterhin als Ziel vorangetrieben werden», plädiert die BAfF.

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