Bundesgerichtsurteil: Basler Staatsanwaltschaft muss DNA von Klima-Aktivist*innen löschen
Weil sie eine Bank blockierten, wurden rund 60 Klimaaktivist*innen von der Basler Staatsanwaltschaft abtransportiert und erkennungsdienstlich erfasst. Zu unrecht, urteilt jetzt das Bundesgericht in Lausanne. Die Massnahme war «unverhältnismässig».
Rund 100 Aktivist*innen hatten im Sommer 2019 die UBS-Filiale am Aeschenplatz mit Kohle und Ästen verbarrikadiert, um gegen die Investitionen der Bank in den Abbau fossiler Energien zu protestieren. Sie sangen Protestlieder und beschrieben die Fassade der Bank mit Kohle. «Schweizer Geld zerstört die Welt, wir dulden das nicht mehr», stand da.
Die Polizei räumte die Blockade. Über 50 Aktivist*innen wurden vorübergehend festgenommen und – zum Teil gegen ihren Willen – erkennungsdienstlich erfasst. Das heisst, sie wurden fotografiert, ihnen wurden Fingerabdrücke abgenommen, ein DNA-Profil wurde erstellt.
In der Folge wurden diese über 50 Aktivist*innen von der Basler Staatsanwaltschaft (Stawa) angeklagt. Im Januar dann der Paukenschlag: Das Strafgericht Basel-Stadt sprach im ersten Prozess fünf Aktivist*innen frei. Bajour hat vom Prozess berichtet. Das Urteil wurde mittlerweile auf die folgenden Verfahren ausgedehnt. Bis auf wenige Aktivist*innen, denen das Urteil nicht zugestellt werden konnte, sind alle Angeklagten rechtskräftig freigesprochen.
Kampf um die «Informationelle Selbstbestimmung»
Der «Basler Klimaprozess» hatte noch einen Nebenschauplatz. Die Aktivist*innen hatten gegen die erkennungsdienstliche Massnahme Einsprache erhoben – und erhielten vom Basler Appellationsgericht teilweise recht. Das Erstellen von DNA-Profils sei unnötig gewesen, urteilte das Appellationsgericht. Die Staatsanwaltschaft sah das anders und legte Rekurs ein.
Auch die Aktivist*innen waren nicht ganz zufrieden und wollten ihrerseits, dass das ganze erkennungsdienstliche Massnahmenpaket, also nicht nur die DNA-Profile, sondern auch die Fingerabdrücke, aus der Datenbank der Strafbehörde gelöscht wurde. So landete der Fall vor Bundesgericht.
Urteil: Massnahmen waren unverhältnismässig
Dieses hat nun einen aufsehenerregenden Entscheid getroffen. Die Massnahme der Staatsanwaltschaft wird darin in Bausch und Bogen verurteilt und die Löschung der DNA-Profile, sowie der Fingerabdrücke wird angeordnet. Das steht auch in der Medienmitteilung zum Urteil, die das Bundesgericht veröffentlichte. Die von der Staatsanwaltschaft ergriffenen Massnahmen hätten sich nach einer Prüfung der entgegenstehenden privaten und öffentlichen Interessen als «unverhältnismässig» erwiesen.
Begründung: Zur Abklärung der im Kontext der Bankenblockade konkret untersuchten Tatbestände, zum Beispiel der Teilnahme an der Aktion, oder das Anbringen von Kohleschmierereien, seien die DNA-Profile und die Fingerabdrücke nicht erforderlich. Denn es sei weder bestritten, dass die Betroffenen an der Aktion teilgenommen haben, noch wurden auf beschädigten Gegenständen DNA-Proben und Fingerabdrücke festgestellt.
Die Staatsanwaltschaft hatte das Erstellen der DNA-Profile vor dem Bundesgericht damit gerechtfertigt, dass die Aktivist*innen möglicherweise weitere Delikten mit ähnlicher Stossrichtung begehen werden. Das geht aus einer Medienmitteilung hervor, die der Anwalt einiger der freigesprochenen Klimaaktivist*innen, Andreas Noll, am Dienstagnachmittag verschickte und auf seinem Anwaltsprofil verlinkte. Dort ist auch das Bundesgerichtsurteil einsehbar.
Stawa sieht Überzeugungstäter*innen
Er zitiert in der Medienmitteilung den Standpunkt der Staatsanwaltschaft, der im Bundesgerichtsurteil wiedergegeben wird. Die Stawa hatte demnach geltend gemacht, das es sich bei den Klimaaktivist*innen um Überzeugungstäter*innen handle. «Bei Delikten, die aus Überzeugung bzw. einer Lebensanschauung begangen würden, bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass wieder delinquiert werde.»
Das Bundesgericht weist dieses Argument zurück und hält fest, dass erkennungsdienstliche Erfassungen, die nicht zur Aufklärung der Anlasstat dienen, nur dann verhältnismässig sein können, wenn von einer ernsthaften Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgegangen werden könne. Das bedeutet, wenn Straftaten von einer gewissen Schwere zur Debatte stehen.
«Das Bundesgericht hat mit dem vorliegenden Entscheid einer routinemässigen DNA-Probenahme und -Analyse eine klare Abfuhr erteilt.»Andreas Noll, Anwalt
Pikant: Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt war mit ihrer DNA-Praxis bereits im März 2021 vor Bundesgericht unterlegen. Bajour berichtete. Es ging um einen Mann, der einen Hund gequält hatte und der das Erstellen eines DNA-Profils angefochten hatte. Auch dort stufte das Bundesgericht die Erstellung eines DNA-Profils als unverhältnismässig ein, zumal am Tatort gar keine DNA-Spuren gesichert worden waren.
Nach dem erneuten Bundesgerichtsurteil muss sich die Stawa die Frage gefallen lassen, ob sie mit ihrer Praxis einer offensiven Erhebung und Speicherung sensibler Daten den Bogen überspannt. Der Basler Anwalt Andreas Noll hat die Massnahmen-Praxis der Stawa Basel-Stadt im Rahmen von Gerichtsverhandlungen wiederholt kritisiert und doppelt gegenüber Bajour nach:
«Das Bundesgericht hat mit dem vorliegenden Entscheid einer routinemässigen DNA-Probenahme und -Analyse eine klare Abfuhr erteilt.» Die Staatsanwaltschaft agiere zudem während der Strafverfahren intransparent, so Noll, indem sie die Erstellung eines DNA-Profils «in krasser Verletzung der Strafprozessordnung den Betroffenen nicht mehr eröffnet, sondern nur noch in den Verfahrensakten ablegt». Dadurch werde heimlich eine flächendeckende Vorratsdatensammlung von DNA-Profilen unter Aushebelung des Rechtsschutzes betrieben, «wie wir es sonst nur von Unrechtsstaaten kennen», schreibt Noll.
Das sagen die Parteien
Wird das Verdikt des Bundesgerichts eine Einfluss auf die zukünftige Praxis der DNA-Profilerstellung haben? Was sagt die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt zum Urteil des Bundesgerichts?
Stawa-Sprecher Peter Gill sagt auf Anfrage: «Die Stawa analysiert die Rechtsprechung laufend und passt gegebenenfalls ihre Praxis an.»
Eine Sprecherin des Kollektivs «Climatejustice», das die Blockade der UBS mitorganisiert hatte, äussert gegenüber Bajour die Hoffnung, dass das Urteil eine Kurskorrektur «der Rechtsprechung» bedeute.
«Für die betroffenen Klimaaktivist*innen ist das Bundesgerichtsurteil ein gutes Signal. Grundsätzlich muss jedoch Rechtsprechung wieder die Realität abbilden und das ist nicht der Fall, solange Protest für Menschenrechte und Klimagerechtigkeit vor Gericht gezerrt wird während Schweizer Banken Milliarden in die Förderung fossiler Energien stecken.»
Arbeitet die Stawa mit «Abschreckungseffekt»?
Ein Aspekt aus dem Bundesgerichtsurteil dürfte noch zu reden geben. Einer der Kläger gegen die Massnahmen der Staatsanwalt Basel-Stadt hatte geltend gemacht, dass die Zwangsmassnahmen eine Einschränkung der Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit bedeuteten, weil das Ausüben der Grundrechte mit negativen Konsequenzen verbunden würden.
Das Bundesgericht gibt diesem Standpunkt zumindest teilweise recht. In seinem Urteil schreibt es, die Befürchtung des Beschwerdeführers, die Anordnung dieser Zwangsmassnahmen, beziehungsweise das damit einhergehende Gefühl der «Fichierung» könne zu einem Abschreckungseffekt führen, ist grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen.