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Nachgehakt

Frau Stade, was ist denn nun mit diesem Gleichstellungstest?

Die Gleichstellungskommission Basel-Stadt (GSK) steht in der Kritik: Ihr Gleichstellungstest sei tendenziös und eine linksgrüne Wahleinmischung. Wir haben Anette Stade, Präsidentin der GSK, mit den Vorwürfen konfrontiert.

Adelina Gashi

09/21/20, 02:56 PM

Aktualisiert 09/28/20, 03:35 PM

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Harsche Vorwürfe gegen die GSK: Mit der Publikation der Testresultate der Kandidierenden spreche sie Wahlempfehlungen aus. 
Bild: Tim Mossholder/aga/zei

Harsche Vorwürfe gegen die GSK: Mit der Publikation der Testresultate der Kandidierenden spreche sie Wahlempfehlungen aus. Bild: Tim Mossholder/aga/zei

Die Gleichstellungskommission Basel-Stadt (GSK) hat im Hinblick auf die kantonalen Wahlen einen Gleichstellungstest kreiert. Die Kandidierenden mussten angeben, ob sie Gleichstellungsmassnahmen annehmen oder ablehnen und sich Fragen stellen wie: «Soll familienexterne Kinderbetreuung vom Kanton Basel-Stadt für Eltern kostenlos angeboten werden?». Das passt bürgerlichen Politiker*innen nicht. Sie kritisieren, der Test sei tendenziös, die Resultate von vornherein klar und das ganze nur eine links-grüne Masche, um bürgerliche Kandidierende bloss zustellen. Bajour hat mit Anette Stade, Präsidentin der GSK, gesprochen und sie mit der Kritik konfrontiert.

Anette Stade, bürgerliche Politiker*innen werfen Ihnen vor, die Gleichstellungskomission greife mit dem Test aktiv in den Wahlkampf ein?

Selbstverständlich soll sich die Gleichstellungskommission einmischen – dazu ist sie ja da. Sie hat den Auftrag, dafür zu sorgen, dass der in der Verfassung verankerte Gleichstellungsauftrag umgesetzt wird. Konkret soll sie die Chancengleichheit von Mann und Frau in allen Lebensbereichen voranbringen. Und sie muss gleichstellungsrelevante Themen aufgreifen. Es ist demokratisch relevant zu wissen, wie Kandidierende zu gleichstellungspolitischen Fragen stehen. Wen die Basler*innen wählen, entscheiden sie selbst. Wir haben nicht die Absicht, eine Wahlempfehlung abzugeben.

Das wird aber so wahrgenommen. Laut BaZ unterteilt der Test Kandidierende in «Gleichstellungsprofis» und «Gleichstellungsanfänger».

Nein, niemand wird so eingestuft. Es wird lediglich ausgewertet, zu wie viel Prozent eine Person den Fragen zustimmt. 

Aber laut FDP-Grossratskandidatin Nadine Gautschi bekommt man als Resultat das Prädikat Gleichstellungsprofi, wenn ein*e Politiker*innen allen Gleichstellungsmassnahmen, die Sie vorschlagen, zustimmt. Und Gleichstellungsanfänger*in, wenn man nicht zustimmt.

Das war eine Kommunikationspanne. Die Seite war noch nicht fertig, aber bereits bei Smartvote aufgeschaltet. Das Ranking zwischen Gleichstellungsanfänger*in und Gleichstellungsprofi war nie öffentlich. Das würde dem komplexen Thema und auch den Menschen nicht gerecht werden. Die Politiker*innen haben sich selbst entschieden, den Test zu machen. Wie wir die Ergebnisse darstellen, wird uns als Wahlempfehlung ausgelegt. Die Kritik müssen wir so hinnehmen.

Ist Ihr Gleichstellungstest tendenziös, wie bürgerliche Politiker*innen kritisieren?

Tendenziös heisst heute einfach linkslastig. Gleichstellungsthemen müssen aufgenommen werden, das ist ein verfassungsrechtlicher Auftrag. Und der wird nun mal hauptsächlich, aber nicht ausschliesslich, von linkspolitischen Kreisen aufgenommen. 

In der Vergangenheit haben sich ja auch immer wieder bürgerliche Frauen für Gleichstellungsanliegen engagiert.

Wir tun uns schwer, Frauen aus bürgerlichen Parteien für Gleichstellungsthemen zu begeistern. Obwohl alle in der Pflicht wären. Ich persönlich bedaure das. Ich glaube, eine Demokratie lebt davon, dass möglichst viele verschiedene politische Kreise aushandeln, wie sie Gleichstellung umsetzen wollen. Man kann den Linken doch deswegen nicht den Vorwurf machen, dass sie sich diesem Thema annehmen und Bürgerliche nicht?

Anette Stade, Präsidentin der GSK Basel-Stadt, sagt, politische Bemühungen um Gleichstellung sind ein verfassungsrechtlicher Auftrag. Bild: zVg.

Anette Stade, Präsidentin der GSK Basel-Stadt, sagt, politische Bemühungen um Gleichstellung sind ein verfassungsrechtlicher Auftrag. Bild: zVg.

Wir mischen uns für dich ein.

Sie sagen, linke Politiker*innen würden sich mehr für Gleichstellung einsetzen. Gibt es denn objektive Massstäbe für die Gleichstellung? Auf welcher Basis wurden die Fragen gestellt? 

Sicher gibt es Spielraum, wie man den Verfassungsauftrag auslegt. Allerdings ist das auch nicht beliebig. Der Auftrag lautet zum Beispiel konkret, dass die Behörden verpflichtet sind, Lohngleichheit herzustellen sowie Gleichstellung in Familie, Ausbildung und Arbeit. Zudem haben wir das Gleichstellungsgesetz und internationale Abkommen wie CEDAW, die ein Geschlechterdiskriminierungs-Verbot festlegen. Ferner gibt es wissenschaftliche Daten dazu. Auch darauf beruft sich unser Fragebogen. Es ist wie beim Umweltthema.

Erklären Sie. 

Auch bei der Ökologie gibt es Fakten, wie es ökologisch um unseren Planeten steht. Natürlich kann man daraus unterschiedliche Schlüsse ziehen, gleichwohl gibt es auch unumstössliche Erkenntnisse: Am Ende des Tages braucht es eine Verminderung des Treibhausgas-Ausstosses, wenn wir die Klimakrise hinbekommen wollen. Manches ist faktisch notwendig. Ähnlich ist es bei der Gleichstellung.

Ist Ihr Fokus auf Staatsinterventionen fair? Können bürgerliche Frauen staatskritisch, aber trotzdem für die Gleichstellung sein?

Bei der Gleichstellungspolitik kommt man nicht um staatliche Massnahmen herum. Logisch muss es auch noch andere Massnahmen als staatliche geben. Aber nochmal: Die Gleichstellung steht in der Verfassung. Gleichstellungspolitik ist demnach auch eine Aufgabe von Städten und Gemeinden. Und jede Person, die eine staatliche Aufgabe wahrnimmt, hat zur Gleichstellung beizutragen und das Geschlechterdiskriminierungs-Verbot zu beachten. Wer sich sehr grundsätzlich gegen staatliche Massnahmen im Bereich der Gleichstellung ausspricht, wie es viele Bürgerliche ja machen, kommt deshalb  in einen Konflikt mit demokratischen Grundprinzipien.

Werden wir konkret. Im Test fragen Sie: «Sind Sie der Ansicht, dass Lehr- und Betreuungspersonen hinsichtlich ihrer Genderkompetenzen besser ausgebildet werden sollen?» Diese Frage könnte eine bürgerliche Frau, die sich als Feministin sieht, vielleicht in die Bredouille bringen: Vielleicht findet sie, es sei die Eigenverantwortung der Eltern, ihre Kinder in Genderkompetenzen zu sensibiliseren und nicht der Staat.

Zur Aufgabe der Schule gehört es, die Gleichstellung von Mädchen und Jungen im Schulalltag zu fördern, damit sie ihre Persönlichkeit und ihr Potenzial möglichst frei von der Zuschreibung bestimmter Eigenschaften und Verhaltensweisen aufgrund ihrer Geschlechterzugehörigkeit entfalten können. Das hält der Lehrplan 21 fest. Damit Lehrpersonen diese Förderung wahrnehmen können, müssen sie selber über das nötige Wissen verfügen, um die Schüler*innen auf ihrem Weg zu offenen und selbstbestimmten jungen Erwachsenen zu begleiten.

Wie kommt man zu dem Schluss, wir seien voreingenommen? Von neun Mitgliedern sind lediglich zwei in einer politischen Partei.

Anette Stade

Dasselbe bei folgender Frage: «Sind Sie für eine Elternzeit mit einem verpflichtenden Anteil für Mütter und Väter?» Könnte ja sein, dass eine bürgerliche Frau mit ihrem Mann die Familienarbeit fifty-fifty teilt, sie aber keine staatliche Intervention wünscht, weil sie grundsätzlich gegen staatliche Interventionen ist. Macht sie das weniger glaubwürdig als Gleichstellungspolitikerin?

Es ist hinreichend evaluiert, dass die Schweiz wegen ihren mangelnden, staatlich finanzierten Kinder-Betreuungsangeboten und nicht existierender Elternzeit im OECD-Vergleich auf einem der letzten Plätze ist, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht. Und dass sie dadurch einen gravierenden gleichstellungspolitischen Rückstand hat.

Eltern, Männer wie Frauen, auch bürgerliche, sollen grundsätzlich die Wahl haben, wie sie ihre Elternschaft gestalten. Allerdings ist aus anderen Ländern und Studien bekannt, dass oft die Mütter erneut das Meiste übernehmen und das zu ihrem Nachteil gerät, wenn man bei der Elternzeit nicht explizit einen Teil für Väter definiert. Damit Eltern diese wichtige Zeit unabhängig von den eigenen finanziellen Reserven oder der Grosszügigkeit ihres Arbeitgebers wahrnehmen können, braucht es hier staatliche Interventionen. Gleichstellungspolitisch ist es daher erklärungsbedürftig, sich gegen Elternzeit oder überhaupt gegen staatliche Angebote auszusprechen.

Heisst das, Eigenverantwortung und Gleichstellung schliessen sich aus?

Nein, auch bei einem solchen Modell ist Eigenverantwortung gefragt, es steht ja allen frei, ob sie überhaupt Elternzeit nehmen. Wenn ein Teil der Elternzeit für Väter definiert ist, heisst das nicht, dass Väter ihn nehmen müssen, sondern es heisst, dass deren Anteil nicht einfach auf die Mütter übertragen werden kann.

Es steht die Kritik im Raum, die Mitglieder der Gleichstellungskomission hätten eine politische Schlagseite, etwa SP-Frau Nicole Amacher.

Wie kommt man zu dem Schluss wir seien voreingenommen? Von neun Mitgliedern sind lediglich zwei in einer politischen Partei. Die Mitglieder werden aufgrund von Sachkompetenz in Gleichstellungsfragen in die Kommission gewählt. Wir empfehlen Nicole Amacher nicht zur Wahl, da wir keine Wahlempfehlungen abgeben.

Ebenso wird kritisiert, Genderforscherin und Aktivistin Franziska Schutzbach sei Mitglied der Kommission. Dass man die Fachmeinung von Franziska Schutzbach in Frage stellt ist, ist für mich ein Affront gegenüber den Wissenschaften. Sie ist eine promovierte Geschlechterforscherin. Man kann sich gegen ihre Meinung stellen, aber ihre Fachlichkeit in Frage zu stellen, ist, als würde man einen Klimaforscher und seine Wissenschaftlichkeit in Frage stellen. Auf diese Diskussion lasse ich mich nicht ein, das ist niveaulos.

SVP-Grossrätin Gianna Hablützel-Bürki wirft Ihnen vor, sie als «Frauenhasser*in» darzustellen und ihre Resultate im Test gegen ihren Willen veröffentlicht zu haben.

Gianna Hablützel-Bürki hat sich freiwillig für den Test angemeldet. Im dem Moment, in dem sie sich angemeldet hat, hat sie sich damit einverstanden erklärt, dass die Resultate veröffentlicht werden. Am Schluss wird man gefragt, ob man das Profilbild öffentlich machen will. Hablützel hat das verneint.* Sie hat diese Frage anscheinend damit verwechselt, ob die Resultate veröffentlicht werden sollen oder nicht.

Sie hat direkt mit rechtlichen Schritten gedroht. Selbstverständlich haben wir ihr Profil mit dem Resultat runtergenommen, das tun wir bei allen, die sich rückwirkend umentscheiden und ihre Ergebnisse doch nicht veröffentlichen wollen. Eine Mail an uns genügt. Wir wollen nicht Nebenschauplatz sein für Dinge, die völlig am Thema vorbei gehen. Wenn Hablützel mit ihrem Ergebnis nicht zufrieden ist, ist das so. Unfair ist, dass wir bei Prime News zu den Vorwürfen nicht Stellung nehmen konnten*.

Würden Sie den Test nach dieser Kritik nochmals so, in dieser Form, publizieren?

Nach den Wahlen nehmen wir uns in der Kommission die Zeit, über unsere Learnings zu sprechen und diese in zukünftige Projekte einfliessen zu lassen. Das haben wir vor vier Jahren schon so gemacht, der Test sieht entsprechend anders aus als bei den letzten Wahlen.

Wagen Sie jetzt schon ein Zwischenfazit: Was sind bisher Ihre Learnings?

Das mediale Aufsehen hat gezeigt, dass Gleichstellungsanliegen offenbar für viele nicht selbstverständlich genug sind, und man sich lieber mit Formfragen und Attacken abgibt. In diesem Sinne ist es ein Glück, dass das Thema – trotz oder sogar wegen der Kritik – jetzt für die Wahlen auf dem Tisch ist. Genau das wollten wir, und das hat auch funktioniert. Für mich ist die Gleichstellung aller Menschen in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen eine Grundlage einer funktionierenden Demokratie.

*Anja Sciarra, Co-Redaktionsleiterin von PrimeNews, gibt an, Gianna Hablützel-Bürki für eine kurze Stellungnahme zu ihrem Resultat im Gleichstellungstest kontaktiert zu haben, da sie die tiefste Prozentzahl aller Kandidat*innen erreicht hatte. Dabei soll Hablützel-Bürki unter anderem unerwartet gesagt haben, dass sie kein Einverständnis zur Publikation gegeben habe. Das hat Sciarra so als Zitat und Aussage ihrerseits in den Artikel eingebaut, ohne das als Tatsache oder Fakt darzustellen, sagt sie. Die Gleichstellungskommission hat Sciarra an diesem Abend nicht für eine Stellungnahme kontaktiert. Ihr liegen keine Beweise, wie etwa Screenshots vor, die Hablützel-Bürkis Anschuldigung, das Resultat sei gegen ihren Willen publiziert worden, stützen.

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