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Gewerbe

Krisenplan für Sexarbeiter*innen

Die Corona-Pandemie hat die Prostitution von heute auf morgen lahmgelegt. Wie gehen die Frauen damit um? Ein Gespräch mit Viky Eberhard, Leiterin der Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe «Aliena».

04/13/20, 11:12 AM

Aktualisiert 04/14/20, 09:17 AM

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 Auch eine Art Homeoffice: Manche Frauen versuchen, mit Video-Angeboten die Ausfälle aufzufangen. (Foto: Jp Valery)

Auch eine Art Homeoffice: Manche Frauen versuchen, mit Video-Angeboten die Ausfälle aufzufangen. (Foto: Jp Valery)

Frau Eberhard, ganz simpel gefragt: Wie geht es den betroffenen Frauen?

Viky Eberhard: Es ist eine schwierige Zeit. Vor allem für Sexarbeiterinnen mit Migrationshintergrund bedeutet sie eine Prekarisierung ihrer Situation. In der Regel sichern sie mit ihrem Einkommen ihre Existenz sowie die der Familie im Herkunftsland. Häufig sind keine Rücklagen vorhanden. Frauen mit einem festen Wohnsitz in der Schweiz stehen vor der Herausforderung, die monatlichen Kosten für Miete, Krankenkasse, AHV und so weiter zu bezahlen.

Wir versuchen unkomplizierte Lösungen mit den Frauen, die sich an uns wenden, zu finden. Wir hoffen auf Solidarität: Vermieter*innen, die bereit sind, in den Dialog zu gehen, anstatt bei ausbleibendem Mietzins direkt zu kündigen. Wir bleiben im Gespräch mit den Behörden in Basel und bringen die Anliegen von Sexarbeitenden ein. Und wir von der Aliena sind froh über jede Spende, um jene unterstützen zu können, die nun in eine Notlage geraten sind.

Wie viele Sexarbeiterinnen sind von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen? 

Alle sind betroffen, da sexuelle Dienstleistungen mit der Verordnung vom 16. März verboten wurden.

Im Kanton Basel-Stadt gibt es keine Prostitutionsbewilligung und entsprechend auch keine Bewilligungsstatistik: «Erfasst werden nur Personen, die im Rahmen des Meldeverfahrens aus EU-Staaten nach Basel kommen, um im Erotikbereich zu arbeiten; das sind monatlich durchschnittlich 130 Personen», sagt Sonja Roest, Leiterin des Fachreferats Prostitution des Justiz- und Sicherheitsdepartements Basel-Stadt. Hinzu kommen all jene, die nicht gemeldet werden oder aus Drittstaaten kommen und nicht legal in der Schweiz arbeiten.

«Wir schätzen, dass vor der Coronakrise rund 300 Sexarbeitende pro Tag aktiv waren»

Sonja Roest, Justiz- und Sicherheitsdepartement BS
Foto: Francesca Grima, Unsplash

Foto: Francesca Grima, Unsplash

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Was machen diese Frauen jetzt? 

Die Situation der Frauen ist sehr unterschiedlich.

Manche Frauen haben schon Anfang März ihre Termine in der Schweiz annulliert und sind gar nicht erst angereist. Andere sind nach dem Bekanntwerden der ersten positiven Fälle in ihr Herkunftsland zurückgekehrt. 

Wir unterstützen auch jetzt noch Frauen, die nach Hause reisen möchten. Viele sind aber auch in Basel geblieben. Manche hoffen, dass die Situation bald vorbei ist, und bleiben hier. Für manche ist eine Rückreise nicht möglich, etwa wenn sie selbst einer Risikogruppe angehören oder aufgrund ihrer Biografie keinen mehr Ort haben, an den sie zurückkehren könnten – oder da es keine Optionen zur Rückreise mehr gibt. 

Was geschieht mit den Frauen, die hier bleiben?

Für Sexarbeiterinnen, die in Basel sind und von Obdachlosigkeit bedroht oder von Ausbeutung betroffen sind, wurde zusammen mit dem Justiz- und Sicherheitsdepartement und mit dem Gesundheitsamt ein Krisenplan aufgestellt.

Manche Frauen nutzen ausserdem neue Medien, um Geld mit erotischen Dienstleistungen ohne direkten, physischen Kundenkontakt zu verdienen – etwa als Camgirls.

«Dieser Krisenplan soll die Rückreise unterstützen, Gesundheitsversorgung sicherstellen und im Notfall eine Unterbringung organisieren»

Sonja Roest

Die Fragen der Frauen können sich um das Arbeitsrecht, um die Gesundheit, die Miete, Übersetzungen, aber auch ganz alltägliche Themen wie Einkaufsmöglichkeiten drehen. Auch die Vermittlung von Hilfe bei finanziellen Engpässen oder die Unterstützung bei der Abklärung von Reisemöglichkeiten sind gefragt.

Zudem wurden Bordellbetreibende und Zimmervermieter*innen aufgerufen, Sexarbeitende zu unterstützen. Für die meisten Prostituierten ist es aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse, aber auch wegen der Massnahmen für Branchen wie Gastronomie, Hotellerie oder Detailhandel praktisch unmöglich, einen anderen Job zu finden.

«Schon Anfang März hatten die Frauen wegen Corona fehlenden Verdienst und Angst vor Ansteckung»

Viky Eberhard, Beratungsstelle Aliena

Wurde die Arbeit der Frauen schon vor dem landesweiten Ausnahmezustand am 16. März vom Corona-Virus beeinflusst?

Es gab Sexarbeiterinnen, die deswegen gar nicht erst eingereist sind. Seit Anfang März haben wir Beratungen im Kontext von Covid-19. Die Frauen berichteten davon, oft zu wenige Kunden zu haben, von fehlendem Verdienst deswegen und von Angst vor einer Ansteckung und Sorgen um sichere Arbeitsmöglichkeiten.

Können sich die betroffenen Sexarbeiterinnen für Ausfallentschädigungen anmelden? 

Sexarbeitende, die selbständig erwerbend sind, können einen Antrag auf Erwerbsersatzentschädigung stellen. Hierbei unterstützen wir auf Anfrage. Für Sexarbeitende, die Arbeitnehmerinnen sind, können die Arbeitgeber*innen auch Kurzarbeit beantragen. 

Für Sexarbeitende, die nicht unter die beiden Varianten fallen, ist es schwierig, eine Entschädigung für Einkommensausfälle zu erhalten. Wir von der Beratungsstelle befürworten den Zugang zu solchen Entschädigungen sehr und hoffen, dass die Behörden eine niederschwellige Lösung für diese vulnerable Berufsgruppe anbieten können. 

Unsere Beraterinnen versuchen ihrerseits, den Frauen anhand der Auswirkungen der Krise zu verdeutlichen, weshalb es wichtig ist, dass ihr Einkommen dokumentiert ist und die Sozialversicherungsabgaben bezahlt werden.

Die Beratungsstelle Aliena gehört zum Trägerverein COMPAGNA Basel.

Anlaufstellen für Sexarbeitende in Basel:

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