Die Betteldebatte endet im Rassismusvorwurf

Die Bürgerlichen setzen sich in einer hochemotionalen Debatte durch und überweisen die SVP-Forderung an die Regierung.

Bettelverbot Joël Thüring
Sieg für SVP-Grossrat Joel Thüring.

Oha, da flogen heute ganz schön die Fetzen im Grossen Rat. Kurz vor Feierabend kam es am Mittwochabend zum Show Down. Das Thema: Die Wiedereinführung des Bettelverbots.

Spoiler: Mit 49 Ja-Stimmen zu 43 Nein-Stimmen und einer Enthaltung ist die Motion ein zweites Mal an den Regierungsrat überwiesen worden. Das heisst, dass der Vorstoss nun in der entsprechenden Kommission weiterbehandelt wird. Sie arbeitet einen Gesetzesentwurf aus und innert sechs Monaten kommt das Gesetz erneut retour ins Parlament zur Schlussabstimmung. 

Antragsteller Joël Thüring von der SVP skizzierte in scharfem Ton nochmals, warum Basel das Bettelverbot seiner Meinung nach dringend wieder brauche. Dabei sagte er im Wesentlichen das Gleiche, was er schon seit Monaten auf Social Media und auch in Zeitungs-Interviews herunterbetet: «Die Bettler stören die Bevölkerung». Die Basler*innen würden dieses veränderte Stadtbild nicht wollen.

Zu viele Bettler*innen in Basel

Thüring glaubt – im Gegensatz zu seinen Parteikollegen Felix Wehrli und Christian Meidinger, aber auch Thomas Widmer-Huber (EVP) – zwar nicht, dass die Bettler*innen von einem mysteriösen Mafiaboss angestiftet werden. Aber: «Fakt ist, dass es zu viele bettelnde Menschen in Basel gibt». Er habe etwa 100 Bettler*innen gezählt und benutzte das Wort «Bettelorgie». 

In diesem Zusammenhang schoss Thüring auch scharf gegen die SP und deren Parteipräsident Pascal Pfister: «Ihr müsst einsehen, dass ihr euch getäuscht habt. Die Situation hat sich im Winter nicht verbessert, wie ihr im Sommer noch vorhergesagt habt.» Der Hintergrund: Basel hatte ein Bettelverbot – bis Ende Juni. Die SP hatte sich, zusammen mit den anderen linken Parteien, für die Liberalisierung eingesetzt. Und seit das Verbot gefallen ist, sind prompt mehrere Romafamilien nach Basel gekommen. Seither fordern Bürgerliche, dass das Betteln wieder verboten werden soll.

Die SP aber lehnt das ab. Sebastian Kölliker sagte: «Ein Verbot kanns nicht sein». Es gehe darum, mit Hilfe von Expert*innen, einen konstruktiven Weg zu finden, mit dem Thema Armut umzugehen. Deshalb wollte er Thürings Motion in einen Anzug umwandeln. Das ermögliche eine differenzierte Lösung. «Es kommt Bewegung in die Stadt. Auch wir haben viele Zuschriften aus der Bevölkerung erhalten, die sich einen anderen Weg, den Basler Weg wünschen.»

Mit alarmierter Stimme argumentierte Kölliker, zuerst müsse man die Menschen aus der Kälte holen: «Sie schlafen jetzt draussen, wir müssen doch jetzt schauen, wie wir sie von der Strasse holen können.» Die SP-Idee: Die Bettler*innen sollen in einer Zivilschutzanlage untergebracht werden. 

Das aber findet Thüring eine schlechte Idee: «Das würde zu einer Sogwirkung führen.»

«Es gibt nicht richtige und falsche Bettler*innen»

Flankierende Massnahmen könne man diskutieren, sagt der SVP-Grossrat. Damit meinte er, «ein lokales Projekt in Rumänien unterstützen».

Die Wortmeldungen flogen wie wildes Ping-Pong hin und her. Und endeten, wie zu erwarten war, in einer Rassismusdiskussion. Sie begann mit Grossrat Jeremy Stephenson (LDP), der sagte, ausländische Bettler*innen seien das Problem. Vorher habe man schliesslich nie Ärger mit den einheimischen bettelnden Menschen gehabt. Der Kontext: Obwohl das Betteln bis im Juni auch für «Einheimische» verboten war, drückte die Polizei jeweils ein Auge zu.

Die Reaktion vom Grünen Bündnis kam postwendend. Michelle Lachenmeier zeigte sich schockiert darüber, dass ein schönes Stadtbild offenbar wichtiger sei, als armutsbetroffenen Menschen zu helfen. «Ich persönlich finde, die Sichtbarkeit von Armut muss toleriert werden.» Und auch ihre Kollegin Jo Vergeat hatte Mühe, ihren Ärger zu verbergen, als sie wenig später sagte: «Das sind rassistische Schubladen.» Das Thema sei hochkomplex und es sei nicht richtig, Armutsbetroffene nach ihrer Herkunft zu unterscheiden. «Es gibt nicht richtige und falsche Bettler*innen.»

GLP wie FDP schlossen sich dagegen der SVP an. Luca Urgese (FDP) hatte wenig übrig für die Ideen von links. «Es ist konsequent, jetzt die Motion anzunehmen.» Man helfe den Roma nicht, indem man sie beim Betteln unterstütze. «Das ist nicht der Weg, um Armut zu bekämpfen.» Ausserdem würde vor Ort, in Rumänien, dank der Kohäsionsmilliarde bereits Hilfe geleistet. 

«Das ist mir viel zu emotional»

Und die GLP? Sie hatte sich in den letzten Wochen zwar für ein Bettelverbot ausgesprochen, aber immer mit dem Vorbehalt, dass es dazu flankierende Massnahmen gebe. Sandra Bothe bekräftigte diese Haltung erneut, als sie sagte: «Es braucht eine Bettelordnung, um aggressives Betteln und bettelnde Kinder zu verhindern.» Heisst: Stilles Betteln soll nach wie vor möglich sein im Sinne eines Bettelverbotes light, wie Graz es kennt. Dennoch unterstützte die GLP die SVP-Motion und war nicht bereit, sie in einen Anzug umzuwandeln.

Am Ende  grätsche plötzlich noch Raoul Furlano (LDP) in die Debatte hinein und forderte, die Redner*innenliste zu schliessen. «Das ist mir viel zu emotional geworden hier», sagte er. 

Bevor es zur Abstimmung kam, wandte sich FDP-Regierungsrat Baschi Dürr nochmals an den Rat und fand klare Worte: «Sie alle hier drinnen. Sie alle. Sie alle wissen, dass es richtig ist, das Bettelverbot wieder einzuführen.»

Die Mehrheit stimmte ihm zu. Die Motion wurde angenommen - SP-Grossrat Sebastian Köllikers Antrag, die Motion in einen Anzug umzuwandeln, wurde mit 48 zu 42 Stimmen und einer Enthaltung abgelehnt.*

Was Bajour vom Bettelverbot hält, kannst du hier im Kommentar nachlesen.

*In einer früheren Version schrieben wir, Esther Keller (GLP) hätte sich bei der Abstimmung enthalten. Richtig ist: Keller hat sich nur beim Votum enthalten, nicht bei der Abstimmung. Sie hat mit ihrer Fraktion für die Motion gestimmt.

Puchers Ratschläge

Bei unserem Besuch in Graz haben wir Pfarrer Pucher kennengelernt. Er stellt nicht in Abrede, dass Betteln durchaus als lästig empfunden werden kann. «Niemand muss einem Bettler etwas abgeben», sagt er. Aber für den täglichen Umgang mit Bettler*innen hat er drei Tipps bereit:

1.   Sprich mit einem*einer Bettler*in. «Ein ‹Wie geht's?› verstehen alle», sagt er.

2.   «Such dir einen aus und gib nur ihm». Allen Bettler*innen helfen zu wollen sei illusorisch. Aber es bringe schon viel, wenn man einer Person regelmässig zu etwas Geld und Essen verhelfe.

3.  Wer den Bettler*innen, die aus osteuropäischen Ländern anreisen, nicht glauben will, dass sie keine andere Wahl haben, als so ihr Geld zu verdienen, soll sie in der Heimat besuchen gehen. «Man kehrt verändert zurück», sagt Pucher.

Journalist Martin Behr erzählte uns, dass viele Grazer*innen sich Puchers Ratschläge zu Herzen genommen haben: «Ich sehe immer wieder Menschen, die den Bettlern und Bettlerinnen etwas in den Becher werfen, von denen ich das nicht erwartet hätte. Manche meiner Bekannten haben sozusagen ihren persönlichen Bettler, dem sie regelmässig etwas Geld geben.»

Porträt Hansi Huhn
Unser Mafiaboss heisst Hansi.
Mein Beileid.

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