Abhängigkeiten und Konkurrenzdruck

Es kommt Bewegung in die Reform des Mittelbaus an der Uni Basel. Noch im Oktober wird im Grossen Rat über einen Vorstoss für bessere Arbeitsbedingungen abgestimmt und die Uni hat eine Stelle geschaffen, die sich der Reform annimmt.

Universität Basel
An der Uni Basel sollen die Arbeitsbedingungen für den Mittelbau verbessert werden. (Bild: Valerie Wendenburg)

Keine Festanstellungen, keine Zeiterfassung, viele Überstunden und ein hoher Druck führen innerhalb des Mittelbaus an der Uni Basel zu Abhängigkeitsverhältnissen und Konkurrenzdruck. Zum Mittelbau gehören rund 2700 Doktorierende und 500 Postdoktorierende.

Nicht nur die Mitarbeitenden selbst, auch die Forschung leidet. Betroffene haben ihre Situation bereits gegenüber Bajour kommuniziert. Nun scheint Bewegung in die seit längerem geforderte Reform des Mittelbaus zu kommen, die auch im Grossen Rat ein Thema sein wird. 

Für die Mitarbeiter*innen des Mittelbaus fordert SP-Grossrätin Amina Trevisan in ihrem Anzug Verbesserungen der Anstellungs- und Arbeitsbedingungen sowie Chancengleichheit an der Uni Basel. Sie verlangt, dass die Anstellungsstrukturen an der Uni modernisiert werden sollen. Denn diese seien nicht mehr zeitgemäss und überholt.

«Es ist an der Zeit für einen wissenschaftspolitischen Paradigmenwechsel im Interesse der Mitarbeitenden und der Qualität ihrer Arbeit, damit in Forschung und Lehre weiterhin hervorragende Leistung erbracht wird», sagt sie. «Die Universität Basel muss begreifen, dass sie davon profitiert, wenn sie die prekären Arbeits- und Anstellungsbedingungen des akademischen Mittelbaus beendet.»

Amina Trevisan
«Ich hoffe, dass der Anzug auch von einzelnen Grossrät*innen aus dem bürgerlichen Lager mitgetragen wird.»
Amina Trevisan, SP-Grossrätin

Trevisan hat die Hoffnung, dass die Reform nun in die Wege geleitet werden kann. Auch innerhalb des Grossrats ist sich Trevisan einiger Unterstützer*innen gewiss: «Nebst den linken Parteien unterstützt auch die GLP den Vorstoss. Ich hoffe, dass der Anzug auch von einzelnen Grossrät*innen aus dem bürgerlichen Lager mitgetragen wird, die mir während der Gespräche Verständnis für das Anliegen des Mittelbaus signalisierten.»

Die Uni ist sich der geschilderten Probleme offenbar bewusst. Nachdem der Sprecher der Uni, Matthias Geering Anfang Juni noch sagte, dass das Rektorat im Gespräch mit der Vertretung des Mittelbaus sei und konstruktive Gespräche führe, scheint nun, drei Monate später, noch mehr gegangen zu sein. Geering sagt, dass im Oktober 2024 eine Stelle im Bereich Projektleitung besetzt wurde, die sich mit der Reform des Mittelbaus befassen soll.

Kritik an den Arbeitsbedingungen

Im April haben Mitarbeitende des Mittelbaus an der Universität Basel in einem Schreiben an das Rektorat die Arbeitsbedingungen und die damals ausbleibende Reaktion der Leitung kritisiert. Bajour hat mit fünf Doktorierenden über ihre Arbeitssituation gesprochen.

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Die Reform der Anstellungs- und Arbeitsbedingungen von Doktorierenden und Post-Doktorierenden solle auf einer soliden Erfassung der Bedürfnisse und Anliegen der Betroffenen aus allen Fakultäten basieren, so Geering. Aus diesem Grund findet ein Austausch mit der avuba statt. Dabei handelt es sich um die Assistierendenvereinigung der Uni Basel, die die Interessen aller Doktorierenden und Postdoktorierenden aller Fakultäten der Universität Basel vertritt.

Die avuba selbst aber möchte sich nicht zu den genauen Inhalten äussern, Geschäftsführerin Patricia Eiche sagt: «Die avuba kennt die Anliegen der Assistierenden der Universität und hat bereits ein internes Papier mit möglichen Massnahmenvorschlägen zur Verbesserung der Situation des Mittelbaus erstellt und wird eng in das zukünftige Projekt mit einbezogen werden.» Eine externe Kommunikation dazu sei allerdings zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. 

Mit Bajour gesprochen haben Mitglieder der Basisgruppe Mittelbau der Gewerkschaft für Angestellte im Service Public der VPOD. So auch Pascal*, Postdoc-Assistent an einem geisteswissenschaftlichen Departement der Uni Basel. Er verweist auf die belastende Arbeitssituation aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen.

Das Hauptproblem seien die befristeten Arbeitsverträge, da sie bei den Mitarbeitenden zu grosser Unsicherheit führen. Die Angst, dass der Vertrag nicht verlängert wird, ist permanent da und führt zu Abhängigkeiten: «Der Druck von oben ist enorm. Manchmal sind 60-Stunden-Wochen die Regel und es wird erwartet, dass spät abends und am Wochenende E-Mails gelesen und beantwortet werden.» 

Die Chancen- und Bildungsgerechtigkeit spielt eine grosse Rolle, denn es kann sich nicht jede*r leisten, ein ungewisses Arbeitsverhältnis einzugehen.»
Pascal*, Postdoc-Assistent an einem geisteswissenschaftlichen Departement

Auch Adrian*, Post-Doc am Institut für Biomedizin, kritisiert die befristeten Arbeitsverträge, da die Forschungsprojekte meist länger laufen. Er kennt 60-Stunden-Wochen und einen hohen Leistungsdruck, den er als unnötig empfindet, weil Wissenschaftler*innen ohnehin «intrinsisch motiviert» seien, zu forschen.

«Diese Motivation ist zentral für die akademische Forschung, weil einerseits nur so die schwierigen Arbeitsbedingungen aushaltbar sind; andererseits die Forschung dadurch frei und qualitativ gut wird. Diese Motivation darf deshalb nicht von den Unis oder den Professor*innen  ausgenutzt oder durch erhöhten Druck zerstört werden.» Mit den schwierigen Arbeitsbedingungen seien auch die vergleichsweise niedrigen Löhne trotz hoher Qualifikation gemeint.

Ziel des Vorstosses ist es auch, längere befristete und projektbezogene Arbeitsverhältnisse zu schaffen, wie es an Fachhochschulen auch schon vermehrt der Fall ist. «Je stabiler die Jobsituation, desto besser können wir forschen», so Pascal. Er weist auch auf die hohe Konkurrenz unter den Post-Docs hin, die permanent um ihre Stelle kämpfen müssen. «Natürlich spielt hier auch die Chancen- und Bildungsgerechtigkeit eine grosse Rolle, denn es kann sich nicht jede*r leisten, ein ungewisses Arbeitsverhältnis einzugehen.»

Und auch, wenn die Uni Basel als «familienfreundlich» zertifiziert sei, sei die Arbeitssituation im Wissenschaftssystem als solchem insgesamt familienfeindlich. Zum einen aufgrund des hohen Arbeitspensums und dann auch aufgrund der Tatsache, dass gerade junge Familienmütter oder -väter oft über Jahre keine Jobsicherheit haben und nicht langfristig planen können. Dazu komme die erwartete Bereitschaft, während einer langen Phase im Leben ständig bereit zu sein, für eine befristete Stelle rasch mal ans andere Ende der Welt zu ziehen.  

«Wenn wir an Projekten forschen und parallel dazu immer Gelder eintreiben müssen, kommt die Lehre viel zu kurz.»
Adrian* Post-Doc am Institut für Biomedizin

Ein weiteres Problem, das sich auf den gesamten Uni-Betrieb auswirkt, sei die Tatsache, dass Mitarbeiter*innen des Mittelbaus kaum lehren würden. «Wir haben kaum Zeit dazu», sagt Adrian. «Wenn wir an Projekten forschen und parallel dazu immer Gelder eintreiben müssen, kommt die Lehre viel zu kurz. Das rächt sich dann später.» Denn diejenigen, die «es schaffen», wie Pascal sagt, und eine Professur erhalten, haben kaum Lehrerfahrung.

«Die Lehre leidet, denn gerade junge Professor*innen stehen unter grossem Druck, wenn sie plötzlich vor die Studierenden treten müssen. Und diesen Druck geben sie dann nach unten weiter.» Im Moment sei der Anreiz zu lehren, kaum vorhanden, so Adrian. «Das geht auf Kosten der Studierenden».

Auf ein Arbeitspensum von 50 bis 60 Stunden pro Woche kommen die jungen Akademiker*innen auch, weil von ihnen erwartet wird, parallel zur Arbeit an der Uni Beiträge in wissenschaftlichen Publikationen zu veröffentlichen. Wie viel die Angestellten des Mittelbaus aber tatsächlich arbeiten, kann nicht nachgeprüft werden. Denn für wissenschaftliches Personal gibt es keine Zeiterfassung an der Uni Basel. Sie fallen unter § 5. «Vertrauensarbeitszeit» im Reglement über die Arbeitszeiten und Absenzen der Uni und sind daher von der Arbeitszeiterfassung befreit. 

Nicola Goepfert, Basta Grossrat
Für viele Leute an der Uni ist ihre Tätigkeit ohnehin mehr Berufung als Beruf und das darf nicht ausgenutzt werden.»
Nicola Goepfert, Basta-Grossrat

Basta-Grossrat Nicola Goepfert sagt zu Bajour: «Es ist wichtig, die Abhängigkeit der Leute an der Uni von den sehr mächtigen Professorinnen und Professoren stark zu reduzieren. Für viele von ihnen ist ihre Tätigkeit ohnehin mehr Berufung als Beruf und das darf nicht ausgenutzt werden.» Er stellt sich daher auf die Seite von Amina Trevisan. Und betont, dass die Uni sich im Klaren darüber sein müsse, dass sie ihre Basisfunktion keinen einzigen Tag lang erfüllen könnte, wenn alle Angestellten des Mittelbaus streiken würden.

Grünes Licht und Gelder aus Bern

Der Bundesrat hat am 27. März 2024 den Bericht «Für Chancengleichheit und die Förderung des akademischen Nachwuchses» gutgeheissen. Laut Bundesrat sind weitere Anstrengungen notwendig, um die Karrierewege des wissenschaftlichen Nachwuchses, ganz besonders auch von Frauen, weiter zu verbessern. Für die Förderperiode 2025-2028 plant die Schweizerische Hochschulrektorenkonferenz, ein von swissuniversities koordiniertes Projekt im Umfang von maximal 20 Millionen Franken zu lancieren. Innerhalb des Projekts sollen die universitären Hochschulen Aktionspläne zur Nachwuchsförderung weiterentwickeln und umsetzen – spezifisch auch mit Blick auf die Postdoc-Phase. 

Um die Dringlichkeit ihres Anliegens deutlich zu machen, hat die VPOD-Gruppe Mittelbau einen Brief an alle Grossrät*innen geschickt, der Bajour vorliegt. Darin steht: «Befristete Anstellungen führen sowohl zu Dauerstress für Betroffene, als auch zu einem Effizienzverlust in Lehre und Forschung.» Herausragende Wissenschaftler*innen würden die Uni wegen fehlender Stabilität und Planungsmöglichkeit verlassen. «Damit der Wissenschaftsstandort Basel weiterhin international bestehen kann und für hochqualifiziertes Personal attraktiv bleibt, braucht es jetzt Veränderungen.»




* Klarnamen sind der Redaktion bekannt.

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Valerie Wendenburg

Nach dem Studium, freier Mitarbeit bei der Berliner Morgenpost und einem Radio-Volontariat hat es Valerie 2002 nach Basel gezogen. Sie schreibt seit fast 20 Jahren für das Jüdische Wochenmagazins tachles und hat zwischenzeitlich einen Abstecher in die Kommunikation zur Gemeinde Bottmingen und terre des hommes schweiz gemacht. Aus Liebe zum Journalismus ist sie voll in die Branche zurückgekehrt und seit September 2023 Senior-Redaktorin bei Bajour. Im Basel Briefing sorgt sie mit ihrem «Buchclübli mit Vali» dafür, dass der Community (und ihr selbst) der Lesestoff nicht ausgeht.

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