«Die Vorlesung kann eine grosse Sprengkraft haben»

Im aktuellen Semester bietet die Uni Basel eine Ringvorlesung zum Israel-Palästina-Konflikt an. Alfred Bodenheimer, Leiter des Zentrums für Jüdische Studien, und Maurus Reinkowski vom Seminar für Nahoststudien möchten konträre Positionen in einer Vorlesung vereinen. Wie, erzählen sie im Interview.

Alfred Bodenheimer Maurus Reinkowski
Maurus Reinkowski und Alfred Bodenheimer organisieren die Ringvorlesung. (Bild: Valerie Wendenburg)

Alfred Bodenheimer, Maurus Reinkowski, letzten Mai während der Uni-Besetzung wurde ein Dialog zum Nahostkonflikt gefordert. Ist die öffentliche Ringvorlesung das Resultat?

Alfred Bodenheimer: Die Ereignisse im letzten Sommer haben den Bedarf aufgezeigt, dass wir an der Uni über den Israel-Palästina-Konflikt sprechen müssen. Auch das Rektorat ist sich dessen bewusst. Gemeinsam entstand dann die Idee der Ringvorlesung.

Maurus Reinkowski: Das Rektorat hat sich bereit erklärt, den grössten Teil der Kosten zu übernehmen, weil die Ringvorlesung ihm ein Anliegen ist. Die Vorlesung ist aber nur ein Baustein, denn es wäre naiv zu glauben, dass die Debatte mit einer Ringvorlesung beendet werden kann. 

Warum findet die Vorlesung erst jetzt statt? Wäre ein solches Angebot nicht im letzten Herbstsemester eher angesagt gewesen?

Bodenheimer: Das Rektorat hat die Notwendigkeit schon am Ende des Frühjahrsemesters 2024 gesehen, die Zeit war aber zu knapp, um bis zum Herbst ein solches Programm auf die Beine zu stellen. 

Reinkowski: Die Organisation ist komplex. Aus unserer Sicht ist es besser, sorgfältig ein Programm mit namhaften Referenten aus dem Ausland zu organisieren, als auf die Schnelle etwas anzubieten, das nicht «verhebt». Die Uni bietet in diesem Semester nicht nur die Ringvorlesung, sondern auch ein Kolloquium für Studierende an.

Was ist das Ziel der gemeinsamen Ringvorlesung?

Reinkowski: Die Universitätsleitung möchte aufzeigen, dass eine Debatte über den Israel-Palästina-Konflikt auf wissenschaftlicher Ebene möglich ist. Die Ringvorlesung wird kaum alle Fragen abschliessend beantworten können, das ist auch nicht unser Anspruch. Uns ist klar, dass das Programm nicht allen Erwartungen gerecht wird. Viele werden es als nicht ausreichend oder einseitig betrachten. Wir möchten aber aufzeigen, dass wir ein gemeinsames Programm anbieten und gleichzeitig konträre Positionen in einer Vorlesung vereinen können.

Bodenheimer: Die Vorlesung ist historisch aufgegleist, auch die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Traumata soll ihren Platz haben. Die israelische Sicht auf die Nakba wird ebenso Thema sein wie die muslimische Sicht auf den Holocaust. Wir möchten vermeiden, nur über den aktuellen Krieg zu sprechen, sondern die Hintergründe ins Zentrum stellen.

Alfred Bodenheimer
Zur Person

Alfred Bodenheimer ist Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte und seit 2010 Leiter des Zentrums für Jüdische Studien an der Universität Basel.

Sie legen den Fokus also bewusst auf die Geschichte des Konflikts?

Bodenheimer: Ja, denn wir möchten den Konflikt entpolitisieren. Für mich war es im letzten Jahr eine schockierende Entdeckung zu sehen, dass gewisse Fächer derart politisch determiniert sind. Innerhalb der Universität sollte eine politische Bezugnahme auf einen Konflikt keinen Platz haben.

Wie gehen Sie damit um, wenn es unterschiedliche Auffassungen von bestimmten Dingen wie z. B. der völkerrechtlichen Situation gibt? 

Reinkowski: Ein gutes Beispiel war die Podiumsdiskussion im Dezember. Dort waren Protagonisten «beider Seiten» anwesend. Es kam zu einer Gesprächssituation, auch wenn klar war, dass die Ansichten teils weit auseinander gingen. Aber beide Seiten haben anerkannt, dass es an der Uni einen Raum gibt, in dem jeder seine Meinung sagen kann. Das war ein erster Beitrag in diesem Sinne und wir möchten diesen Weg weitergehen.

Möchten Sie die Universität mit der Ringvorlesung als Ort präsentieren, an dem man respektvoll debattieren kann?

Reinkowsksi: Das ist natürlich das Ziel der Uni, aber wir wissen überhaupt nicht, ob es gelingt. Ich bin sehr gespannt, wie die Ringvorlesung angenommen wird. 

UniBasel, Gesellschaftswissenschaft, MA, Portraits, Maurus Reinkowski,
Zur Person

Maurus Reinkowski ist Professor für Islamwissenschaft und seit 2010 am Seminar für Nahoststudien der Universität Basel tätig.

Es gab letztes Jahr Proteste während der Vorlesung von Erik Petry …

Bodenheimer: Wir werden sicher ein entsprechendes Sicherheitsdispositiv haben. Aber das macht mir ehrlich gesagt weniger Sorgen. 

Was macht Ihnen denn Sorgen? 

Bodenheimer: Die Veranstaltung, die wir planen, ist wirklich eine Blackbox. Wir haben uns untereinander gut abgesprochen und heikle Themen im Vorfeld ausdiskutiert, aber wir wissen nicht, wie die einzelnen Vorlesungen angenommen werden. Der Anlass wird von der Uni sehr hoch aufgehängt, wir haben schon weit über 400 Anmeldungen von Studierenden. Es wird sicher auch sehr viel öffentliches Publikum geben und die Ringvorlesung wird das Bild unserer beiden Fächer in der Öffentlichkeit sehr stark prägen.

Das Interesse am Thema Nahost ist an der Uni also nach wie vor gross?

Reinkowski: Wie bei allen Dingen, die eine so extreme Emotionalisierung hervorgerufen haben, ist auch beim Nahost-Konflikt eine gewisse Ermüdung zu erkennen. Es bleiben aber kleinere Echo-Kammern innerhalb der Uni, für die das Palästina-Thema weiterhin extrem wichtig ist. In der allgemeinen Öffentlichkeit ist das Thema, auch durch die Wiederwahl von Donald Trump und den Ukraine-Konflikt etwas in den Hintergrund getreten. Es ist schon so, der absolute Höhepunkt des Interesses war letztes Jahr während der Uni-Besetzungen. 

«Wir wollten ein akademisch anspruchsvolles Programm bieten, um auch aus der Konfliktsituation herauszukommen.»
Maurus Reinkowksi, Seminar für Nahoststudien

Sie haben Referent*innen aus aller Welt eingeladen. Warum bestreiten nicht Dozent*innen aus Ihren Instituten die Vorlesungen? 

Bodenheimer: Wir wollten Stimmen nach Basel holen, die man hier sonst nicht hört. Es ist auch für die Öffentlichkeit viel spannender, wenn renommierte Leute aus dem Ausland an der Uni Basel sprechen. 

Reinkowski: Wir wollten ein akademisch anspruchsvolles Programm bieten, um auch aus der Konfliktsituation, die an der Uni Basel herrschte, herauszukommen. Die Thematik wird vor allem auch in der angloamerikanischen Welt akademisch behandelt. Diese anderen Perspektiven möchten wir aufzeigen. 

Gibt es während der Vorlesungen auch Raum für Fragen?

Bodenheimer: Auf jeden Fall, das haben wir fest eingeplant.

Reinkowski: Am Ende der Vorlesung gibt es zudem ein Podiumsgespräch, an dem ein Rückblick gehalten werden soll. 

«Ich glaube, unsere Fächer sind so wichtig für die Universität wie noch nie»
Alfred Bodenheimer, Institut für Jüdische Studien

Werden Sie dann auch auf die Besetzungen und Kundgebungen im letzten Mai und Juni zurückblicken und diese einordnen?

Bodenheimer: Die Idee ist, der Ringvorlesung einen Rahmen zu geben. Wir beide eröffnen sie mit einer deutschsprachigen Einführung und möchten das Publikum am Ende wieder in die Schweiz zurückholen. Wir möchten die Schweizer Perspektiven am Schluss noch einmal in den Blick nehmen und rechnen durchaus damit, dass die internen Debatten an den Universitäten dann auch zur Sprache kommen werden.  

Was unterscheidet die Schweizer Perspektive von denen anderer Länder? 

Reinkowski: Im Hinblick auf die Universitäten würde ich sagen, dass die Situation in der Schweiz weniger politisiert ist als zum Beispiel in Paris oder Berlin.  

Bodenheimer: Die deutsche Schweiz ist auch mit der Romandie nicht vergleichbar. Ich habe einen Kollegen in Lausanne, der berichtet, dass dort über einen Generalboykott israelischer Universitäten debattiert wird. Das kommt für die Uni Basel nach wie vor nicht infrage. 

Erfahren Ihre Fächer jetzt in dieser Situation eine besondere Aufmerksamkeit?

Bodenheimer: Ich glaube, unsere Fächer sind so wichtig für die Universität wie noch nie. Beide Institute spielen nun eine zentrale Rolle. Die Ringvorlesung ist eine Chance für uns, auch wenn sie eine grosse Sprengkraft haben kann. 

Universität Basel
Die Vorlesung im Kollegienhaus stösst bereits im Vorfeld auf grosses Interesse. (Bild: Valerie Wendenburg)

Wie erleben Sie die Stimmung an der Uni zur Zeit? 

Bodenheimer: Das Semester ist noch jung und es hängt stark davon ab, was bis in den kommenden Monaten im Nahen Osten geschieht. Durch die neue Administration in den USA ist alles viel unklarer geworden. Wir wissen alle nicht, was passiert. Insgesamt ist die Stimmung zurzeit aber viel ruhiger als im letzten Jahr.

Der Eurovision Song Contest findet zeitgleich zu einigen Ihrer Vorlesungen statt. Wie blicken Sie auf den Anlass in Basel, könnten erneute Konflikte in Basel hochkochen, die auch ihre Vorlesung betreffen?

Reinkowski: Es ist natürlich möglich, dass es Kontakte zwischen weiterhin politisch aktiven Gruppierungen und Aktivisten gibt, die am ESC aus aller Welt hier in Basel zusammentreffen. Inwieweit das dann aber die Universität betreffen würde, können wir nicht einschätzen.

Bodenheimer: Wir schauen in den Vorlesungen eher mit einem distanzierten Blickwinkel auf den Konflikt und adressieren die extrem emotionalisierten Themen nicht. Aber es kann sich an der Ringvorlesung jederzeit ein Konflikt herauskristallisieren. Ebenso könnte die Vorlesung ein Anlass sein, um zu protestieren. Die Vorlesungsreihe kann völlig unkompliziert vonstattengehen, aber garantiert ist das nicht. Wir sind selbst sehr gespannt, wie sich alles entwickelt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mitarbeit: Nora Trabelsi

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Valerie Wendenburg

Nach dem Studium, freier Mitarbeit bei der Berliner Morgenpost und einem Radio-Volontariat hat es Valerie 2002 nach Basel gezogen. Sie schreibt seit fast 20 Jahren für das Jüdische Wochenmagazins tachles und hat zwischenzeitlich einen Abstecher in die Kommunikation zur Gemeinde Bottmingen und terre des hommes schweiz gemacht. Aus Liebe zum Journalismus ist sie voll in die Branche zurückgekehrt und seit September 2023 Redaktorin bei Bajour. Im Basel Briefing sorgt sie mit ihrem «Buchclübli mit Vali» dafür, dass der Community (und ihr selbst) der Lesestoff nicht ausgeht.

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