«Unsere wichtigste Brücke ist die Demokratie»

In seiner Antrittsrede plädiert der neugewählte Grossratspräsident Balz Herter (Mitte) fürs Brückenbauen und erklärt, wie er die Wogen während stürmischen Debatten auffangen möchte – ganz im Sinne von «Like a bridge over troubled water».

Balz Herter, Grossratspräsident 2025, vor dem Eingang ins Rathaus
Das Parlament hat ihn heute zum höchsten Basler gewählt: Balz Herter. (Bild: Matthias Willi)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen des Grossen Rates

Sehr geehrter Herr Regierungspräsident

Sehr geehrte Damen und Herren Regierungsrätinnen und Regierungsräte

Sehr geehrter Herr Vorsitzender des Gerichtsrates

Sehr geehrte Mitarbeitende des Parlamentsdienstes und der Staatskanzlei

Sehr geehrte Medienvertreterinnen und Medienvertreter

Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne und an den Bildschirmen

Liebe Familie, Freundinnen und Freunde

Haben Sie heute Morgen bereits eine Brücke überquert?

Es könnte die Mehrheit der hier anwesenden Grossratsmitglieder sein, die eine Brücke braucht, um ins Rathaus zu gelangen. All jene vom Bruderholz und Gundeli müssen über die Gleisanlage der SBB. Natürlich gehen alle aus dem Kleinbasel, Riehen und Bettingen über eine der sieben Basler Rheinbrücken. Und andere queren vielleicht den Heuwaage- oder Birsigviadukt, bevor wir uns hier drin versammeln.

Bei mir stellt sich spätestens auf der Mitte der Mittleren Brücke jeweils dieses «aaah - do bini deheim»-Gefühl ein: dieser kurze Moment des Weitblicks und gleichzeitig diese Verbundenheit mit «meiner» Stadt. Wenn dann noch die Sonne hinter dem Käppelijoch hervor lacht, ist das ein ziemlich perfekter Augenblick, bevor ein langer Grossratstag hier im Rathaus startet. Nur einmal im Jahr – am Vogel Gryff – hört für mich die Brücke in der Mitte beim Käppelijoch auf. An diesem Tag muss ich als Greifenmeister dann schon eine Ausnahme machen.

Balz Herter, was wird sie zu einem guten Grossratspräsidenten machen?

Brücken verbinden nicht nur Stadtteile miteinander und ermöglichen uns, schneller von A nach B zu kommen – sie haben auch viel Symbolkraft. Wir müssen nicht weit schauen, um zu sehen, dass die Menschen auf der ganzen Welt gerade einmal mehr daran sind, Brücken abzubrechen, anstatt neue zu schlagen. Die Polarisierung hält Einzug im täglichen Diskurs, und der Ton in der Politik wird schärfer und schärfer. Auch wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht dazu verleiten lassen, im politischen Gegenüber nur noch das Schlechteste zu sehen. Aus persönlicher Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass man zuweilen überrascht wird, wie sehr man jemanden mögen kann, die oder der politisch anders tickt.

Wenn jeder nur auf seiner Seite der Brücke stehen bleibt, dann kommen wir nicht weiter und die Brücke zerfällt im schlimmsten Fall irgendwann. Was die Welt draussen braucht und wir hier drin, sind mehr Brückenbauerinnen und Brückenbauer – Menschen, die aufeinander zugehen, die zuhören können, auch bei Dingen, die sie vielleicht nicht gerne hören. Und die dann gemeinsam eine Lösung suchen, um Gräben zu überwinden. Jede Brücke braucht ein solides Fundament, das auch starker Strömung, einem querstehenden Rheinschiff oder, wie bei der Margarethenbrücke, einem Tram standhält.

Beim Blick z.B. in die USA bin ich froh um die Vielfalt in unserer Schweizer Politlandschaft. Bei uns im Grossen Rat haben wir neu sogar acht Fraktionen. Ich finde, dass das ein Ausdruck einer starken, lebendigen Demokratie ist und ein Grund, sich zu freuen.

Balz Herter, auf was freuen Sie sich am meisten in ihrem Amtsjahr?

Damit unsere Demokratie funktioniert, braucht auch sie – wie eine Brücke – ein starkes Fundament. Unser politisches System feiert in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen. Regierten vor 1875 ein gutes Dutzend vermögender Ratsherren den Kanton, bei bescheidenen Mitwirkungsrechten der Bevölkerung, so brachte die neue Kantonsverfassung von 1875 moderne und demokratischere Staatsstrukturen: Im neu siebenköpfigen, vollberuflichen Regierungsrat konnten nun auch normale Bürger einsitzen. Die sieben Departemente wurden geschaffen, womit die Bevölkerung eine zugängliche Verwaltung erhielt. Für Regierungsrat und Grossen Rat galt nun die Gewaltentrennung, und die bis dahin komplizierten Grossratswahlen wurden vereinfacht. Vor allem aber: Die Volksrechte Initiative und Referendum wurden eingeführt und damit die direkte Demokratie, wie wir sie seither kennen und leben.

Nunja, nicht ganz so, wie wir sie heute kennen. Denn eine ziemlich grosse Gruppe blieb lange davon ausgeschlossen. Wenn Sie einen Blick nach links werfen, dann sehen Sie, dass neben den Fenstern eine Reihe an Porträts der ersten Bürgermeister die Pfeiler ziert. Frauen sind keine darunter. Es sollte auch nach der Einführung der neuen Verfassung noch eine lange Zeit dauern, bis den Frauen das Stimm- und Wahlrecht zugesprochen wurde. Nächstes Jahr wird sich die politische Mitwirkung der Frauen in Basel-Stadt zum sechzigsten Mal jähren. Ich bin froh, dass sich das Parlament und der Regierungsrat heute fast paritätisch zusammensetzen. Wer weiss, vielleicht hängt nach der nächsten Renovation des Rathauses ja auch mal ein Porträt einer Tanja, Esther oder einer Stephanie an einer dieser altehrwürdigen Wände?

«Wir stehen vor herausfordernden bikantonalen Themen, die wir nur lösen können, wenn wir partnerschaftlich und gleichberechtigt aufeinander zugehen und uns in der Mitte treffen.»

Noch etwas älter als die Kantonsverfassung von 1875 ist unsere Mittlere Brücke. Sie feiert dieses Jahr ihr 800-jähriges Bestehen. Zum ersten Mal erwähnt wird sie in zwei Urkunden aus dem Jahr 1225, mit denen die Klöster St. Blasien und Bürgeln als Gegenleistung für ihren finanziellen Beitrag an den Brückenbau vom Brückenzoll befreit werden. Seit dem Bau flossen doch einige Liter Wasser den Rhein hinunter und die Beziehungen zu unseren Nachbarn im In- und Ausland haben sich – nicht zuletzt durch die neuen Brücken – stetig verbessert.

Diese nachbarschaftlichen Beziehungen müssen gepflegt werden, damit die aufgebauten Brücken und ihre Fundamente standhaft bleiben und der Dialog auch in stürmischen Zeiten geordnet stattfinden kann. Wir stehen vor herausfordernden bikantonalen Themen, die wir nur lösen können, wenn wir partnerschaftlich und gleichberechtigt aufeinander zugehen und uns in der Mitte treffen.

Manchmal hilft auch ein Perspektivenwechsel. Diesen hole ich mir jeweils bei einem Blick von einem der Türme bei uns auf dem Firmenareal, von wo aus man bei gutem Wetter eine wunderbare Fernsicht hat. Vor einiger Zeit hatte ich einen guten Freund aus Südafrika zu Besuch. Ich habe ihn auf die Terrasse im obersten Stock mitgenommen und ihm die Geografie der Region erklärt. Er konnte kaum glauben, dass es zwischen Basel-Stadt, Frankreich, Deutschland und Baselland keine sichtbaren Grenzen gibt, dafür Brücken. Dabei wurde mir wieder bewusst, dass unser gemeinsames Dreiland alles andere als selbstverständlich ist und unsere Region stark macht.

Für viele Baslerinnen und Basler sind die hohen Türme nach der Rückkehr von einer Reise das Zeichen, dass sie bald wieder zu Hause sind. Dieses «aaah - do bini deheim»-Gefühl stellt sich bei mir auch ein, sobald ich die weissen Fassaden in der Ferne aufblitzen sehe. Die Türme sind auch ein Zeichen dafür, wie gut sich der Standort Basel in den letzten Jahrzehnten entwickeln konnte. Damit dies weiterhin so ist, müssen wir hier im Rat ebenfalls Sorge zur ansässigen Wirtschaft tragen. Damit meine ich nicht nur die globalen Player, sondern ebenso sehr den kleinen Quartierelektrikerbetrieb. Mit ihnen allen müssen wir im stetigen Dialog bleiben, damit die gegenseitigen Anliegen und Wünsche platziert werden können und so auch die Brücke zwischen Politik und Wirtschaft stabil bleibt.

Balz Herter, welche Rolle spielen die anstehenden Grossevents?

Sehr geehrte Anwesende, liebe Zuschauende im Livestream

Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit Ihnen und schätze es sehr, wenn die Bänke vor und vor allem neben mir so gut besetzt sind, wie jetzt gerade. Ich wünsche mir, dass dies auch während den Debatten an normalen Parlamentstagen so ist.

«Like a bridge over troubled water» werde ich mein Bestes geben, die Wogen während stürmischen Debatten aufzufangen. Dabei bin ich auf Ihre Hilfe angewiesen. Respektloses Verhalten, beleidigende Voten und persönliche Angriffe werde ich nicht tolerieren. Denken Sie daran, wenn Sie ans Redepult schreiten, dass auch Sie stets als Brückenbauerin und Brückenbauer fungieren.

Ausserhalb des Parlamentsbetriebes möchte ich mich dafür einsetzen, dass die Menschen in unserem Kanton möglichst viel über unsere Arbeit hier drin erfahren und sich so ein besseres Bild machen können, wie unser politisches System funktioniert. Ich möchte im ganzen Kanton präsent sein und alle ermutigen, uns zu besuchen und sich einzubringen. Denn die Demokratie lebt vom gemeinsamen Engagement aller. Unsere wichtigste Brücke ist die Demokratie. Mich für sie einzusetzen, ist mir in diesem Jahr die grösste Ehre.

Danke, dass Sie mir heute Ihr Vertrauen geschenkt haben.

Hiermit eröffne ich das erste Amtsjahr der 45. Legislatur des Grossen Rats Basel-Stadt.

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