Staatliche Abgabe von Kokain rückt näher

Eine städteübergreifende Arbeitsgruppe prüft eine Regulierung von Kokain. In Basel ist die Diskussion nicht neu, könnte nun aber neuen Aufwind erhalten.

koks
Kokain, auch Schnee genannt, überschwemmt die Schweiz gerade wie eine unsichtbare Welle.

Kokain ist derzeit so allgegenwärtig, so billig und so rein wie nie. Ganz Europa wird vom weissen Pulver, das unter anderem zu Crack verarbeitet wird, eingedeckt
. Also auch die Schweiz. Und dieses Angebot feuert den Konsum an. Darüber berichtete die NZZ am Sonntag. So setzte die Eidgenössische Kommission für Fragen zu Sucht und Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (EKSN) vergangene Woche einen «dringenden Aufruf» ab und empfahl unter anderem die kontrollierte Abgabe von Kokain. Und zwar «je rascher, desto besser», wie Vizepräsident Christian Schneider sagt. «Denn wir steuern auf eine Krise zu.»

Zumindest in den Städten ist die Diskussion bereits in Gang gekommen. Unter der Leitung von Zürich prüfen hinter den Kulissen derzeit Fachleute aus mehreren Städten mögliche Schritte im Hinblick auf eine neue Regulierung oder eine Art Legalisierung von Kokain, die weit über eine medizinische Abgabe hinausgeht, berichtete das Blatt weiter.

Wie Anne Tschudin, Kommunikationschefin des Gesundheitsdepartements, auf Anfrage von Bajour mitteilt, ist auch Basel (Platz 7 beim Crack-Konsum) in der erwähnten Arbeitsgruppe dabei. Es würden mögliche Behandlungsansätze und deren Umsetzung für Menschen mit einer Kokainabhängigkeit diskutiert werden. Konkreteres zum Inhalt könne man derzeit noch nicht sagen.

Konsum im öffentlichen Raum 

Zur Situation in Basel schreibt Tschudin: «Kokain ist nach Cannabis die am häufigsten konsumierte illegale Substanz und wird in unterschiedlichen Settings konsumiert: auf der Strasse, in Clubs, am Arbeitsplatz, in Bars oder Privathaushalten. Kokain gehört in den Kontakt- und Anlaufstellen (K+A) bereits seit vielen Jahren zu den am häufigsten konsumierten Substanzen.»

Eine Schaukel des Spielplatzes auf der Dreirosenanlage in Basel am Mittwoch, 3. Juli 2019. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Die brenzligen Monate stehen noch bevor

Die massiven Polizeikontrollen im unteren Kleinbasel zeigen Wirkung. Die Lage hat sich zwar etwas entschärft. Doch der Sommer kommt erst – und die Polizei wird den personellen Kraftakt nicht ewig fortsetzen können.

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Da Kokain im letzten Jahr auch in Basel vermehrt im öffentlichen Raum eingenommen worden ist, wurden neben präventiven Angeboten auch vermehrt Massnahmen der Schadensminderung sowie der Repression ergriffen. So wurde zum Beispiel die Anzahl Plätze für den inhalativen Konsum in den K+A erhöht und die Polizeipräsenz im unteren Kleinbasel erhöht.

Basler FDP als Pionierin

Es ist nicht das erste Mal, dass Basel über eine Art Legalisierung von harten Drogen diskutiert. Bereits 2014 machte der damalige FDP-Polizeidirektor Baschi Dürr mit seiner radikal-liberalen Forderung nach einer Legalisierung der Drogenpolitik Schlagzeilen. «Sonst müsste man alle harten Drogen auch freigeben. Das will ja auch niemand», twitterte Nationalrat Christian Wasserfallen (FDP) damals während einer SRF-Arena zum Thema. «Doch, das will ich», antwortete ihm Dürr postwendend. Damit machte er sich nicht nur Freund*innen, vielmehr spaltete er die Partei. Beziehungsweise die Liberalen. So enervierte sich daraufhin alt Grossrat Felix Eymann (LDP) in einem Bericht von Telebasel: «Das ist eine Verarschung all jener Fahnder, die ihrer Aufgabe nachkommen und das Lumpenpack einsammeln.»

Kessler
«Es könnte viel Leid vermieden werden, wenn die Politik rasch und kreativ agieren würde, statt erst auf offensichtliche Not hin zu reagieren.»
Thomas Kessler, langjähriger Drogendelegierter der Stadt Basel

Zahlreiche Diskussionen später nahm die FDP die Idee 2018 unter dem damaligen Präsidenten Luca Urgese in ihrem Parteiprogramm auf, welches bis heute gültig ist. Darin heisst es: «Jahrzehnte der Prohibition haben Drogen nicht beseitigen können.» Und: «Ausgehend von der Freiheit des Menschen, sich selber zu schädigen, sollen Drogen nicht verboten, sondern legalisiert, kontrolliert und besteuert werden, um dem leidbringenden Schwarzmarkt die Grundlage zu entziehen.» Die Basler*innen inspirierten daraufhin auch die Kolleg*innen in Zürich. Doch wirklich vorwärts gegangen ist es in Sachen Legalisierung harter Drogen seither nicht. Es wäre denn auch eine weltweite Pioniertat. 

Kokain nicht mit Heroin vergleichbar

Der ehemalige Basler Drogendelegierte Thomas Kessler, der massgeblich dazu beigetragen hat, dass Basel in der Drogenpolitik Taktgeberin war, steht nach wie vor hinter der Forderung, die ihn «angesichts der Realität nicht überrascht», wie er zu Bajour sagt. Ihm geht es zu langsam vorwärts. «Inzwischen sind die Fehlentwicklungen unübersehbar; es könnte viel Leid vermieden werden, wenn die Politik rasch und kreativ agieren würde, statt erst auf offensichtliche Not hin zu reagieren.»

Doch eine staatliche Abgabe bleibt umstritten, auch unter Fachleuten. So warnte der Suchtforscher Boris Quednow von der Universität Zürich kürzlich in den Tamedia-Zeitungen, Kokain sei mit Heroin nicht zu vergleichen. Der Drang zum Konsumieren sei beim Kokain viel höher, es bestehe die Gefahr, dass die Süchtigen dann den abgegebenen und noch dazu illegalen Stoff konsumierten.   

Isler
«Ich stehe allen Projekten, die einen positiven Effekt erzielen können, nicht abgeneigt gegenüber.»
Lydia Isler-Christ, LDP-Grossrätin und Präsidentin des Apothekenverbands

Während auch die SVP einer staatlichen Kokain-Abgabe gegenüber eher abgeneigt ist – Felix Wehrli, Grossrat und Polizist, sagt: «Die Legalisierung ist der falsche Weg, denn man legalisiert etwas, das Menschen kaputt macht.» – sehen einzelne LDP-Exponent*innen die Sache heute weniger negativ. So findet Lydia Isler-Christ, Grossrätin und Präsidentin des Apothekenverbands, auf Nachfrage: «Ich stehe allen Projekten, die einen positiven Effekt erzielen können, nicht abgeneigt gegenüber.»

Und auch in der SP zeigt man sich offen. Für Melanie Nussbaumer, Grossrätin und Mitglied der Gesundheitskommission, zeigt die aktuelle Situation auf, «dass es dringend neue Ansätze und Anpassungen der bisherigen Drogenpolitik braucht». Ob die staatliche Abgabe von Kokain eine hilfreiche und angemessene Massnahme sei, solle unbedingt geprüft werden. «In diesem Sinne unterstütze ich die Durchführung eines Pilotprojekts, das die Wirksamkeit einer kontrollierten Abgabe von Kokain untersucht», sagt Nussbaumer. «Immer mit dem Ziel, Leid zu mindern.»

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Kommentare

1000050177
Chaimlich Howald
Schadstoffexperte und Experte für schädliche Stoffe

Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube...

Wenn EKSN Vize Schneider sagt «Wir steuern auf eine Krise zu.» redet er schön, was nicht schönzureden ist: Die Krise ist längst da. In einer Gesellschaft, in der es Normalität ist, Stress, Angst oder gar Schwäche wegzukonsumieren, ist Koks - neben dem Alk - das perfekte Doping für erfolgreiche Egowarriors. Schon in den 90ern hatten die meisten Menschen doch bestenfalls ein mittleidiges Lächeln für Opioid-zugdröhnte Junkies (ausser, dass Marc Renton halt schon sexy war). Seien wir ehrlich: Die Regeln des Systems sind klar: Wer den dicksten Max macht - egal ob mit oder ohne Max - gewinnt leider noch viel zu oft. Wie verlockend, wenn ein Hilfsmittel günstig verfügbar ist, das (ähnlich wie Alkohol) Macker Qualitäten hat, ohne dass die Menschen torkeln. Konsequente Regulierung würde heissen, den Zugang zum Schutz vulnerabler Menschen effizient einschränken - im Allgemeinen nicht die Paradedisziplin von FDP und Liberalen, die sich zu dem Thema so gerne zitieren lassen.