Basler SVP-Vertreter*innen in Zeiten der Diktatur

Regionale Abweichler? Nix da. Wer nach Stimmen und Politiker*innen sucht, welche die vorgegebene Meinung vertreten, wird in der Basler SVP fündig. Sie alle finden, nicht ihre Parteileitung, sondern der Bundesrat sei diktatorisch unterwegs.

SVP Diktaturvorwurf
Der Basler SVP ist der Diktaturvergleich nicht zu blöde.

Die Basler SVP hat in der Regel kein Problem mit extremer Rhetorik. Ausnahmen gibt es. Stefan Suter, Basler neo-SVPler hat sich für seinen Regierungs-Wahlkampf in den Farben der Volkspartei ausbedungen, die SVP-Begrenzungsinitiative nicht unterstützen zu müssen. Und Joël Thüring, SVP-Grossrat, twittert seit Monaten entgegen der Parteilinie für rigorose Corona-Massnahmen. 

Ganz anders die nationale Parteispitze. «Der Bund hat eine Diktatur eingeführt. Er hat die Demokratie ausgeschaltet», erklärt Vizepräsidentin Magdalena Martullo-Blocher gegenüber der NZZ.  Christoph Blocher kann beim eigenen Format Teleblocher die inneren Beweggründe von SP-Bundesrat Alain Berset nachvollziehen: «Die Versuchung ist da. Du bist der Diktator, du sagst, wie es ist.» Und auch SVP-Partei-Präsident Marco Chiesa oder Nationalrat Roger Köppel statuieren nicht weniger als Bersets Machtübernahme und das Ende der Demokratie.

Die Wütenden abgreifen

Die Parteitaktik ist offensichtlich. Um dem SP-Gesundheitsminister die Covid-Misere in die Schuhe zu schieben, unterschlägt man die bürgerliche Mehrheit im Gesamtbundesrat, erklärt ihn schlicht zum Diktator, und sammelt unter Corona-Leugner*innen oder mindestens den Massnahmen-Skeptiker*innen neue SVP-Mitglieder. Aber wie gleichgeschaltet sind die SVP und ihre Basler Vertreter*innen? 

Hat die Parteispitze mit der Diktatur-Vorwurf den Bogen überspannt?  Getraut sich ein Basler SVPler eine eigene Meinung zum Thema zu äussern, oder gar eine Gegenstimme zu erheben?

Telefonate in die Basler SVP sind an Tag 1 nach einer Fasnacht, die nicht stattfinden sollte und – ganz diktaturuntypisch – doch irgendwie stattfand, nicht einfach. Ist auch verständlich, schliesslich sind noch Schulferien. Irgendwann haben wir Parteipräsident Eduard Rutschmann, dann auch Joël Thüring, die Präsidentin der Jungen SVP Basel-Stadt, Laetitia Block, und den Alt-Grossrat Alexander Gröflin an der Strippe.

Ist die Schweiz eine Diktatur? «Jein», findet Eduard Rutschmann und kann sich nicht zu einer eindeutigen Antwort durchringen. Und auch der Basler SVP-Lautsprecher Joël Thüring hält die vorgegebene Parteilinie:  «Das Wording ist nicht meins, aber im Kern stimmt das so. Das demokratisch legitimierte Epidemiengesetz überlässt dem Bundesrat dieses Diktat.»

«Für uns – nämlich für den Kanton Basel-Stadt – das Beste zu tun, das hat er vergessen.»
Basler SVP-Präsident Eduard Rutschmann über Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger (Die Mitte)

Zur Erklärung folgen «Diktaturerfahrungen» aus Sicht der SVP-Exponent*innen. Rutschmann war bis unlängst Mitglied der Gesundheits- und Sozialkommission des Grossen Rats. Ungefähr alle zehn Tage wird dort orientiert, wie es weitergeht mit den Coronamassnahmen. «Aber beeinflussen oder gar entscheiden können wir da nichts», sagt Rutschmann. Dasselbe gelte ja auch für das Parlament.

Kürzlich habe Rutschmann, so erzählt er, dem Vorsteher des Basler Gesundheitsdepartements, Lukas Engelberger, gesagt, er sei nicht mehr zufrieden mit seiner Politik und damit, dass er immer so hart durchgreife, obwohl die Ansteckungszahlen runtergingen. Engelberger habe geantwortet, «Ja, na und?» 

«Das hat mich dann schockiert», so Rutschmann weiter, in seiner letzten Rede habe Rutschmann darum gesagt, dem Engelberger sei das nicht gut bekommen, dass er als Vorsteher der Gesundheitsdirektorenkonferenz soviel nationale Aufmerksamkeit erhalte. «Dafür, wofür er als Regierungsrat gewählt wurde, für uns nämlich für den Kanton Basel-Stadt das Beste zu tun, das hat er vergessen.»

«Der Vorwurf diktatorischer Absichten ist abstrus.»
Lukas Engelberger, Basler Gesundheitsdirektor (Die Mitte)

Engelberger sagt auf Nachfrage, er kann sich nicht erinnern, Grossrat Rutschmann «eine unfreundliche Antwort gegeben zu haben». Er könne überdies verstehen, dass die vielen kurzfristig und zum Teil dringlich erlassenen Regelungen zur Pandemiebekämpfung von Bund und Kantonen ein gewisses Unbehagen auslösen können.

«Diese werden aber in meiner Wahrnehmung auf das gesundheitspolizeilich absolut Notwendige beschränkt und verfolgen keinerlei andere Absicht», sagt Engelberger. «Der Vorwurf diktatorischer Absichten ist abstrus.»

Eine Diktatur, what else?

Rutschmann seinerseits findet den Begriff der Diktatur insofern nachvollziehbar, da auf nationaler Ebene von oben herab diktiert werde. 

Joël Thüring hat im engeren Sinn und auf Nachfrage keine diktaturähnlichen Erfahrungen in der Schweiz gemacht. Aber in der Sprache wittert er einen Hauch von Diktatur:

«Ich bin kein Freund der Sprachpolizei», sagt Thüring, «man soll sagen können, was man will». Hier hängt auch Gröflin ein: «Dazu ist die SVP da, damit man unverblümt sagen kann, was man denkt.» Dass es falsch ist, dass der Bundesrat aufgrund der demokratisch verabschiedeten Epidemieverordnung von 2015 agiert. Dass es den Bürger*innen von Diktaturen oder diktaturähnlichen Regimen in Belarus, China, Nordkorea. Syrien oder Chad Hohn spricht, über die Schweiz von einer Diktatur zu reden? Das stellt sich für die befragten Basler SVP-Vertreter als legitimer rhetorischer Kniff dar, der «im Kontext zu verstehen» sei.

Noch Fragen?

«Der Bundesrat bestimmt, und zwar er alleine, wie soll man das sonst nennen?», fragt Rutschmann, den wir auf dem Handy erreichen. Dass in diesem Bundesrat zwei SVP-Mitglieder sitzen, mit Karin Keller-Sutter und Ignazio Cassis von der FDP eine bürgerliche Mehrheit dominiert, dass mit der Attacke schliesslich das Kollegialitätsprinzip ausgehöhlt wird, das sehen die Basler SVP-Exponent*innen anders. 

Thüring hat immerhin auf Twitter den eigenen Bundesrat Parmelin verteidigt, der von der jungen SVP als halber Bundesrat verunglimpft worden war. Aber insgesamt leisten sich die Basler SVP-Vertreter*innen kein Abweichen von der neuen Parteidoktrin und dem absurden Vorwurf, Opfer einer Diktatur zu sein, in der man selber Teil der bürgerlichen Regierungsmehrheit ist. 

Der Eindruck, die SVP verliere aufgrund der zunehmend extremen Linie der Parteispitze an Mitgliedern und es tue sich eine Spaltung auf zwischen Basis und Spitze, dieser Eindruck sei übrigens falsch, bemüht sich Thüring zum Schluss um Einordnung. In der jüngeren Vergangenheit habe die Basler SVP so viel Eintritte, wie seit der Abwahl Christoph Blochers aus dem Bundesrat nicht mehr. 

Die Diktatur heiligt die Mittel.

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Weiterführende Links:

  • Schrille Diktatur-Vergleiche, Absetzungspläne gegenüber der Regierung, Demontage der eigenen Bundesräte: In der SVP geht es wild zu und her. Eine Analyse – und ein Faktencheck von der Solothurner Zeitung (Abo).

  • Die SVP geht mit schrillen Tönen auf Alain Berset und die FDP-Bundesräte los. Damit drängt sie den Bundesrat zum Schulterschluss. Und torpediert eine bürgerliche Allianz für schnellere Lockerungen. Die Analyse von Watson.

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Bei Bajour als: Reporter und Redaktor

Hier weil: da habe ich die Freiheit, Neues anzupacken und unkonventionell zu arbeiten, ohne über sieben Hierarchiehürden zu springen. Das ist toll. Gleichzeitig macht diese Freiheit natürlich Angst, und das wiederum schweisst zusammen. Darum bin ich auch hier. Wegen des Teams.

Davor: Bei der TagesWoche und davor lange Jahre an der Uni mit Germanistik & Geschichte.

Kann: Ausschlafen.

Kann nicht: Kommas.

Liebt an Basel: Die Dreirosenbrücke. Das Schaufenster des Computer + Softwareshops an der Feldbergstrasse Ecke Klybeckstrasse. Das St. Johann. Dart spielen in der Nordtangente. Dass Deutschland und Frankreich nebenan sind.

Vermisst in Basel: Unfertigkeit. Alles muss hier immer sofort eingezäunt und befriedet und geputzt werden. Das nervt. Basel hat in vielem eine Fallschirmkultur aus der Hölle. Absichern bis der Gurt spannt. Ich bin schon oft aus Versehen eingeschlafen.

Interessensbindung: Vereinsmitglied beim SC Rauchlachs.

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