Basler*innen auf dem Bundesplatz: Streiken bis die Polizei kommt

Auch Basler Klimastreikende waren auf dem Bundesplatz. Wir waren dort, bevor die Polizei den Platz räumte. Wie denken die Jugendlichen? Was treibt sie an?

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Klimademonstrant*innen am Dienstag auf dem Bundesplatz in Bern. In der Nacht auf Mittwoch und in den Morgenstunden wurde der Platz von der Polizei geräumt.

Am Montag, den 21. September, besetzten Klimastreikende den Bundesplatz in Bern. Sie wollten damit während der Parlamentssession auf die Klimakrise aufmerksam machen. Unter den Streikenden waren auch Basler*innen. In der Nacht auf Mittwoch hat die Polizei den Platz geräumt. Wir haben vor der Räumung mit den angereisten Basler*innen geredet.

Bern, Dienstag Morgen um halb 10. Auf dem Bundesplatz ist viel los. Das ist eigentlich immer so, denn es ist Markttag. Doch heute sind auch Klimastreikende dort. Der Platz ist voller Journalist*innen mit Kameras und Mikrofonen. Wer den Platz betritt, bekommt von den Aktivist*innen frische Marktprodukte geschenkt. Die Stimmung ist gemischt: Anspannung wegen der Ungewissheit, wie es weitergeht, gleichzeitig ist die  Freude an der ganzen Aktion spürbar.

Marvin, Maret & Mathilde: von Basel nach Bundesbern

Ich treffe Marvin, Maret und Mathilde aus Basel. Sie sind seit Sonntag Nacht vor Ort und haben seitdem kaum geschlafen. Ihr Ziel: «Wir wollen die Aufmerksamkeit erreichen, die das Thema dringend braucht». Sie fanden aber nicht, dass sie mit ihrer Aktion provozieren. Denn es sei andersherum: «Die Politiker*innen provozieren.» Deswegen sind die drei von Basel nach Bern gereist, deswegen haben sie mit anderen jungen Aktivist*innen den Bundesplatz besetzt.

Von Politiker*innen aller Parteien fühlen sie sich im Stich gelassen. Ausnahmslos. «Die Schweizer Politik kennt das Problem, aber ihr fehlt die Empathie». Das macht den dreien Angst. «Das Interesse am Profit ist so gross, dass alles andere egal ist.» und weiter: «Netto0 2050, wie es das Co2-Gesetz vorsieht, das gerade verhandelt wird, ist klimaleugnend.» 

«Ignorance is bliss»
Mathilde, Klimastreikerin

Was den dreien auch Angst macht, sind Leute, die das Problem ignorieren: «Viele Menschen haben so fest Angst, dass sie sich lieber auf anderes fokussieren. So ist man glücklicher.» Mit der Besetzung des Bundesplatzes wollten sie auch dagegen ankämpfen, erklären sie.

Basler Regierung? «Hmpf!»

Mit der Basler Regierung können die drei auch nicht viel anfangen. Der Verdruss scheint gross: «Sie hat keine Lust auf ihren Job.» Wie sie Elisabeth Ackermann, Regierungsratskandidierende der Grünen, oder Beat Jans, Regierungsratskandidat der SP, finden, dazu wollen oder können sie mir nicht viel sagen. Marvin sagt nur: «Sie müssen halt politisch realistisch sein»

Damit konfrontiere ich Beat Jans. Kann er die Enttäuschung der Klimastreikenden betreffend der Schweizer Politik verstehen?

«Mir geht es auch so. ich bin auch immer wieder enttäuscht. Im Klimaschutz hätte ich gerne ein Gesetz, das schneller vorwärts macht», erklärt er mir am Telefon. Aber er sagt auch: «Auf der anderen Seite ist das Co2-Gesetz ganz klar ein Fortschritt.» 

Mit der Besetzung des Bundesplatzes ist er nicht ganz einverstanden: «Die Aktion der Klimastreikenden hilft uns leider nicht viel.» Beat Jans hatte befürchtet, dass es zu Ausschreitungen kommen könne. Die grosse Eskalation blieb aber aus, in der Nacht auf Mittwoch wurde das Camp geräumt.

«The system has failed»
Mathilde, Klimastreikende

Wieder zurück zu den drei jungen Basler*innen. Nicht nur die Politik enttäuscht die Klimastreikenden. Mathilde sagt: «In dem System, das wir haben, funktionieren unsere Forderungen nicht. Es ist nicht fähig, die Klimakrise faktenbasiert zu lösen.»

Ergo müsse ein neues System her, eine demokratischere Demokratie, wie sie sagen. . Das stellen sich die drei wie folgt vor: «Es soll keine Diskriminierung geben. Das heisst, alle Menschen, die in der Schweiz leben, sollen wählen und abstimmen gehen dürfen. Wir brauchen ein System, das sich an sozialverträglicher Ökologie orientiert.» 

Kein Verbrechen? Bürgerliche sind empört

Ihr Wunsch nach einem System, das nicht nach wirtschaftlichen, sondern nach wissenschaftlichen Fakten handle, ist so stark, dass sie dafür sogar eine Festnahme in Kauf nehmen würden, sagen sie.

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Schon vor dem Bundesplatz wurde man darauf hingewiesen: Klimaschutz ist kein Verbrechen. Den Streikenden war bewusst, sie tun etwas Illegales.

Bei bürgerlichen Politker*innen war die Empörung über die Situation auf dem Bundesplatz gross. Joel Thüring, SVP Grossrat Basel Stadt, twitterte: «Die linke Stadtregierung spinnt total. Räumt endlich diesen Platz oder tretet in corpore zurück!». Ein kurzer Schlagabtausch zeigte aber: Die Meinungen über die Aktion in Bern gehen weit auseinander. Während Joel Thüring hässig ist, stellt sich Jo Vergeat vom jungen Grünen Bündnis hinter die Besetzung. 

Das Twitter Battle zwischen Joel Thüring und Jo Vergeat. Über die Aktion in Bern scheiden sich die Geister.
Das Twitter-Battle zwischen Joël Thüring und Jo Vergeat. Über die Aktion in Bern scheiden sich die Geister.

Eigentlich ist es illegal, während einer Session den Bundesplatz zu besetzen. Die Klimastreikenden finden aber, ihr Anliegen rechtfertige die Mittel: «Wir kämpfen für eine lebenswerte Zukunft, da gelten keine Regeln mehr.» Heisst das dann, alle dürfen den Platz besetzen, auch Rechtsextreme? Mathilde, Marvin und Maret sind sich einig: «Nein. Anliegen von Rechtsextremen basieren nicht auf wissenschaftlichen Fakten. Eine wissenschaftlich hinterlegte Krise ist ein vertretbares Anliegen. Rechtsextreme Forderungen hingegen schliessen Menschen aus, sie diskriminieren.» 

Wir haben auch ein Anliegen, jetzt brauchen wir noch Mittel
Bajour

Den drei Jugendlichen ist aber bewusst: Sie könnten zum Präzedenzfall werden. «Wenn wir so etwas machen, schliessen wir nicht aus, dass andere das auch machen können. Das ist klar.»

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Der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause spricht mit Klimastreikenden

Dass Politiker*innen sich durch die Klimastreikenden bereits am Montag belästigt fühlten, empört vice versa nun die drei Klimastreikenden. «Mit welcher Begründung? Nach bereits einem Tag fühlen sie sich belästigt durch etwas Lärm. Mit ihrem Handeln aber zerstören sie uns die Zukunft. Das ist viel schlimmer als Belästigung.» Marvin findet: «Die Politiker*innen können sich nicht vorstellen, was für ein Privileg es ist, sich auf so hohem Niveau zu beschweren.»

Pöbelnde Passant*innen

Apropos Belästigung: auf dem Platz gab es immer wieder Gestalten, die durch die Menge ziehen und die Streikenden beleidigten und anpöbelten. «Muesch luege, dass de nit no eini fangsch, du Arschloch», bekomme ich zu hören. Mathilde sagt «Es gibt wütende Menschen, die reagieren, als wäre es ein persönlicher Angriff direkt auf sie. Sie werden laut und aggressiv. Dabei greifen wir nicht sie, sondern die grossen Konzerne an.» 

Es gab aber auch das Gegenteil: Menschen, die den Klimastreikenden gratulieren und sie unterstützen. Auch bei den Marktbetreiber*innenn war die Stimmung gespalten: «Ein paar geben uns Rabatte, andere motzen.»

Damit entlasse ich die drei wieder in die Menge der Klimastreikenden. 

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Drei Basler*innen in Bern. Zum Zeitpunkt des Bildes (Dienstagmorgen) sind sie entschlossen: wir bleiben!

Um Punkt 12, als die Marktstände begannen, abzubauen, tauchten auch schon wieder die ersten Zelte auf. Der Platz wurde dichter, mehr Klimastreikende waren wieder vor Ort. Parolen wie «Anti-Capitalista» und «Power to the people» wurden lauter. So laut, dass sogar SVP-Nationalrat Albert Rösti kurz aus dem Bundeshaus rausgückselte. Aber nur aus dem obersten Stock. 

Am Dienstagnachmittag war noch unklar, wie die Situation für Marvin, Mathilde, Maret und alle anderen Klimastreikenden ausgeht. Am Mittwochmorgen ist klar: Das letzte Ultimatum der Berner Stadtregierung wurde nicht eingehalten, die Polizei schritt ein und hat den Bundesplatz mittlerweile vollständig geräumt. 

Wie Klimastreikschweiz in einem Instagram-Post schreibt, sind die Klimajugendlichen aber noch lange nicht fertig: «Die Dringlichkeit politischer Massnahmen gegen die Klimakrise bleibt unvermindert und damit auch unser Engagement. Denn Aufgeben ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können!»

Ps: die genauen Forderungen der Streikenden findest du hier.

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