«Ich bin nicht unersetzbar»
Nach 16 Jahren in der Parteileitung gibt LDP-Präsidentin Patricia von Falkenstein nächstes Jahr das Amt ab. Was heisst das für die LDP – und für die anderen bürgerlichen Parteien? Eine Auslegeordnung.
Überraschend kam sie nicht, die Ankündigung von Patricia von Falkenstein. In einem Jahr will sie das LDP-Präsidium abgeben und bei der Generalversammlung ihrer Partei nicht mehr zur Wahl antreten. Nach 16 Jahren in der Parteileitung – vier als Vize und 12 als Präsidentin – «wird es Zeit, dass andere das Geschick der Partei in die Hände nehmen», zitiert sie ihre Partei in einer Medienmitteilung diese Woche. Auch wenn dieser Wechsel an der Zeit, ja vielleicht sogar überfällig ist, wirft er Fragen auf.
Wo steht die LDP mit Patricia von Falkenstein?
Kurzer Rückblick: Von Falkenstein trat das Präsidiumsamt 2013 an und verzeichnete bis letztes Jahr einige Erfolge: Bei den Gesamterneuerungswahlen 2016 schaffte es die Partei von 10 auf 14 Sitze im Grossen Rat. Diese konnte sie 2020 halten, was sie neu zur grössten bürgerlichen Fraktion machte. Denn während die GLP ihre Sitzzahl 2020 von 4 auf 8 verdoppelte, hatten die SVP (-4) als auch die FDP (-3) das Nachsehen. Zudem kickte LDP-Starkandidatin Stephanie Eymann den Freisinnigen Baschi Dürr aus dem Regierungsrat, «ein brillanter Schachzug» von Patricia von Falkenstein, urteilte die BaZ.
Dann letztes Jahr ein massiver Dämpfer: Ihren Sitz im Nationalrat konnte die LDPlerin zwar halten, aber der Stimmenanteil ihrer Partei sank um fünf Prozentpunkte von 15,3 auf 10,3 Prozent. Heisst: Sie verlor jede dritte Stimme, während die SVP zulegte und gemessen an der Anzahl Stimmen zur stärksten bürgerlichen Partei im Kanton wurde. Für die LDP «ein Tag zum Vergessen» (bz).
Ändert das etwas am bürgerlichen Kräfteverhältnis?
Eine neue Person an der Spitze könnte frischen Wind bringen, Strategien neu denken. Das hat Unruhe-Potenzial für die anderen bürgerlichen Parteien. Im Erfolgsfall könnte die LDP wieder vor die SVP rutschen und ihr den Rang als stärkste bürgerliche Partei ablaufen. Und nicht zu vergessen: Die FDP will nach dem Sitzverlust von Baschi Dürr wieder zurück in die Regierung. Wobei: Auf Kosten eines LDP-Sitzes werden die Freisinnigen zumindest in näherer Zukunft wohl kaum in den Regierungsrat einziehen. Sowohl Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann als auch der frisch gewählte Regierungspräsident Conradin Cramer sitzen fest im Sattel. Bleibt zu sehen, was bei den Grossratswahlen passiert.
FDP-Präsident Johannes Barth denkt jedenfalls nicht, dass ein Präsidiumswechsel bei der LDP etwas an den Wähler*innenprozenten von LDP und FDP ändern wird. «Das Parteiprogramm oder das Verhalten im Grossen Rat ist ja kein Wunschkonzert für einen Präsidenten oder eine Präsidentin und ich glaube auch nicht, dass es für die Wählerinnen und Wähler sehr ausschlaggebend ist, wer die Partei führt.»
Auch Patricia von Falkenstein selbst glaubt nicht, dass ihr Abtritt als Präsidentin grosse Auswirkungen auf das bürgerliche Lager in Basel haben wird. Auch wenn sie heute noch als «Grande Dame» der Basler Politik beschrieben wird, sei das eher für ihre Zeit im Grossen Rat «ein bisschen so gewesen». Als Präsidentin nehme sie zwar an Fraktionssitzungen teil und werde auch nach ihrer Meinung gefragt. «Wir haben aber eine gute Fraktion und einen guten Fraktionspräsidenten, deshalb wird es auch in Ordnung sein, wenn ich nicht mehr dabei sein werde», sagt sie.
Nichtsdestotrotz: Einige Basler Parteipräsidien sind im Moment in einer Wandlungsphase. Sowohl die Mitte als auch die GLP haben dieses Jahr neue Präsident*innen gewählt. Bei der Mitte scheint sich indes schon abzuzeichnen, dass nach Balz Herter ein anderer Wind weht: Die Co-Präsident*innen Sarah Murray und Franz-Xaver Leonhardt haben angekündigt, ihre Partei künftig wieder klarer mittig zu positionieren. «Ich spüre eine gewisse Besorgnis, dass in Basel gerade ein dritter politischer Pol entsteht», sagte in diesem Zusammenhang LDP-Grossrat Michael Hug zur bz.
Machen sich die Bürgerlichen Sorgen um die Zusammenarbeit?
In der Polit-Bubble hört man, dass von Falkenstein tonangebend sei, nicht nur in ihrer eigenen Partei, sondern auch bei überparteilichen Zusammenarbeiten. Sie schicke selten jemand anderen an eine Sitzung oder einen Austausch mit den anderen Parteien. Und wenn ihr Entscheidungen von anderen nicht passen, könne man sicher sein, kurz darauf von ihr zu hören.
Möglicherweise ist der eine oder die andere ja froh, wenn mal eine neue Ansprechpartner*in kommt oder wittert gar eine Chance, weil es künftig mit einer potenziell weniger dominanten Nachfolge einfacher werden könnte, die eigene Position durchzusetzen?
Mit dieser Haltung würde man wohl verkennen, dass Patricia von Falkenstein auch sehr geschätzt wird. Sie gilt als diplomatisch geschickt. Obwohl sie nicht mehr im Grossen Rat sitzt, sei sie bestens informiert über die lokale Politik. Gibt’s was zu verhandeln, könne man mit ihr gut reden, ihre Tür sei stets offen, heisst es aus bürgerlichen Kreisen. Macht man sich in diesem Fall eher Sorgen, dass ein*e Nachfolger*in weniger umgänglich sein könnte?
«Jetzt sollen die Jungen in die Hosen steigen.»Johannes Barth, Präsident FDP Basel-Stadt
SVP-Präsident Pascal Messerli sagt es so: «Ich mache mir weder mehr noch weniger Hoffnung und ich habe weder mehr noch weniger Sorgen, was das neue LDP-Präsidium auch im Zusammenhang mit der SVP angeht. Wenn das neue Präsidium im 2025 dann gewählt wird, werden wir natürlich die Gespräche suchen.»
«Ein Rücktritt des Präsidiums ist kein Weltuntergang. Patricia von Falkenstein bleibt uns durch ihre vielen anderen Ämter definitiv erhalten», sagt FDP-Präsident Johannes Barth. Er habe aus den Medien von ihrem Präsidiumsrücktritt erfahren, die Ankündigung überrasche ihn aber nicht. «Ich finde es gesund und wichtig, dass sie Platz macht.» Das sei ein sehr gut überlegter Schritt. «Jetzt sollen die Jungen in die Hosen steigen.»
«Ich mache mir weder mehr noch weniger Hoffnung und ich habe weder mehr noch weniger Sorgen.»Pascal Messerli, Präsident SVP Basel-Stadt
Das Präsidium sei vor allem wichtig für die Mitglieder und die Strategie. «Und natürlich für das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteispitzen», findet er. Diesbezüglich sei «kein dramatischer Wechsel zu erwarten». Von Falkenstein werde «sicher im Hintergrund weiter mitreden, wie das ja auch andere alt Politiker tun», sagt er.
Man darf nicht vergessen, dass Parteiallianzen nicht alleine von Präsidien abhängen. Je nach bestehenden Beziehungen und Sympathien entstehen Zusammenarbeiten nicht nur zwischen zwei Präsident*innen, sondern im übrigen Beziehungsgeflecht einzelner Parteimitglieder.
Wird Patricia von Falkenstein also weiterhin mitmischen?
Patricia von Falkenstein gibt mit diesem Schritt nur eines ihrer vielen Ämter ab: Im Nationalrat und im Bürgergemeinderat wird sie weiterhin bleiben, ausserdem pflegt sie diverse Engagements als Stiftungspräsidentin oder -rätin.
Nach 35 Jahren Politik könne und werde sie sich aber nicht von einem Tag auf den anderen von der Politik zurückziehen, sagt sie. «Ich stehe auch künftig zur Verfügung, wenn jemand einen Rat braucht.» Das wird wohl auch nötig sein, denn von Falkenstein hinterlässt grosse Fussstapfen – punkto Erfahrung und Vernetzung steht Stand jetzt keine vergleichbare Nachfolge bereit.
Hat sie es versäumt, jemanden aufzubauen? Von Falkenstein winkt ab: «Jemanden für so ein Amt aufzubauen, ist sehr schwierig. Aber auch jemand, der weniger lange dabei ist, kann sich mit verschiedenen Themen auseinandersetzen und sich einarbeiten, wie ich das getan habe und immer noch tue. Das geht vielleicht nicht von heute auf morgen, aber ich bin nicht unersetzbar.»
«Jemanden für so ein Amt aufzubauen, ist sehr schwierig.»Patricia von Falkenstein, Präsidentin LDP Basel-Stadt
Sich aus der Frontlinie der politischen Diskussionen zurückzuziehen, wird für von Falkenstein allerdings «nicht ganz einfach», gibt sie zu. «Ich rede gerne mit und äussere meine Meinung. Da werden aber nicht zuletzt meine Kinder mich daran erinnern, dass ich ungefragt nichts mehr zu sagen habe.»
Welche Nachfolger*innen sind in Sicht?
Dank der frühen Ankündigung ihres Rücktritts hat die Partei Zeit für den Findungsprozess. Klar ist, dass jemand für dieses Amt nicht nur das nötige Interesse, Fingerspitzengefühl und Biss mitbringen muss. Man muss es sich auch leisten können. Ein solches Engagement in einem Parteipräsidium erfordert viel Ehrenamt und geopferte Freizeit. Wäre beabsichtigt, das Präsidium in von Falkensteins Linie weiterzuführen, käme wohl ihr amtierender Vize Michael Hug infrage. Auch von Falkenstein stieg einst von der Vizepräsidentin ins Präsidium auf.
Hug sagt auf Nachfrage von Bajour, der Schluss sei zwar naheliegend, «aber nicht selbstverständlich». Er werte das als Kompliment, aber Vereinbarkeit sei für dieses Amt «ein grosses Thema». Hug hat soeben eine Leitungsfunktion bei der Handelskammer beider Basel angetreten und ist zudem Präsident der Bau- und Raumplanungskommission. Definitiv festlegen wolle er sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht. «Wir haben kommuniziert, dass wir jetzt mit der Suche beginnen und uns dafür genügend Zeit lassen müssen. Es gibt sicher andere in der Partei, die in Frage kommen.»
Mit Blick auf von Falkensteins Erfahrung und ihre Vernetzung sagt Hug, es bestehe kein Anspruch, sie zu ersetzen. Das könne man auch nicht. «Sonst wüsste man wohl schon heute, wer’s wird.» Die LDP möchte zunächst ihre Organisationsstruktur durchleuchten, denkbar sei zum Beispiel, die Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen. Ob das bedeutet, dass auch ein Co-Präsidium denkbar wäre, will Hug nicht sagen.
«Die LDP ist kein Clan, wir sind eine breit aufgestellte Partei und haben genügend fähiges Personal in unseren Reihen.»Patricia von Falkenstein, Präsidentin LDP Basel-Stadt
Verschiedene Stimmen könnten sich auch Annina von Falkenstein, die Tochter von Patricia von Falkenstein, als Nachfolgerin in der Parteileitung vorstellen. Im Gegensatz zu ihrem Bruder Benjamin sitzt Annina im Grossen Rat – dafür ist er als Präsident der Jungliberalen zumindest auf den Sozialen Medien (namentlich: X) sehr sichtbar. Dass ihre Kinder das Präsidium übernehmen, sei aber kein Thema, «auch wenn sie es könnten», sagt Patricia von Falkenstein und wiederholt ein Mantra, das sie oft hervorholt: «Die LDP ist kein Clan, wir sind eine breit aufgestellte Partei und haben genügend fähiges Personal in unseren Reihen.»
Auch Fraktionspräsident Raoul Furlano käme infrage. Wobei: Er gilt als «Polteri», dem das diplomatische Geschick der jetzigen Präsidentin fehlt. Ob sich die Parteibasis nach all den Jahren Stabilität für ihn entscheiden würde, ist fraglich.
Bevor von Falkenstein aber abtritt, folgt im Herbst als nächstes ein anderer Fixpunkt: Wird ihr mit ihrer LDP ein letzter erfolgreicher Streich gelingen – oder muss sie nach der letztjährigen Niederlage bei den Nationalratswahlen dieses Jahr ein wiederholtes und letztes Mal in offizieller Funktion unten durch? Dann wird sich zeigen, wie gross das Erbe und die Herausforderung für die Zukunft für ihre*n Nachfolger*in wird.