Elmos Zeitenwende
In einem banalen Post fragt Sesamstrassen-Monster Elmo, wie es den Menschen geht – und Zehntausende melden sich. Die Antworten: überwältigend schlecht. Was die Abstimmung zur 13. AHV mit Elmos Frage zu tun hat, schreibt Ina Bullwinkel in ihrem Wochenkommentar.
Tragen die Leute heute mehr auf ihren Schultern? Oder reden sie einfach mehr darüber? Einen Ausschnitt, wie es den Menschen gerade so geht, hat diese Woche ausgerechnet ein Post von Elmo, dem roten Plüschmonster aus der Sesamstrasse, gezeigt. Also eine Figur, die nicht einmal real existiert. Und die emotionale Resonanzwelle gab’s ausgerechnet auf X, ehemals Twitter, eine Plattform, die seit der Übernahme durch Elon Musk nicht unbedingt mit Nächstenliebe auffällt.
Elmo schrieb: «Elmo is just checking in! How is everybody doing?», er wollte einfach mal hören, wie es allen so geht. Der Post wurde (Stand 2. Februar) mehr als 55’000 Mal retweetet. Fast 20’000 Menschen haben darunter kommentiert und ihre geschundenen Herzen ausgeschüttet. Sie sind müde, wurden entlassen, fühlen sich gestresst, sorgen sich um ihre Zukunft.
Viele Menschen arbeiten zu viel (Care-Arbeit inklusive) und schlafen zu wenig, manche sind krank, haben Geldsorgen, verarbeiten einen Verlust. Eigentlich nichts Neues unter der Sonne. Aber was ist los mit dieser Welt, wenn eine Sesamstrassen-Figur fragt «Wie geht’s euch?» und anschliessend eine dunkle Wolke verzweifelter, erschöpfter, überarbeiteter Erwachsener mit ihrem Kummer auf ihn abregnet?
Die Sorgen ähneln sich von Land zu Land: Befristete Jobs, teure Mieten und Hypotheken, steigende Kosten für die Krankenkasse, Massenkündigungen, Inflation.
Wenn es daran etwas Positives gibt, dann vielleicht, dass sich die Kommentierenden untereinander verbunden und mit ihren Problemen nicht mehr so allein fühlen. Die weltweiten digitalen Stossseufzer Richtung Elmo haben aber auch eine politische Dimension. Die Sorgen ähneln sich von Land zu Land: Befristete Jobs, teure Mieten und Hypotheken, steigende Kosten für die Krankenkasse, Massenkündigungen, Inflation. Zu den wirtschaftlichen Sorgen kommen Konflikte und Kriege auf der Welt, Angst vor dem Klimawandel und der Häufung von Naturkatastrophen.
Jede Generation hat ihr Päckchen zu tragen. Die Jungen sehen hunderte Bilder und Videos an einem Tag – von Tierbabys bis Terroranschläge –, müssen Fakenews von Fakten unterscheiden und werden mit perfekt gefilterten Instagram-Persönlichkeiten konfrontiert, mit denen sie sich zwangsläufig messen. Gesund ist das nicht unbedingt. Wer gehört dazu und wer wird ausgegrenzt? Auf Instagram oder auf dem Schulhof. Diese Woche berichtete das Innendepartement von Elisabeth Baume-Schneider, dass 1,2 Millionen Menschen in der Schweiz angegeben haben, in den vergangenen fünf Jahren rassistisch diskriminiert worden zu sein. Das ist fast jede fünfte Person in der Schweiz. Und: Betroffen sind vor allem die Jüngeren.
Haben wir es mit der Vereinzelung und der Optimierung des Einzelnen kollektiv auf die Spitze getrieben?
Die Älteren feiern derzeit aber auch nicht unbedingt eine Party. Sie fühlen sich oft einsam und weil sie immer älter werden, bekommen sie dauernd zu hören, dass sie nicht nur das Gesundheits- sondern auch das Rentensystem übermässig belasten. Apropos Rente. Vielen Pensionierten geht es finanziell sehr gut in der Schweiz, es gibt aber auch viele, die von Altersarmut betroffen sind: Laut Pro Senectute leben 300'000 Senior*innen an oder unter der Armutsgrenze. Im reichsten Land Europas, notabene.
Wer Antworten auf Elmos Post liest, dem scheint es zuweilen, als hätten wir es mit der Vereinzelung und der Optimierung des Einzelnen kollektiv auf die Spitze getrieben. Erleben wir eine Trendwende?
Die Antwort auf eine 13. AHV wird viel darüber aussagen, wie es der Gesellschaft geht, und darüber, ob es die Einzelnen mehrheitlich wieder interessiert, wie es den anderen geht.
Oder kommt die vom Individualismus getriebene Boomer-Generation, kaum kommt sie ins Rentenalter, zur sozialen und gesellschaftlichen Raison? Es scheint fast so. Plötzlich spricht sich eine Mehrheit der Bevölkerung für eine 13. AHV aus. Erstens spüren die allermeisten die steigenden Lebenshaltungskosten und zweitens betrifft Altersarmut eben nicht nur die ärmeren Pensionierten, sondern auch deren Kinder, die sich Sorgen um diese machen, sich verantwortlich fühlen, ihnen zu helfen, das aber finanziell vielleicht nicht können. Es gibt also viele, die den Älteren die zusätzliche Rentenzahlung gönnen würden. Unabhängig davon, ob auch Reichere profitieren würden oder sie selbst dafür höhere Abgaben hätten. Seit Anfang Jahr wurden vielen Rentner*innen ausserdem die Ergänzungsleistungen gekürzt oder gleich ganz gestrichen.
Wenn am 3. März über die 13. AHV abgestimmt wird, ähnelt das deshalb sehr stark Elmos Wie-geht’s-euch-Frage. Die Antwort wird viel darüber aussagen, wie es der Gesellschaft geht, und darüber, ob es die Einzelnen mehrheitlich wieder interessiert, wie es den anderen geht. Und ob jede*r selbst schauen muss, wie man seine Interessen durchsetzen kann oder ob man das gesellschaftliche Wohl auch wieder in gemeinschaftlichen Lösungen mit Umverteilungscharakter – wie einer 13. AHV – suchen kann. Es wäre eine Zeitenwende.
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