Bullwinkels Blickwinkel

Endlich den grossen Schalter umlegen

Mit den zusätzlichen 40 Rappen für den Bebbi-Sack will der Kanton Basel-Stadt einen Beitrag gegen die Klimaerwärmung leisten. Der Effekt, die Einzelnen moralisch einzuspannen für Bagatell-Beiträge, während die grossen Hebel nicht angesetzt werden, wirkt zusehends kontraproduktiv, findet Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

Woko Bebbisagg
(Bild: Ina Bullwinkel (Collage: Bajour))

Die Vereinten Nationen haben diese Woche bekanntgegeben, dass die Erderwärmung erbarmungslos voranschreitet. Immer noch. Das 1,5-Grad-Ziel wird höchstwahrscheinlich schon innerhalb des nächsten Jahrzehnts verfehlt. Und wie aktuelle Klimaszenarien des Bundes zeigen, heizt sich die Schweiz fast doppelt so stark auf wie der Rest der Welt.

Diese Nachricht ist so besorgniserregend wie ernüchternd. Sind wir doch dem ausgeliefert, was die grössten CO2-Verursacher*innen umsetzen. Und während die Noch-CO2-Schleuder China immerhin den Ausbau an erneuerbarer Energie rasend vorantreibt, nimmt der u. a. von der Erdöl-Lobby ins Amt gehievte Donald Trump in den USA jedes Windrad als persönliche Majestätsbeleidigung. 

Es lohnt sich nicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen: Wir alle produzieren und konsumieren zu viel. Im vergangenen Jahr wurden 39,6 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid ausgestossen. Für den allergrössten Teil, 82,8 Prozent, waren die G20-Staaten verantwortlich und weit vorne dabei die Schweiz.

Der Abfall wird nicht weniger, weil ich pro Bebbisack 40 Rappen mehr zahlen muss.

Einen kleinen Beitrag zum weltweiten Klimaschutz will der Kanton Basel-Stadt liefern. Wir erinnern uns: Klimaneutralität bis 2037. Der Bebbisack soll deshalb ab dem neuen Jahr teurer werden – mit dem Ziel, dass die Bevölkerung weniger CO2-intensiven Abfall produziert. Mein ökologisch notorisch schlechtes Gewissen sagt erst mal Danke und dann – was soll das? Der Abfall wird nicht weniger, weil ich pro Sack 40 Rappen mehr zahlen muss. Ich hätte weniger Müll, wenn es eine vernünftige Bioabfall-Entsorgung in der Stadt gäbe. Rüstabfälle machen immerhin 28.2 Prozent des Inhalts eines durchschnittlichen Bebbisacks aus. Kunststoffe (15.4 Prozent) und Verbundwaren wie Tetrapak (15 Prozent) nehmen ebenfalls viel Platz ein.

Ich kann noch so darauf achten, weniger in Plastik verpackte Produkte einzukaufen, doch solange die in unseren Supermärkten immer noch der Standard sind, hat die oft beschworene Macht der einzelnen Konsument*innen ihre Grenzen. Der Kanton empfiehlt übrigens einen Kunststoffsammelsack. Der wird aber nicht vor der Haustür abgeholt, den muss man selbst wegbringen. Wie praktisch!

Solche Massnahmen führen zu einer Klimaschutzmüdigkeit, wenn sich scheinbar – trotz persönlichem Engagement – nichts bewegt.

Auch kleine Verbesserungen im Alltag helfen dem Klima, das möchte ich nicht kleinreden. Aber mit 40-Rappen-Aktionen wächst vor allem die Ohnmacht des bemühten Einzelnen, während sich Konzerne, Regierungen und Superreiche einen feuchten Kehricht ums Klima scheren. Solche Massnahmen führen zu einer Klimaschutzmüdigkeit, wenn sich scheinbar – trotz persönlichem Engagement – nichts bewegt. Warum mitmachen, wenn die Grossen sich seit Jahren im besten Fall mit CO2-Zertifikaten freikaufen? 

Die grössten Herausforderungen werden an die Allgemeinheit per schlechtem Gewissen wegdelegiert, von denen, die sie verursachen. Die grossen Schalter müssen umgelegt werden, von Politik und Industrie, statt immer wieder die Endverbraucher*innen quasi mit dem moralischen Schäufelchen auszustatten, mit dem sie die grossen (Müll)Berge versetzen sollen.

Im schlimmsten Fall pfeifen die Menschen in ihrer Ohnmacht, ermüdet von den Bagatell-Beiträgen, irgendwann auf alles.

Werden zu oft solche Pseudo-Feelgood-Aktionen eingeführt (Plastikstrohhalme, Deckel an PET-Flaschen, Bebbisack-Verteuerung), dann machen die Leute zu. Eine Bekleidungsindustrie, die zu einem grossen Teil für die Müllhalde produziert,  eine CO2-belastende Luftfahrt, die keine Kerosinsteuer kennt, riesige Autos, die kaum mehr Abgaben kosten als kleine Autos, wären enorm wirksame politische Steuerungsbereiche, die aber nicht angegangen werden. 

Ob ich jetzt im Jahr ein paar weniger Kartoffelschalen und Zahnpastatuben in den Abfall werfe oder nicht, ist dagegen pure Augenwischerei. Diese Diskrepanz erkennen die Menschen. Und im schlimmsten Fall pfeifen sie in ihrer Ohnmacht, ermüdet von den Bagatell-Beiträgen, irgendwann auf alles. Und die 40 Rappen mehr für den Bebbi-Sack bewirken das pure Gegenteil von dem, wofür sie eigentlich gedacht waren. 

Bebbi- Säck FdT
Frage des Tages

Ist es richtig, die Menschen durch eine Preiserhöhung zum Vermeiden von Abfall zu motivieren? Darüber diskutieren wir bei unserer Frage des Tages.

Zur Debatte.
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Kommentare

Su
09. November 2025 um 11:27

Klar produzieren wir mehr CO2. Wir konsumieren die digitale Welt, als ob diese CO2 neutral (etwas das es nach meiner Ansicht nicht gibt) wäre. Und Strom wird verbraucht und gefördert, als ob auch dieser sauber wäre. Die neuen Zahlen beweisen den Irrweg.

Froscheline
09. November 2025 um 11:40

Abfall

Also ich muss mich nicht wundern,wenn nachher die Abfalleimer draussen immer mehr überfüllt werden.

Liam
09. November 2025 um 08:02

Abfallheuchelei Basel

In Basel verbrennt man Abfall und gewinnt daraus Fernwärme. So weit, so sinnvoll. Doch wir haben ja zu wenig - Witz komm raus! Was machen? Man importiert ihn. Aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland. Per Zug und Lastwagen. Dazu tonnenweise Holzpellets, die ebenfalls hierher gekarrt werden (neues Kraftwerk im Gundeli obwohl in Gleisnähe), um Basels Heizleitungen am Laufen zu halten. Das alles wird uns als klimaneutral verkauft. Doch wer nachrechnet, erkennt schnell: Die CO2-Bilanz dieser vermeintlich grünen Lösung ist löchrig wie ein alter Jutesack. Transport, Energieverluste, Logistik – all das zahlen am Ende Klima und Haushalte. Besonders, wenn man die horrenden Preise für Abfallsäcke einbezieht. Ausgerechnet Beamte, die in ungeheizten Büros frieren und kaum einen klaren Kopf haben, ersinnen dieses System. Sie übersehen dabei, dass die Basler keine Lust haben, für die teuersten Abfallsäcke der Schweiz zu zahlen – und längst nach Alternativen suchen. Abfalljäger, macht euch bereit!