Basel, Weltklimahauptstadt. Wir gleiten dahin
Alle reden von der Mobilitätswende, aber wie fühlt sie sich an? Im neuen Elektrobus einmal verdammt leise quer durch die Stadt.
Als in Basel Mitte Dezember die Mobilitätswende um die Ecke biegt, ist der Himmel blau und weisse Weihnachten können wir mal wieder vergessen.
Die Basler Verkehrsbetriebe können ausnahmsweise nichts dafür, im Gegenteil. Bis 2027 soll Schluss sein mit klimaschädlichen Verbrennermotoren im öffentlichen Verkehrsnetz. Einer von 19 brandneuen elektrisch betriebenen Stadtbussen – ein Bus vom Typ eCitaro – hält jetzt sanft und leise an der Kante der Haltestelle Schifflände.
Überblick, was haben wir denn da: Aha, soso, ein Normalbus der Daimler Truck AG, 31 Sitzplätze, 30 Stehplätze, zwei Rollstuhlplätze, 10 Batteriemodule mit einer Kapazität von 330 Kilowattstunden. Richtig gutes Zeug. Reichweite: Bis zu 220 Kilometer bei sehr gutem Wetter. Kostenpunkt 800’000 Franken.
Der grosse Medienrummel ist schon über diesen Bus hinweggefegt und wie es bei der BVB dazugehört, ging es mal wieder ums Ganze. Um stockende Lieferketten und belarussische Deals, um das Gefahrenpotenzial leiser Motoren für sehbehinderte Fussgänger*innen. Half alles nichts. Wie wir auf Instagram beobachten mussten, hat die unerschütterliche Verkehrsdirektorin Esther Keller trotz kritischer Interventionen unlängst einen Korken aus der Flasche gefeuert und Bestandteile der E-Flotte mit heiligem bubbly Water getauft.
Das Ding ist jetzt also unterwegs und da will man ja irgendwie dabei gewesen sein. Zwar ist schon seit 2019 ein Pilot-Modell im Einsatz («Stromnibus»), aber jetzt gilts Ernst. Jetzt kommt die Masse.
Sieht neu aus. Klare Linien, Ecken, Kanten. Ein echter Bus. Der Verein Basler Weihnacht hat im Dezember 2022 zahlreichen Trams und Bussen der BVB eine Art Weihnachtspowerfront aus Tannzweigen und Christbaumkugeln spendiert. Aber der eCitaro fährt nackt.
Message ans Volk: Dieser Bus transportiert keine Stimmung. Dieser Bus ist die Stimmung.
Abfahrt Schifflände. Jetzt aber Ohren auf und hineinlauschen in dieses nie dagewesene Busgeräusch. Ja, das ist schon sehr E. Die erste Beschleunigung klingt wie das vibrierende Aufbrausen einer kleineren Windturbine. Ein sausliges Surren. Technosound. The Future is now. Vor dem Fenster zieht das Amt für Umwelt und Energie vorbei und von der saumodernen Fotovoltaikanlage schiessen uns reflektierende Sonnenstrahlen direkt ins Hirn.
Basel, Weltklimahauptstadt. Wir gleiten dahin.
Nächster Halt Unispital. Drei neue Gäste. Kinderspital UKBB. Zwei steigen aus, vier neue ein. Bernoullianum. Spalentor. Auf Twitter hat man die Öffentlichkeit vor dieser Reise vorsichtshalber gefragt, auf welcher Basler Buslinie am meisten die Post abgeht. Klares Verdikt: Die 30 ists, über die 33 verlor niemand ein Wort. Der BVB-Mediensprecher Matthias Steiger sagt, für die Einführung der neuen Elektrobusse biete sich diese Linie (plus die 42 und 46) an, weil dort nicht so viele Fahrgäste unterwegs sind wie auf anderen Linien, wo dereinst elektrische Gelenkbusse fahren.
Optimales Einsteigerterrain. Nächster Halt Schützenhaus.
Toller Effekt im öffentlichen Verkehr: Die Gedanken entgleiten. Wo der Blick hängenbleibt, pendeln Erinnerungen zum Fenster hinein. Station Schützenhaus, gegenüber der Cross Klinik. Da hat man sich im Januar nach einem Unfall beim Schlitteln das Schlüsselbein operieren lassen. Sehr gefährlich, dieses Schlitteln, den Satz hat man damals oft gehört. Ganz gefährlich. Sssssssimmm. Der Bus ruckelt auch weniger als die alten Busse, deucht uns, er gleitet.
Am Schützenmattpark vorbei. Wielandplatz. Blick aus dem Fenster auf diese kürzlich fertigplanierte Betonwüste. Hat uns 2022 auch beschäftigt, dieser Platz, und das haben wir jetzt davon: Als hätte der Brutalo-Statdplaner eines früheren Jahrhunderts mit gigantischer Faust seinen Siegelring in die Stadttopografie gepresst. Schnell weg hier. St. Galler-Ring. Rigistrasse. Bäume am Strassenrand, Wohnquartier. Die Teenager steigen aus. Eine alte Frau steigt ein. Sie trägt FFP2-Maske. Stimmt, da war was. Der letzte Booster hat nochmal ordentlich gefetzt.
Es gab eine Zeit, da waren die BVB nah beim Volk. Die Fahrgäste durften im Internet über das Material der Sitzbänke abstimmen und wählten Holz. Im eCitaro sind die Sitze mit Kunststoff in olivgrüner Wildlederoptik überzogen. Gefragt hat keiner. Der Boden sieht aus wie Parkett.
Kurze Innenansicht, Blick auf uns: Wissen die Leute eigentlich, was hier abgeht? Das ist ein eCitaro, verdammt, wir sind die Mobilitätswende. Einer lugt ins Handy. Zwei unterhalten sich. Niemand jubelt oder klatscht. Es wird normal Bus gefahren. Aber dann wieder sauer twittern, wenn das nächste Mal Verspätung ist. So sind wir. Wir sind das Volk.
Weiter, immer weiter in die Peripherie hinaus. Je länger wir mitfahren, desto besser gefällts uns auf der 33. Nächster Halt Wanderstrasse. So eine Busfahrt ist auch ein Panorama des Kalenderjahrs, denkt man, als rechts die Freizeitgärten im langen Loh vorüberziehen. Flashback, grosse Sommerdebatte. Streit um Öffentlichkeit und der Freizeitgärtner Peter Wirz bei Telebasel. Plötzlich aufwallende Sehnsucht nach einer längst verglühten Sternschnuppenvokabel: Durchwegung. Esther Keller gestrandet. Abstimmung verloren. Fröhliche Gärtner*innen, ein Sieg des kleinen Mannes.
Sommer 2022. Es war ne geile Zeit.
Ein Stück gerader Strasse jetzt, der Bus beschleunigt, Tempo 30, 35, ist das die 40? Und muss das denn sein? Von irgendwo schalmeit kurz die Tempo-30-Debatte durch den Bus. Langsam fahren ist gut für die Gesundheit, heisst es, wegen des Lärms. Aber dieser Bus ist leise. Alle fahren in Zukunft Tempo 30. Ausser der Bus. Der ist im Schuss. Aua.
Jetzt Haltestellen mit Namen wie teure Adressen bei Monopoly. Parkallee. Paradies. Links das Stadiondach einer Tennishalle, sieht aus wie bei der WM in Katar. Apropos: Lionel Messi ist bei der Weltmeisterparade in Buenos Aires fast vom Party-Bus gefallen. Das wäre im eCitaro nicht passiert. Endstation Allschwil Letten, bitte alle aussteigen. An der Tanke gegenüber haben sie im März den Saharastaub von den Autos gewaschen.
Was war nicht alles los, 2022. Ein Jahr wie die Ewigkeit. Von der Schifflände bis hier hat es 20 Minuten gedauert.
Das Fazit dieser volkstümlichen Jungfernfahrt in die Zukunft: Dieser Bus beschert uns ein neues Fahrgefühl. Aber nicht aufdringlich neu. Teslas sind aufdringlich avantgardistischer etepetete-Cyberscheiss. Dieser Bus bleibt ein Bus. Nur leiser. Es hat grosse Fenster, die Sitze sind okay. Über die Tauglichkeit für mobilitätseingeschränkte Personen können Betroffene besser urteilen.
Gang zur Station auf der gegenüberliegenden Strassenseite. Rückweg Linie 33, da kommt schon ein Brummer von der alten Flotte angeruckelt. Meine Güte, ist das ein Lärm. Der Bus heult und jault bei jedem Gangwechsel wie ein Blasebalg mit Asthma, irgendwo pfeift ein Stück Elektronik aus dem letzten Loch. Türe auf, ein Spektakel. Türe zu, ein Krawall. Ist es ein Boxkampf oder eine Busreise? Das Anfahren hinterlässt bei Mitreisenden ein kleineres Schleudertrauma, wer Glück hat, erwischt im allgemeinen Tumult zur richtigen Zeit den Ausgang.
So oder ähnlich war das, an einem Dienstagnachmittag, kurz nach Einsetzen der Mobilitätswende. Man will dabei gewesen sein.
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