Links und extrem uneinig

Der Tag der Arbeit steht bevor. Der 1. Mai sollte für die Linke – dank Demo-Kodex – ein freudiges Fest ohne Gewalt werden. Jetzt steht fest: Über den Kodex gibt es keinen Konsens. Das schadet den linken Anliegen. Ein Kommentar.

Autonome verbrannten waehrend der 1. Mai Kundgebung auf dem Marktplatz in Basel am Dienstag, 1. Mai 2001, einen Sarg. (KEYSTONE/Markus Stuecklin) ===ELECTRONIC IMAGE===
Die SP wirkt bei ihren Präventionsversuchen so hilflos wie die Polizei und die anderen zuständigen Behörden seit Jahren. (Bild: KEYSTONE/Markus Stuecklin)

Was ist los mit der Basler Linken? Diese Frage drängt sich seit Anfang März bereits zum zweiten Mal auf. Es ist zu beobachten, wie die SP teils mutige, teils kontraproduktive Ideen unterstützt, um sie dann wieder schmallippig zurückzuziehen. 

Vor einem Monat, nach der eskalierten Frauen*-Demo am 8. März, preschte SP-Präsidentin Jessica Brandenburger mit einer gemeinsamen Rücktrittsforderung gegen den Polizeikommandanten Martin Roth vor. Von Rücktritt wollte die Fraktion später allerdings nichts mehr wissen, nicht mal kommentieren wollte jemand. Ganz offensichtlich war sich die Partei intern nicht einig, man krebste zurück.

Knapp einen Monat später wartete die SP mit einem Demo-Kodex auf, einem sogenannten Aktionskonsens, mit dem Ausschreitungen und Sachbeschädigungen wie am 1. Mai des vergangenen Jahres verhindert werden sollen. Die Lösung: Gewalttätige Menschen sollen der Demo fernbleiben, gemeint war vor allem der Schwarze Block. Der Konsens, so wurde es von der SP verkündet, werde gestützt vom gesamten 1.-Mai-Komitee, zu dem auch die Gewerkschaften Unia und VPOD gehören.

Jetzt ist dieser angebliche Konsens in sich zusammengefallen: Im SRF-Regionaljournal gibt VPOD-Gewerkschafter und BastA!-Co-Präsident Nicola Goepfert zu Protokoll, dass das SP-Papier nicht von den anderen Gruppierungen abgesegnet worden sei. Sprich: Die SP sei alleine vorgeprescht. Die SP muss sich korrigieren, sagt, die Parteileitung sei davon ausgegangen, es würde einen Konsens geben. Hätte die SP das auch dann noch vor dem 1. Mai kommuniziert, wenn das Regi nicht nachgebohrt hätte? Vielleicht. 

Peinlich für die Parteiführung ist es trotzdem, dass die SP jetzt ohne Unterstützung aus dem eigenen Lager dasteht. So mutig ihre Idee auch gewesen sein mag: Ein Erfolg war sie nicht. Was vom Kodex bleibt, ist das Bild einer Basler Linken, die sich nicht einig ist, einer SP die vorprescht und einem Schwarzen Block, der sich nicht angesprochen fühlt. Den Bürgerlichen dürfte das gefallen. Die SVP will am 1. Mai zumindest fleissig Unterschriften für die «Anti-Chaoten- und Freiheits-Initiative» sammeln.

Es hängt ein Schleier über den Basler Linken und es bleibt die Frage, ob der Kodex ein «jetzt-erst-recht»-Gefühl ausgelöst hat.

Was ebenfalls kleben bleibt: Die SP sagte, Gespräche mit dem Schwarzen Block seien nicht möglich gewesen, im Regi heisst es, es habe sehr wohl Treffen mit Exponent*innen der Gruppe gegeben. Was stimmt: Der Schwarze Block hält nichts von der SP, dort gibt es keinen Blumentopf mehr zu gewinnen. Auf Dialog sollte man – wo immer möglich – trotzdem setzen.

Schlimmer ist jedoch: Es hängt ein Schleier über den Basler Linken und es bleibt die Frage, ob der Kodex ein «jetzt-erst-recht»-Gefühl ausgelöst hat. Als der Konsens verkündet wurde, betonte das revolutionäre 1. Mai-Bündnis: «Wessen 1. Mai? Unser 1. Mai!» Es kam nicht gut an, dass die SP entscheiden will, wer an der Demo mitläuft und wer nicht. «Die SP will sich als ordnende Kraft zeigen und macht Stimmung gegen die revolutionäre Linke», heisst es im Statement. Soweit so wenig überraschend. 

Das Dilemma der Linken bleibt, dass sie den Schwarzen Block und mögliche Ausschreitungen am 1. Mai wohl nicht los wird. Sie kann nicht für alle Linken reden, wird aber die politische Haue abbekommen.

Vielleicht hilft es, dass es jetzt, knapp vier Tage vor dem 1. Mai, doch keinen Demo-Knigge gibt. Manch kritische Stimme – auch innerhalb der SP – dürfte das besänftigen. Aber den Schwarzen Block, der seit einem Monat mobilisiert und hässig ist auf die SP, wohl kaum. Letztlich wirkt die SP bei ihren Präventionsversuchen so hilflos wie die Polizei und die anderen zuständigen Behörden seit Jahren. Aber immerhin, der Versuch ist anzurechnen. Es bleibt zu hoffen, dass es «friedlich und laut» wird, wie es sich SP und Gewerkschaften wünschen. Doch wenn man sich umhört, denken manche: Es wird klöpfen. Beziehungsweise: Alles bleibt beim Alten.

Herz Tanz
Friedlich und laut: Bajour

Werde Member und unterstütze Bajour.

Das könnte dich auch interessieren

Demozug 2

Valerie Zaslawski am 06. Oktober 2024

Wo bleibt die Empathie?

Am Samstag haben in Basel Tausende Menschen für eine Befreiung der Palästinenser*innen demonstriert. Und gegen Israel. Immerhin blieb es friedlich.

Weiterlesen
14. Juni 2024 – 3 Welten, 1 Stadt

Michelle Isler,Jan Soder,David Rutschmann am 14. Juni 2024

Eine Stadt, drei Welten

Wie ist der Vibe in Basel, wenn am selben Tag schickes Art-Basel-Publikum, feministische Demonstrierende und Fussballfans die Stadt einnehmen? Eine Reportage.

Weiterlesen
Pro-Palästina-Demonstration, Besetzung Bernoullianum Uni Basel, 14. Mai 2024

David Rutschmann am 15. Mai 2024

Ultimatum verschoben, Besetzer*innen wollen bleiben

Swisspeace-Direktor Laurent Goetschel fungiert als Vermittler zwischen den pro-palästinensischen Protestierenden und der Uni-Leitung. Doch der Kompromissvorschlag lässt die Besetzer*innen kalt. Ein Bericht von Tag 2 der Uni-Besetzung.

Weiterlesen
1. Mai 2024: Demospitze

Michelle Isler,Ernst Field am 01. Mai 2024

Ein 1. Mai «wie früher»

Bei bestem Wetter und guter Laune zog die 1. Mai-Demo am Mittwoch durch die Innenstadt. Im Gegensatz zum letzten Jahr standen dieses Jahr die politischen Forderungen im Vordergrund: «Prämien runter, Löhne rauf».

Weiterlesen
Ina Bullwinkel Porträt

Das ist Ina (sie/ihr): Nach journalistischen Stationen u. a. in Bremen (Volontärin, Weser-Kurier) und Berlin (Redaktorin am Newsdesk, ntv.de) hat es Ina mitten in der Corona-Pandemie zu Bajour verschlagen. Dank Baseldytsch-Kurs hat sie sich schnell dem Dialekt der Einheimischen angenähert – ihre Mundart-Abenteuer hält sie regelmässig im Basel Briefing fest. Seit April 2023 ist Ina Chefredaktorin und im Wochenkommentar «Bullwinkels Blickwinkel» teilt sie einmal die Woche ihre Meinung zu aktuellen (meist politischen) Themen.

Kommentare