«Pflästerli-Politik hilft niemandem»
Die Basler Regierung hat ihre Massnahmen zur Weiterentwicklung der Integrativen Schule vorgestellt. Gewisse Punkte gefallen allen, aber das Kernanliegen stimmt kaum jemanden zufrieden: Den Initiant*innen der Förderklassen-Initiative geht es zu wenig weit, Kritiker*innen sehen darin schon Separation.
Die Basler Regierung hat ein Massnahmenpaket zur Weiterentwicklung der integrativen Schule vorgestellt. Was genau geplant ist, kannst Du hier nachlesen.
Der Hauptpunkt: Es soll wieder separative Förderklassen (und «teilseparative» Fördergruppen) geben. Das ist auch die Stossrichtung der Förderklassen-Initiative, erklärt Erziehungsdirektor Conradin Cramer (LDP):
«Wir schlagen vor, entweder Förderklassen oder Fördergruppen an den Schulen zu bilden. Darin können wir die Schülerinnen und Schüler individuell fördern, die ein kleineres Lernsetting brauchen und Mühe haben, dem Unterricht in der Regelklasse zu folgen.
Ich glaube, dass das ein richtiger Schritt ist. Ich bin sehr gespannt auf die Konsultation, ob da separierte Förderklassen oder flexiblere Fördergruppen eine grössere Zustimmung finden – da könnte man sagen, dass zum Beispiel der Mathematikunterricht in einer Fördergruppe stattfindet und der restliche Unterricht in der Regelklasse. Das eine ist eher integrativ, das andere eher separativ. Wir wollen das für die Konsultation offen lassen.»
Ist diese teilweise Rückkehr zu einem separativen System mit Förderklassen ein Schritt in die richtige Richtung? Das zumindest findet Gaby Hintermann, die Leiterin Primarstufe beim Kanton Basel-Stadt:
«Ich denke, der Schritt in die richtige Richtung ist unsere Aussage, dass ein bisschen mehr Separation dazu beitragen soll, damit Integration noch besser gelingt. Förderklassen sind eine Möglichkeit, ich präferiere Fördergruppen, in denen Schülerinnen und Schüler in der Regelklasse angehängt bleiben und nicht für mehrere Jahre aus dem Regelsetting rausgehen.»
Und was sagt das Initiativkomitee, das die Förderklassen-Initiative auf den Weg gebracht hat? Marianne Schwegler ist Teil des Initiativkomitees und Vizerepräsidentin der Freiwilligen Schulsynode (FSS), dem Berufsverband der Lehrer*innen in Basel. In dieser Doppelfunktion präsentierte sie jüngst, wie sich die FSS die Ausgestaltung der Förderklassen vorstellen würde (Bajour berichtete). Zu den Massnahmen sagt sie:
«Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber aus Sicht des Initiativkomitees nimmt die Regierung die Kernanliegen, die Förderklassen, noch zu wenig auf und verzettelt sich in zu vielen weiteren Massnahmen, von denen einige sicher sinnvoll sind. Der Fokus muss aber auf den Förderklassen liegen und da wird die Zielgruppe vom ED zu eng gefasst, da sie nur Kinder mit Lernschwäche in den Blick nehmen. Unsere Idee umfasst aber auch Kinder, die aus sozialen und emotionalen Gründen Sonderbedürfnisse für eine Förderklasse haben.»
Deutlichere Worte findet Roland Stark, ebenfalls Mitglied des Initiativkomitees. Er war lange Kleinklassenlehrer und darüber hinaus Präsident der SP Basel-Stadt:
«Die 25 Seiten des Massnahmenplans kann man auf einen Satz herunterbrechen: Das ED will keine Förderklassen im Sinne unserer Initiative. Das wird mit schönen Wörtern verkleistert, aber im Grunde ist klar, dass eine durchgehende Separation in Förderklassen von der Regierung abgelehnt wird. Fördergruppen und Lerninseln mögen für einige Schülerinnen und Schüler sinnvoll sein. Aber der Kern des Problems sind die vielen Kinder, die massiv verhaltensauffällig sind und in einer Regelklasse ihre eigentlich vorhandenen Möglichkeiten nicht ausschöpfen können. Diese ‹Pflästerli-Pädagogik› hilft niemandem: dem Kind nicht, den Lehrern nicht und der Schule insgesamt nicht. Es wird also deutlich, dass die Regierung und wir als Initiativkomitee noch in unterschiedliche Richtungen unterwegs sind. Bislang sehe ich nicht, wo sich unsere Wege treffen könnten.»
In der parlamentarischen Politik ist man ebenfalls nicht überall glücklich. Zwar sei es ein Schritt in die richtige Richtung, sagt Joël Thüring, für die SVP seit zehn Jahren Mitglied der Bildungskommission im Grossen Rat. Aber:
«Der Schritt ist richtig, aber er wurde zu kompliziert aufgegleist. Man hätte sich noch mehr an der Förderklassen-Idee der Initiative orientieren sollen, ohne die teuren Drumherum-Massnahmen, die es meiner Meinung nach nicht braucht und die den Pädagogenapparat aufblähen. Das Erziehungsdepartement traut sich allerdings nicht, komplett vom Modell der integrativen Schule abzukehren, weil man eingestehen müsste, dass die im ED von linken Bildungsbürokraten entworfene Bildungspolitik der letzten 20 Jahre gescheitert ist. Die integrative Schule hat alle schlechter gemacht, Basel ist am unteren Ende aller Bildungsranking. Damit jeder die Chancen seines jeweiligen Niveaus nutzen kann, braucht es nunmal Separation.»
Anders klingt dann bei der Kommissionspräsidentin Franziska Roth von der SP, die selbst Sozialpädagogin auf der Primarstufe ist:
«Viele Studien sagen, dass Kinder sich besser entwickeln, wenn sie integriert geschult werden. Ich finde es falsch, wenn die Kinder separiert werden; wenn wir ihnen mit auf den Weg geben, dass sie aus der Klasse rausfliegen, wenn sie schlechter sind. Deshalb finde ich, dass Förderklassen nicht infrage kommen, auch wenn verschiedene Massnahmen grade auf Ebene Kindergarten und Tagesstruktur. Sinnvoller wäre es, allgemein in kleinere Klassen zu investieren und den Lehrplan anzupassen, damit Integration besser funktioniert. Generell müsste man mehr beim Thema Integration ansetzen – ich hätte zum Beispiel im Hinblick auf den starken Fokus der Förderklassen-Initiative auf Verhaltensauffälligkeit erwartet, dass das ED noch mehr Massnahmen im Bereich der Sozialpädagogik in den Blick nimmt.»
Und auch eine weitere Lehrerin kann der Idee, wieder stärker zu separieren, nicht viel abgewinnen. Nadine Bühlmann ist Primarlehrerin an der Vogelsangschule und hat sich bereits mehrfach kritisch zur Förderklassen-Initiative geäussert (Bajour berichtete).
«Ich finde, es ist der falsche Hebel, die Kinder zu separieren. Den Vorschlag mit den Förderklassen und Lerninseln finde ich problematisch. Wer soll die Zuteilung vornehmen, wann die Kinder in Förderklassen kommen? Werden die Kinder und Eltern in die Entscheidung miteingebunden? Der Umgang mit Herausforderungen gelingt nur durch starke, wachsende Beziehungen. Diese werden durch separative Massnahmen eingeschränkt. Daneben gibt es einige Punkte, die ich durchaus unterstützen kann, zum Beispiel Weiterbildungen zum Umgang mit schwierigen Situationen, den flexiblen Einsatz von Ressourcen an den jeweiligen Standorten und die Doppelbesetzung in den Kindergärten – aber warum ist es nicht möglich, auch für eine Doppelbesetzung in den Stufen 1 bis 6 aufzustocken?»
Findest Du, Förderklassen wären eine gute Idee? Oder soll man lieber weiter den Weg der Integrativen Schul beschreiten? Stimm' ab und diskutier' mit bei der Frage des Tages.