«Wir verherrlichen unsere Geschichte»
Die Schweiz hatte keine eigenen Kolonien. Trotzdem gibt es immer wieder Ansätze, die koloniale Geschichte unseres Landes aufzuarbeiten – zum Beispiel in einer neuen Ausstellung in der Basler Unibibliothek. SP-Grossrätin und Ethnologin Barbara Heer sieht auch den Kanton Basel-Stadt in der Verantwortung.
«Wer wir sind, erzählen wir häufig über unsere Geschichte», sagt die Ethnologin und SP-Grossrätin Barbara Heer. Im Juli forderte die Politikerin in einem parlamentarischen Vorstoss einen kantonalen Bericht zur Aufarbeitung der Basler Kolonialgeschichte. Aber weshalb einen Basler Diskurs über Kolonialismus führen, wenn die Schweiz doch gar keine Kolonien hatte?
Das öffentliche Interesse am Thema sei gross, so Heer. Die in Basel schon im Vergleich zu anderen Kantonen viel betriebene Forschung versauere in den Bibliotheken, vieles sei zudem noch unerforscht. Es sei einerseits in der Verantwortung privater Institutionen, die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Aber auch der Kanton müsse seine Verantwortung hinsichtlich der Aufarbeitung übernehmen.
Eine Verantwortung, deren Übernahme anderorts bereits angegangen wird: die Stadt Zürich beispielsweise setzt sich mit dem eigenen kolonialen Erbe auseinander. Eine im Januar eröffnete Ausstellung im Stadthaus beleuchtet unter dem Titel «Blinde Flecken – Zürich und der Kolonialismus» die eigene koloniale Vergangenheit. Basel zieht in dieser Hinsicht mit Zürich gleich. Heute Freitag eröffnet in der Unibibliothek eine Ausstellung, die sich um einen Teil der kolonialen Geschichte Basels dreht.
Am 25. August eröffnet in der Universitätsbibliothek Basel die Ausstellung «Deal with it – Afrikanisches Erbe in Basel», die sich mit der Geschichte von fünf Basler Institutionen (die Basler Afrika Bibliographien, Mission 21, das Museum der Kulturen Basel, das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut und die Universität Basel) mit Bezug zum afrikanischen Kontinent auseinandersetzt. Die Ausstellung wird aus studentischen Perspektiven präsentiert und hat zum Ziel, einen breiteren Diskurs zu Basels kolonialer Vergangenheit und aktuellen Beziehungen zu Afrika anzuregen.
Basel als Drehscheibe der Auswanderung
Jemand, der sich intensiv mit der Kolonialgeschichte der Schweiz auseinandergesetzt hat, ist Georg Kreis. Der Basler Historiker hat sie in seinem im Juni erschienenen Buch «Blicke auf die koloniale Schweiz» aufgearbeitet. Er sagt: «Die Kolonialzeit betrifft eine lange Zeit, über 300 Jahre.» Die Frage nach den Verhältnissen in der Stadt sei vielschichtig. Es waren in erster Linie Personen aus der Basler Oberschicht, die mit einzelnen Handelshäusern an Kolonialbeziehungen beteiligt waren.
Basel sei aber auch «eine Drehscheibe der Auswanderung» gewesen, eine Auswanderung, die in Kolonialgebiete führte und die dortige indigene Bevölkerung verdrängte – «an diesem Prozess könnten auch Angehörige der Unterschicht beteiligt gewesen sein». Man könne sich an Altbasler Namen wie Bourcard, Faesch oder Hoffmann erinnern. Basler wurden als Söldner und Offiziere «zur Durchsetzung von Kolonialinteressen eingesetzt», sagt Kreis. «Offiziell hatte die Schweiz zwar keine Kolonien, aber Basler Akteur*innen beteiligten sich massgeblich am Kolonialismus», meint auch Heer. Die Kolonialzeit habe die Stadt geprägt.
Und heute? Der «globale Norden», zu dem Basel – und die Schweiz – gehören, sei dem «globalen Süden», der kolonial ausgebeutet wurde, insbesondere wegen der Immigration nähergerückt, ordnet Kreis ein. Unser Verhältnis zu Zugewanderten werde durch den Kolonialismus der Vergangenheit mitbestimmt.
«Wir sind auch aufgrund der Migration stark mit der Welt verknüpft», sagt Heer, die Schweiz generiere viel Wohlstand durch wirtschaftliche Beziehungen mit anderen Ländern. «Ein Grossteil dieser Beziehungen wurden dabei durch den Kolonialismus geprägt.» Dennoch würden wir uns hier schwer tun, uns mit unserer kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen.
Als Kanton sei es wichtig, «ein Selbstbild zu haben, das kritisch mit den Fragen des Kolonialismus umgeht» – dies auch, damit gegenwärtiger struktureller Rassismus überwunden und mit individuellem Rassismus selbstkritisch umgegangen werden könne, meint Heer. «Wir verherrlichen unsere Geschichte auch. Die offensichtlichsten Beispiele an vielen Orten sind Strassennamen oder Statuen.» Wer wir sind, erzählen wir häufig über unsere Geschichte, sagt sie: «Deswegen ist es auch einfach wichtig, sich unser koloniales Erbe bewusst zu machen, so dass wir unsere Geschichte nicht kolonialismusfrei erzählen.» Und Kreis zieht eine Analogie herbei: «Auch wenn wir Bescheid wissen, wie sich die Schweiz in der NS-Zeit verhalten hat, interessiert uns auch die Basler Variante dieser Geschichte.»
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