Zum Zwecke der Macht

Im Wahlkampf werde das Thema Migration missbraucht, um Stimmung zu machen, findet Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz. Das ärgert sie. Aber sie ist sich auch bewusst, je radikaler ihre Forderungen sind, desto schwieriger wird es, etwas in der Asylpolitik zu erreichen.

markus-spiske-WWX2bPqP-z4-unsplash
«it der Migrationsthematik haben sich überall auf der Welt, auch und gerade in Europa, xenophobe Parteien an die Macht gebracht.» – Anni Lanz

«Keine Kompromisse auf Kosten der Flüchtlinge», heisst es oft in Positionspapieren, die das Asylrecht verteidigen wollen. Hinter dieser Formel aber verbergen sich interne, dauerhafte Auseinandersetzungen. Ich erfahre sie seit bald vierzig Jahren. Wie weit wir den Behörden entgegenkommen dürfen und gleichzeitig den Betroffenen und unserer Auffassung treu bleiben können, das hängt u. a. von unserer Stellung im politischen Gefüge ab. Es geht um Einfluss und Macht. Dabei droht eine unheilvolle, absurde Polarisierung.

Sind die Asylbewegten und -suchenden untereinander schlecht vernetzt, mangelt es ihnen an Kommunikationsmöglichkeiten – untereinander und zu den Entscheidungsträger*innen. So besteht die Gefahr, sich durch konsequente Kompromisslosigkeit ins bedeutungslose Abseits zu manövrieren. Das hilft den Betroffenen nicht weiter. Gleichzeitig verstärken die herrschenden Parteien und mächtigen Gruppen ihre asylfeindliche Kompromisslosigkeit und gewinnen dadurch an politischem Gewicht.

Anni Lanz
Zur Person

Anni Lanz ist selbsternannte Menschenrechtsaktivistin im Solinetz Basel. Seit fast 40 Jahren setzt sie sich für Geflüchtete und ihre Rechte ein. In ihrer Kolumne versucht sie ihnen eine öffentliche Stimme zu geben.

Dass Zehntausende Menschen auf der Flucht und an Europas Aussengrenzen verelenden und sterben, wird zur Normalität. Es ist paradox: Je üblicher fundamentale Menschenrechtsverletzungen werden, desto schwächer wird unsere Position, desto bescheidener werden zuweilen unsere Verbesserungsvorschläge. Verschleiern wir dadurch die Ungeheuerlichkeit der dominierenden Migrationspolitik und spielen den Xenophoben in die Hände? Verraten wir uns selbst? Mit diesen heiklen Fragen müssen wir Menschenrechtsaktivist*innen uns stets aufs Neue auseinandersetzen.

Auf der politischen Bühne geht es, wenn von Migration die Rede ist, meist gar nicht um die Sache selbst. Migrationspolitik ist oft nur Mittel zum Zweck der Machtgewinnung oder Machterhaltung. Mit der Migrationsthematik haben sich überall auf der Welt, auch und gerade in Europa, xenophobe Parteien an die Macht gebracht. Sie spielen auf der eingängigen Tonart «wir zuerst» – und zuletzt kommen die Rechtlosen.

«Auf der politischen Bühne geht es, wenn von Migration die Rede ist, meist gar nicht um die Sache selbst.»

von Anni Lanz

Auch bei uns haben Populisten Migration zum Wahlkampfthema erkoren. So bekämpften sie in diesem Frühjahr die Pläne des SEM, mit 3000 Plätzen in neu errichteten Containern Platz für neuzuziehende Asylsuchende zu schaffen, um danach lautstark zu verkünden, das SEM habe die Unterbringung nicht im Griff. So bereiten sie selbst das Asylchaos vor, das sie dann dem SEM anlasten wollen, nicht zuletzt, um die neue SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider blosszustellen.

Einige bürgerliche Politiker*innen sind auch skrupellos genug, das kürzlich vom SEM in aller Stille eingefädelte Asyl für geflüchtete Frauen öffentlich anzuprangern. Dabei weiss doch jede und jeder über die völlige Entrechtung der Frauen in Afghanistan Bescheid. Und die Website von rudabe.com berichtet von der Ermordung zahlloser nicht-pastunischer Männer und ihrem traurigen Schicksal in den Taliban-Kerkern, die sie, wenn überhaupt, als Invaliden verlassen.

«Die destruktive Asylpolitik macht uns Menschenrechtsaktivist*innen wütend, aber das ist wohl auch eine der Absichten dahinter.»

von Anni Lanz

Diese destruktive Asylpolitik macht uns Menschenrechtsaktivist*innen wütend, aber das ist wohl auch eine der Absichten dahinter. Ansonsten interessiert die Meinung von Menschenrechtsaktivist*innen kaum ein Medium.

Nur Bajour gewährte mir auf mein Begehren hin Gastrecht für zwölf Kolumnen. Für dieses Schreib-Asyl bin ich dankbar und verabschiede mich hiermit, nicht ohne die dringende Bitte an die Leserschaft, diejenigen mutigen Kandidat*innen zu wählen, die sich für die Rechte von Zugewanderten stark machen, auch wenn sie damit ihre Beliebtheit aufs Spiel setzen.

Herz Elefant
Unterstütze uns.

Jetzt Bajour-Member werden.

Basel Briefing

Das wichtigste für den Tag
Jetzt Abonnieren
Jetzt Member Werden

Das könnte dich auch interessieren

Vorher Nachher Dreispitz Nord Arealentwicklung

David Rutschmann am 26. April 2024

Alles unter einem Dach

Mit dem «Basel-baut-Zukunft»-Kompromiss im Rücken geht das Arealentwicklungs-Projekt «Dreispitz Nord» in die Planauflage.

Weiterlesen
Der neu als Kantonalpraesident gewaehlte Peter Riebli jubelt am Rednerpult an der Generalversammlung und am Parteitag der SVP Baselland in Aesch, am Donnerstag, 25. April 2024. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Michelle Isler am 26. April 2024

Alle für Riebli

Die Baselbieter SVP hat einen neuen Parteipräsidenten: Dem kürzlich geschassten Fraktionspräsidenten Peter Riebli gelang der Turnaround – er liess seinen moderaten Konkurrenten Johannes Sutter links liegen. Zwischen Schlagerhits und vielen geschüttelten Händen kam in Aesch Hoffnung für einen Neuanfang auf.

Weiterlesen
Dominik Straumann Pantheon Muttenz

David Rutschmann am 22. April 2024

«Eine Abspaltung wäre für beide Seiten sehr dumm»

Dominik Straumann gilt als moderater SVPler, den jetzt der extreme Regez-Flügel als Parteichef im Baselbiet zu Fall gebracht hat. Hat er die Hardliner*innen selbst zu lange geduldet? Ein Interview über chaotische Tage in der Kantonalpartei, den Weg aus der Krise und warum es bei der SVP kein Co-Präsidium geben wird.

Weiterlesen
Familie Geburtenrate

Ina Bullwinkel am 19. April 2024

Angst vor Kindern

So wenige Kinder wie jetzt sind noch nie in der Schweiz geboren. Es ist höchste Zeit, dass das Land familienfreundlicher wird, meint Chefredakteurin Ina Bullwinkel. Besonders attraktiv ist das Elternwerden nämlich nicht, und eine Gesellschaft, die sich nicht reproduziert, verarmt.

Weiterlesen

Kommentare