Wie weiter nach dem «Marschhalt» im Dezember?
Der Baselbieter Landrat strich der Friedensstiftung Swisspeace wegen «israelfeindlichen» Äusserungen ihres Direktors Gelder. Ein überschüssiges und kontraproduktives Agieren gegen Antisemitismus, findet unser Autor Georg Kreis. Das Traktandum müsse nun nochmals aufgenommen werden.
Es war bereits Ende des Jahres ein Thema, muss aber auch zu Beginn des neuen Jahres wieder eines sein: Der abstrafende Landratsbeschluss, mit dem am 13. Dezember der vorgesehene Unterstützungsbeitrag von jährlich 100'000 Franken an die Schweizerische Friedensstiftung Swisspeace mit 41:37 Stimmen abgelehnt wurde. Bajour hatte darüber berichtet, und inzwischen ist die Verweigerung zu einem nationalen Thema geworden: Letzte Woche nahmen das jüdische Wochenmagazin tachles und die NZZ das Thema erneut auf.
Mehrere Vorbehalte
Die bisher besprochene Problematik: Soll oder darf dem wissenschaftlichen Arbeiten die finanzielle Unterstützung entzogen werden, wenn dessen Einsichten bestimmten politischen Auffassungen nicht genehm sind? Die Problematik ist nicht neu und im Zusammenhang mit den Genderstudien auch schon auf basel-städtischem Boden debattiert worden.
Georg Kreis ist Historiker und emeritierter Professor für Neuere Allgemeine Geschichte und Geschichte der Schweiz an der Universität Basel. Bis Mitte 2011 leitete er das Europainstitut Basel und bis Ende 2011 präsidierte er die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR). Kreis war während mehrerer Jahre Vize-Präsident der FDP/BS.
Im negativen Landratsbeschluss kamen wohl mehrere Vorbehalte zusammen, wie auch im Protokoll ersichtlich wird: Neben den ewigen Budgetsorgen dürften allgemeine Vorbehalte gegenüber der Friedens- und Konfliktforschung mitgespielt haben. Dass diese, wie in der Debatte gesagt wurde, Bundesaufgabe seien und darum von Kantonen nicht mitgetragen werden müssen, ist ein Argument, das dem Aufgabenverständnis eines Universitätskantons nicht gerecht wird.
Vom Kanton Basel-Stadt wird Swisspeace jährlich mit 400'000 Franken unterstützt; dies allerdings mit der Erwartung, dass sich auch Baselland beteiligt. Möglicherweise wurde der Kredit von bürgerlicher Seite letztlich auch darum abgelehnt, weil er als Anliegen der Linken verstanden wurde.
Zunächst hatte es offenbar eine Mehrheit für den Ausgabeposten gegeben. Diese erodierte erst, als unter Berufung auf bestimmte Äusserungen des Swisspeace-Direktors Laurent Goetschel gegen den Kredit agiert wurde. Goetschel hatte im SRF-«Club» die Massaker vom 7. Oktober verurteilt, aber aus verhandlungstechnischen Überlegungen Vorbehalte gegen den Abbruch der Kontakte mit der terroristischen Hamas geäussert. Das war mehr als bloss eine Meinung, sondern eine durch Nachdenken gewonnene professionelle Einschätzung.
Eine historische Dimension
Gegen Goetschel dürften sich Vorbehalte auch darum angesammelt haben, weil er 2022 anlässlich der 125-Jahr-Festlichkeiten zum ersten Zionistenkongress eine kritische Haltung eingenommen und den Anteil der israelischen Seite am Nahost-Konflikt thematisiert hat. Noch im erwähnten NZZ-Artikel erklärte er, «der Zionismus ist ein Aspekt, der bisher zu einer Ausweitung des Konflikts beigetragen hat».
Goetschel hat völlig zu Recht jüngst wieder betont, dass bei Konflikten die Kontexte betrachtet werden müssen: «Die Angreifer sind ja nicht einfach vom Mond gefallen.» Auch wenn es kaum mehr geäussert werden darf, muss zum besseren Verständnis des Nahost-Konflikts selbstverständlich auch seine historische Dimension berücksichtigt werden. Die beanstandeten Stellungnahmen könnten zusätzlich gestört haben, weil sie von jemandem kommen, der zur «eigenen» Gruppe gezählt wird, weil er aus einer jüdischen Familie stammt.
Der von tachles inzwischen zusätzlich eingebrachte Diskussionspunkt betrifft die im Landrat abgegebene Begründung der Kreditverweigerung, die in pauschalisierender Weise auf die Intervention «besorgter jüdischer Bürger» verwies. Prominente jüdische Stimmen halten diese Argumentation für höchst problematisch, weil sie das Stereotyp nähren, wonach Juden aus dem Hinterhalt ihren Einfluss geltend machen würden. Alfred Bodenheimer, Leiter des Zentrums für Jüdische Studien der Universität Basel, erklärte in tachles zudem, dass der ablehnende Beschluss mit einer seriösen Evaluation der Arbeit von Swisspeace nichts zu tun habe.
Ebenfalls Bedenken meldete eine andere jüdische Stimme an: Für Adina Rom, Entwicklungsökonomin an der ETH, ist es, wie sich dem jüdischen Wochenmagazin gegenüber erklärte, wichtig, dass niemand im Namen aller jüdischer Menschen in der Schweiz sprechen könne und versuchen dürfe, andersdenkende Jüd*innen mit Vorwürfen der Israelfeindlichkeit oder des Antisemitismus zum Schweigen zu bringen. Sie beanstandete auch die tatsächlich bestehende Tendenz, Kritik an der derzeitigen israelischen Politik und Kriegführung vorschnell als Infragestellung des Existenzrechts Israels und als antisemitisch einzustufen. Der Bekämpfung des Antisemitismus ist nicht gedient, wenn in ihrem Namen der Spielraum für das öffentliche Nachdenken über Konfliktursachen eingeschränkt wird.
GLP-Landrat Yves Krebs hat die Kreditverweigerung auch damit begründet, dass ein «Marschhalt» angebracht sei. Wird diese Formel ernst genommen, müsste das Traktandum nach dem eingeschalteten Halt eigentlich wieder aufgenommen werden. Einige der Verweigerer vom 13. Dezember sind vielleicht – und hoffentlich – nach der Diskussion der letzten Tage zu einer besseren Einsicht gekommen und würden heute anders abstimmen.
FDP-Landrat Marc Schinzel berief sich in seiner Begründung der Kreditverweigerung auf seine Verantwortung, die er als Parlamentarier habe. Ohne die Ausgabenhoheit des Parlaments in Frage zu stellen, kann man dieser Rechtfertigung entgegenhalten, dass gerade Verantwortung einen sorgfältigeren Umgang mit der Situation erfordert hätte. Mit überschüssigem Agieren gegen Antisemitismus wird der gewiss nötigen, aber sorgfältig zu betreibenden Bekämpfung des Antisemitismus kein Dienst erwiesen. Kommt hinzu, dass eine Partei, die sich als liberale Kraft versteht, dieses Verständnis im gegebenen Fall einlösen müsste.
Der Beschluss vom 13. Dezember erscheint als Resultat einer Überforderung. Er hätte aber – ausser in Basel-Stadt und vielleicht in Genf – in jedem anderen Kanton ebenso ausfallen können. Liestal ist fast überall.
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