Wer ist «wir»?

Diese Woche wurde Co-Chefredaktorin Ina Bullwinkel daran erinnert, dass es für einige ein «Wir» und «die Anderen» gibt. Sie ist sicher: Manche Aussagen über Ausländer*innen bleiben bei ihr als Zugewanderte stärker hängen.

Wochenkommentar_Ina (1)

Diese Woche habe ich an einer Veranstaltung einen Satz gehört, der mir nicht aus dem Kopf gehen will. Zu Beginn wurde gefragt, ob jemand darauf bestehe, dass Hochdeutsch gesprochen wird. Als das nicht der Fall war, sagte eine Person im Publikum erleichtert: «Mir sinn dehaim.»

Diese Aussage ist klitzeklein und harmlos, ich möchte sie nicht grösser machen, als sie ist. Ich glaube aber, dass ich eine der wenigen im Raum war, denen dieser Satz überhaupt aufgefallen ist. Zumindest bei mir blieb er hängen, und der Satz löste etwas aus: Ich habe mich fremd gefühlt. Nur für einen kurzen Moment. Obwohl ich inzwischen gar kein Problem damit habe, Mundart zu verstehen. Ich wurde daran erinnert, dass ich Ausländerin bin. Und dass es für einige ein «Wir» und «die Anderen» gibt. Ein Gefühl, dass ich in Basel ansonsten eher selten empfinde.

Als Zugewanderte bin ich noch einmal sensibler. Manche Wörter bleiben bei mir stärker hängen als bei anderen.

In Basel-Stadt lag der Ausländer*innen-Anteil Ende 2022 bei 37,9 Prozent. Mehr als ein Drittel der Menschen im Kanton bezeichnet also potenziell (es gibt sicher Ausnahmen) Baseldytsch oder allgemein Mundart nicht als ihre Muttersprache. Und dann gibt es Leute mit Schweizer Pass, die Hochdeutsch sprechen, nicht aber Mundart. Zum Beispiel der SP-Kandidat fürs Basler Regierungspräsidium Mustafa Atici. Seine Sprachkenntnisse werden immer wieder kommentiert. Werden sie ihm bei der Wahl im Weg stehen? Diese Frage fand ich bis zu dieser Woche einigermassen abwegig. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob die 62,1 Prozent der Basler*innen mit Schweizer Pass und Mundart als Muttersprache es so locker nehmen wie ich.

Wer als «Ausländer*in», was ein grosses Spektrum an Personen und Nationalitäten umfasst, regelmässig in die Zeitung schaut, findet Nachrichten über andere «Ausländer*innen» in der Schweiz meistens im negativen Kontext – Kriminalität, «Asylchaos», schlechte Deutschkenntnisse, Dichtestress dank Zuwanderung usw. Andere lesen diese Nachrichten auch. Aber ich bin der Meinung, als Zugewanderte bin ich noch einmal sensibler. Manche Wörter bleiben bei mir stärker hängen als bei anderen. Mir als Deutsche werden ausserdem besonders deutlich die deutschen Arzt*innen und (Pharma-)Manager*innen in Chefpositionen vor Augen geführt, oder SRF-Journalist*innen, die aus Sicht einiger Schweizer*innen «verdächtig sauberes» Hochdeutsch sprechen. 

Ich habe mich schon ein paar Mal gefragt, ob ich nicht doch zu den Falschen gehöre und zu viel Platz einnehme, den Schweizer*innen etwas wegnehme.

Und gleichzeitig wurde mir bereits klar gemacht, dass ich weder beim Basler Regionaljournal noch bei Telebasel je einen Job hinterm Mikrofon oder vor der Kamera bekommen würde. Sonst wüssten die Zuschauer*innen und Hörer*innen ja vermutlich nicht, dass sie noch «dehaim» sind.

Ich möchte unbedingt eine gute Ausländerin sein. Das ist mir manchmal peinlich vor mir selbst. Ich arbeite und zahle Steuern, habe bisher keine Straftat begangen (und habe es nicht vor) und die aussterbende Bevölkerung um plus 1 erweitert. Nebenbei bemühe ich mich seit 3,5 Jahren, die Baseldytsche Sprache besser zu verstehen. Und ich schwöre, ich sag auch nie «Ich krieg' ein Bier!» (Ich weiss nicht, wie oft ich davor schon gewarnt wurde).

Was ist schlecht an mir – für die Schweiz? Darauf haben manche Politiker*innen eine deutliche Antwort: Die Ausländer sind das Problem – von allem! Ich würde lügen, würde ich behaupten, Anti-Ausländer*innen-Kampagnen prallten an mir ab. Sie setzen – durchaus gezielt – kleine Stiche, sodass ich mich schon ein paar Mal gefragt habe, ob ich nicht doch zu den Falschen gehöre und zu viel Platz einnehme, den Schweizer*innen etwas wegnehme. All das schwingt mit beim (für mich meist sehr angenehmen) Leben als Ausländer*in in der Schweiz. Und so blöd das klingt: Als Weisse und als blonde Frau treffen mich zum Glück weniger Vorurteile und Sprüche in der Öffentlichkeit. Ich höre trotzdem genau hin.

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