Wie locker darf Wahlkampf sein?

Klappe, die Zweite in der Regierungsratsersatzwahl. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass der Inhalt wichtiger wird und der Ton härter. Ob sich die Bürgerlichen mit ihren Attacken gegen links einen Gefallen tun, ist fraglich.

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Die Bürgerlichen haben mit FDP-Kandidat Luca Urgese nun die schlechteren Karten in der Hand als die Linken mit SP-Kandidat Mustafa Atici.

Der Wahlslogan «Pasta statt Döner» macht derzeit auf Facebook die Runde. Mitte-Grossrätin Andrea Strahm hat mit ihrem Post, auf dem der Kopf des FDP-Regierungskandidats Luca Urgese neben einem Teller Spaghetti abgebildet ist, eine hitzige Diskussion ausgelöst. Während sie findet, Wahlkampf dürfe auch einmal «locker» sein («Humor war noch nie die Stärke der Linken»), fragt beispielsweise der ehemalige Basler SP-Präsident Roland Stark, ob als Nächstes der Spruch «Ostern statt Ramadan» komme. Und findet: «Die Verzweiflung der Bürgerlichen steigt. Das Niveau sinkt.» 

Willkommen im Wahlkampf, zweite Runde. Tatsächlich haben die Bürgerlichen mit Urgese derzeit die schlechteren Karten in der Hand als die Linken mit SP-Kandidat Mustafa Atici. Dieser befindet sich nach dem ersten Wahlgang für die Regierungsrats-Ersatzwahlen in der Poleposition; LDP-Kandidat Conradin Cramer ist als neuer Regierungspräsident bereits so gut wie gewählt. Es geht am 7. April also um die Besetzung des Erziehungsdepartements (ED). Der BaZ sagte SP-Präsidentin Lisa Mathys kürzlich, dass es im aktuellen Wahlkampf mehr um Bildungsthemen gehen werde, da sich jetzt alles auf das Erziehungsdepartement konzentriere. Ausserdem zeichnet sich ab: Der Ton ist härter geworden.

Gemeinsam vage

Vergangenen Donnerstag hat Atici seine wichtigsten Ziele an einer Pressekonferenz dargelegt. Demnach möchte der alt Nationalrat die Schule fit machen für die veränderten Realitäten der Kinder und ihrer Familien, das Image der Berufsbildung verbessern und eine produktive Zusammenarbeit auf allen Ebenen fördern. Die Ziele sind einigermassen vage formuliert. Möglicherweise wurde dem SP-Kandidaten von seiner Entourage im Hintergrund geraten, sich nicht allzu weit aus dem Fenster zu lehnen, damit man ihn später nicht festnageln kann auf Versprochenes (und nicht Eingehaltenes).

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Umstrittener Slogan: «Pasta statt Döner».

Interessant wird sein, ob Urgese, der seine Ziele am heutigen Donnerstag präsentiert, eine andere Strategie wählen und sich mehr in Details wagen wird. Nimmt man seinen Werbeclip als Gradmesser, der derzeit in den sozialen Medien kursiert, ist jedoch nicht davon auszugehen. Gemäss diesem soll Urgese als neuer Erziehungsdirektor folgende Fragen beantworten: Wie können wir unseren Kindern eine gute Bildung mitgeben, damit sie parat sind fürs Leben? Wie finanzieren wir in Zukunft unsere Hochschulen? Oder: Wie treffen wir heute die richtigen Entscheidungen für die Zukunft?

In Sachen Vagheit scheinen sich die beiden also nichts zu nehmen. Dennoch kann man in dieser zweiten Runde klare inhaltliche Differenzen ausmachen. 

Zuerst aber zu den Gemeinsamkeiten: «Es braucht Frühförderung!» An einem Podium des Gewerbeverbands von vergangener Woche (die BaZ als Veranstaltungspartnerin berichtete) soll sich Atici in Rage geredet haben. Atici plädiert dafür, auch die Eltern abzuholen und verlangt eine Taskforce. Auch Urgese spricht sich für Frühförderung aus, sieht die konkreten Ansätze aber woanders: «Wir haben sehr viel Unruhe in unseren Schulzimmern», stellt der FDP-Kandidat nüchtern fest. Dass Lehrer*innen im Kanton mittels einer Initiative Förderklassen fordern, sei ein alarmierendes Zeichen.

«Langsam wird es unangenehm: Herkunft, Basel-Deutsch, Döner, Englisch.»
Mustafa Atici, SP-Kandidat

Im Gegensatz zu Atici und zur Basler Regierung befürwortet Urgese die Initiative. Atici, der der integrativen Schule gegenüber ebenfalls skeptisch eingestellt ist, schlägt anstatt Förderklassen jedoch «kleine, temporäre Förderklassen» vor, um die Kinder mit Schwierigkeiten kurzzeitig rauszunehmen. Also quasi die von der Regierung ins Spiel gebrachten «Lerninseln».

Stramm liberaler Urgese

Während Atici mit seinen Positionen von seiner Parteilinie hie und da abweicht, verfolgt Urgese eine stramm liberale Politik, für welche die FDP in der Vergangenheit auch aus Reihen der LDP Kritik einstecken musste (die 2022 in einem Positionspapier vorgestellten Ideen seien Populismus pur, bilanzierte alt LDP-Nationalrat Christoph Eymann damals). So kann Urgese der in diesem Papier aufgebrachten Idee eines Rankings, um die Schulstandorte zu vergleichen und die «schlechte Basler Schule» besser zu machen, durchaus etwas abgewinnen. Atici hingegen sagt: «Schulhaus-Rankings lösen kein einziges Problem, sondern verursachen grossen Schaden.»

Die bildungspolitische Diskussion hat sich bisher also vor allem um Integration und Separation gedreht. Dabei ist Atici stärker durch Empathie aufgefallen als Urgese, der eher mit Separation punktete. Linke Bildungspolitiker*innen wie Sasha Mazzotti bezeichnen seine Haltung gar als «reaktionär». Atici hingegen habe das Potential, die integrative Schule weiterzuentwickeln, ist sie überzeugt. FDP-Grossrat David Jenny, ebenfalls Mitglieder der Bildungskommission, verteidigt die Bildungspolitik der FDP, wenn er sagt: «Sie beruht auf Herz und Verstand» (in Anlehnung an Atici seinen gleichlautenden Wahlslogan). Es gehe nun darum, die integrative Schule, die nicht alle in sie gesetzten Erwartungen erfüllt habe, im Interesse der Schüler*innen und der Lehrerschaft weiterzubringen.

2024-03-13 Frage des Tages Lehrerinnen-3
Frage des Tages

Die Joggelihalle wurde am Donnerstag zum grössten Lehrer*innenzimmer der Schweiz – alle Lehrpersonen, die in Basel arbeiten, sind zur (obligatorischen) kantonalen Schulkonferenz zusammen gekommen. Zudem waren Gäste aus Politik, Gesellschaft, Ausbildungsinstitutionen eingeladen, um über ihre Erwartungen und Wünsche an die Schule zu sprechen.

Mitdiskutieren

Die Diskussion dreht derweil weiter. Vergangenes Wochenende haben Expert*innen im Magazin des Sonntagsblick radikale Veränderungen im Schulsystem gefordert: Die Schweiz solle aufhören, Kinder nach der Primarschule in Leistungsniveaus zu sortieren. Denn das schade vielen Kindern – und unserer Volkswirtschaft. Während Urgese Selektion richtig findet, weil er davon überzeugt ist, dass Leistung auch in der Schule eine Rolle spielen soll (wobei er sich «offen zeigt für neue erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse, wenn sie dazu beitragen, die Qualität unserer Schulen zu verbessern»), sagt Atici: «Die Frühselektionierung ist ein grosses Hindernis der Chancengerechtigkeit in der Schule. Wenn die Kinder hingegen länger zusammen bleiben, steigen deren Erfolgschancen.» Sprich: Der SP-Kandidat zeigt sich einem Systemwechsel gegenüber offen(er).

Offen oder nicht. Was macht überhaupt eine*n gute*n Bildungspolitiker*in aus? Über diese Frage wurde in den vergangenen Tagen intensiv diskutiert. Atici wird insbesondere von den Linken als der Bildungspolitiker schlechthin bezeichnet, der durch seine lange Erfahrung geradezu prädestiniert für das Amt sei. Dass er sowohl auf Bundesebene als auch im Grossen Rat verschiedenste Vorstösse eingereicht hat, betont Atici gerne und oft. Genauso gerne wird indes von rechts betont, wie wenig erfolgreich diese Vorstösse gewesen seien

Viele wurden abgelehnt, das ist wahr. Doch sagt dies etwas über die Qualität der Inhalte aus? Oder nicht vielleicht eher über die politischen Mehrheitsverhältnisse in den jeweiligen Parlamenten? 

ED ist nicht nur Schule

Im Übrigen hat auch Urgese in der Bildungskommission des Grossen Rates gesessen, ihn deshalb als Bildungspolitiker zu bezeichnen, wäre übertrieben. Sein grösster Erfolg ist die Steuersenkung; überhaupt ist er in den vergangenen Jahren eher durch seine Standortpolitik aufgefallen. So betonen die Bürgerlichen nun, dass das ED nicht einfach Schule ist, sondern dass der Unirat ebenso dazugehört wie das Tropeninstitut oder Life Science. Sie betonen die anderen Disziplinen auch, um – einmal mehr – den Bogen zu Aticis Sprachkenntnissen zu schlagen. Dieses Mal geht es allerdings nicht um sein Deutsch mit Akzent, sondern um Englisch: Can he English understand? «Ja», sagt Atici dazu trocken, ja leicht entnervt, auch sprechen könne er. Er findet jedoch, «dass es langsam unangenehm wird: Herkunft, Basel-Deutsch, Döner, Englisch». Atici fragt: «Was kommt als Nächstes?»

«Das ist nicht die Art und Weise, wie ich Wahlkampf führen will. Meine inhaltlichen Argumente sind gut genug.»
Luca Urgese, FDP-Kandiat

Würde ein SP-Politiker frischen Wind ins ED bringen? Schliesslich wäre Atici der erste sozialdemokratische Vorsteher seit Carl Miville-Jautz, der 1950 zurücktrat (sieht man von der kurzen Amtszeit von Veronica Schaller nach der Erkrankung von Stefan Cornaz ab). Auf Anfrage sagt Mathys: «Dem ED wird es vor allem gut tun, einen leidenschaftlichen Vorsteher zu haben, der für Bildungsthemen und Chancengerechtigkeit brennt.» Auch FDP-Parteipräsident Johannes Barth findet, es müsse sich was ändern; Basel-Stadt gibt schweizweit am meisten für Bildung aus und schneidet am schlechtesten ab. Sein Mann, um Verbesserung zu erzielen, ist jedoch Urgese. Der Verbandsfunktionär bringe alles mit, was es brauche, um eine grosse Kiste wie das ED mit seinen rund 7000 Angestellten zu führen.

Der Wahlkampf dreht sich dieses Mal also stärker um die Frage, welchen Bedürfnissen man gerecht werden will. Doch am Ende dürften diese Kompetenzen weniger entscheidend sein als die Tatsache, dass Basel eine Mitte-Links-Stadt ist und die Wählenden ein bürgerliches Übergewicht in der Exekutive wohl verhindern wollen. Da es sich bei dem freiwerdenden Sitz nicht um eine bürgerliche Vakanz handelt, ist davon auszugehen, dass Atici das Rennen machen wird – daran werden auch die grenzwertigen Spitzen gegen den SP-Kandidaten nichts ändern. Im Gegenteil: Die Bürgerlichen machen sich wohl keinen Gefallen damit, wenn sie die Schwächen des Gegners betonen, statt die Stärken des eigenen Kandidaten hervorzuheben. So sagt auch Urgese über den Slogan «Pasta statt Döner»: «Das ist nicht die Art und Weise, wie ich Wahlkampf führen will. Meine inhaltlichen Argumente sind gut genug.»

Herzen
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Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

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