Noch eben schnell das Klima retten, oder?

Der Klimawandel schreitet schneller voran, als Forscher*innen erwartet haben. Da Topfpflanzen nicht helfen, müssen Wirtschaftsvertreter*innen endlich im Klimaschutz aktiv werden, kommentiert Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

Klima Wochenkommentar

Bewegen uns Meldungen wie «Wärmster März seit Beginn der Wetteraufzeichnungen» überhaupt noch oder sind solche Schlagzeilen schon zur Gewohnheit geworden? Der März ist der zehnte Monat in Folge mit einem neuen Höchstwert. Lesen, kurz denken: «oh, krass», dann weiterscrollen. Nächstes Thema. Und irgendwie freut man sich ja insgeheim über die hochsommerlichen Tage schon zum Frühlingsanfang.

Etwas mehr Stress lösen dafür Nachrichten wie diese aus, in denen es heisst, die Erde habe sich im vergangenen Jahr um 0,2 °C stärker erwärmt als von Klimaforscher*innen erwartet wurde. Schluck. Diesen plötzlichen Anstieg der Temperaturen können sich die Wissenschaftler*innen mit ihren jetzigen Modellen nicht erklären. Der Trend, der sich im vergangenen Jahr abzeichnete, scheint sich im 2024 fortzusetzen. Vor allem die Ozeane weisen so hohe Temperaturen auf wie noch nie. Von der Antarktis ganz zu schweigen. Dass das alles Auswirkungen auf das Gleichgewicht unseres Planeten hat, begreifen auch Lai*innen.

Es sind vor allem die grossen Unternehmen, die ordentlich CO2 rausballern und die Superreichen, die fröhlich mit ihren Privatjets um die Welt düsen.

Nicht so leicht zu begreifen ist hingegen, was das alles für die nahe Zukunft bedeutet. Auch für unser Verhalten im Alltag. Wer eine in Plastik eingeschweisste Gurke kauft, eine Flugreise bucht oder etwa ein Stück Fleisch isst, wird inzwischen häufig vom schlechten Gewissen geplagt. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, sind es doch vor allem die grossen Unternehmen, die ordentlich CO2 rausballern und die Superreichen, die fröhlich mit ihren Privatjets um die Welt düsen. Und trotzdem hat Erwin im Gundeli und Petra im Iselin das Gefühl: Wenn ich doch in den 90er-Jahren nicht so viele Plastik-Trinkhalme benutzt hätte und in den 2000ern weniger Auto gefahren wäre, dann würde es unserem Planeten heute vielleicht besser gehen. Und die Klimajugend wäre vielleicht nicht so hässig. Wobei, auch die Klimaseniorinnen beim CO2-Ausstoss keinen Spass mehr verstehen. Sie haben die Schweiz erfolgreich verklagt, weil sie nach Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nicht genug für den Klimaschutz getan hat. Fertig lustig.

Es ist richtig, dass der Staat Schweiz, also die Politik, zur Verantwortung gezogen wird. Denn so lobenswert es auch ist, wenn wir jede Woche viel Tofu essen und nur noch Secondhand-Kleidung tragen: Einen richtigen Unterschied können nicht die vielen kleinen Konsument*innen machen, die fleissig Glas- und Pet-Flaschen trennen. Den grossen Unterschied machen die grossen Konzerne und ihre Lobbyist*innen, die in der Vergangenheit jeden klimapolitischen Fortschritt im Parlament so lange bekämpft haben, bis die rechtliche und konkrete Klima-Situation in der Schweiz nicht mehr mit der Menschenrechtskonvention vereinbar war.

Die Wirtschaft hätte insbesondere über den Bankenplatz- und über die Rohstoffhändler*innen wirksame Möglichkeiten, für effiziente Impulse mit weltweiter Wirkung zu sorgen. 

Das haben nicht die kleinen Kompostsammler*innen und E-Velo-Fahrer*innen zu verantworten, sondern die Vertreter*innen der Schweizer Wirtschaft. Sie hätten insbesondere über den Bankenplatz- und über die Rohstoffhändler*innen sehr wirksame Möglichkeiten, für effiziente Impulse mit weltweiter Wirkung zu sorgen. 

Mit diesem Wissen wirkt es etwas grotesk, wenn immer wieder von Konsument*innenethik geredet wird (und ja, es gibt inzwischen viele Vegi-Produkte, weil sie nachgefragt werden, aber der weltweite Fleischkonsum steigt trotzdem und von Flugscham ist auch keine Spur), während die Mehrheit der Unternehmen mit Greenwashing und pseudo-klimafreundlichen Produkten davonkommt. Was passiert? Die Leute machen dicht. Immer neue Horrormeldungen zum Klimawandel werden schulterzuckend hingenommen, nach dem Motto: Wenn wir eh alle verloren sind, will ich jetzt wenigstens noch das Leben geniessen.

Dass wir mehr Schatten brauchen, sagt viel darüber aus, wie wenig in den letzten Jahrzehnten in Grünflächen, geschweige denn in weniger Asphalt in der grün-roten Stadt investiert worden ist.

Resignation inmitten einer Klimakrise ist wohl das Schlimmste, was passieren kann. Auch die gut gemeinten schattenspendenden Topfpflanzen und Sonnenschirme in Basel helfen herzlich wenig gegen das sich aufheizende Weltklima – das weiss auch Basels Baudirektorin Esther Keller.

Dass wir mehr Schatten brauchen, weil es ansonsten viel zu heiss in den Sommermonaten wird, sagt hingegen viel darüber aus, wie sich erstens das Klima entwickelt hat und zweitens, wie wenig in den letzten Jahrzehnten in Grünflächen, geschweige denn in weniger Asphalt in der grün-roten Stadt investiert worden ist. Alle, die sich im Kleinen schon heute um einen klimaschonenden Konsum bemühen, dürfen nicht belächelt werden. Auch ein Blame-Game führt nicht weiter. Es gehören jedoch diejenigen verurteilt, die lange meinten, Klimaschutz gehe sie nichts an. Der Entscheid des EGMR hilft hoffentlich, den Ernst der Lage zu erkennen – nicht nur in der Schweiz. 

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