Ein glatter Typ

Conradin Cramer sitzt seit sieben Jahren in der Regierung. Jetzt möchte der LDP-Politiker etwas Neues wagen und strebt das Präsidium an. Dem eloquenten Juristen liegt das Repräsentative, das finden sogar seine Kritiker*innen. Ist es Zeit für einen Wechsel im Erziehungsdepartement?

im ED
Conradin Cramer bleibt seinen Krawatten treu. (Bild: Ina Bullwinkel)

Er ist in diesem Wahlkampf der Altbekannte, dessen Lächeln und Krawatten niemandem mehr fremd sind. Conradin Cramer, seit sieben Jahren Vorsteher des Erziehungsdepartements, muss den Sprung in den Regierungsrat nicht mehr schaffen, der LDP-Politiker strebt das Präsidium an.

Streben ist das Stichwort. Cramer, der Anwalt mit Dr.-Titel, gilt als Musterschüler, als Traum (fast) jeder Schwiegermutter, als glatter Typ. Er hat kein Problem damit, Aktenberge zu wälzen, um daraus anschliessend Argument nach Argument zu liefern und dabei noch charmant aufzutreten. Wenn es ein Wort gibt, das immer wieder über ihn fällt: eloquent. Ihm liege das Repräsentative und der Mann könne sich gut verkaufen, so viel räumen ihm selbst Kritiker*innen ein. Auch ein Buch für Politik-Nachwuchs hat er geschrieben – dass jemand neben dem Regierungsamt Zeit dafür hat bzw. sich nimmt, überraschte einige, die vermutlich seine Vita nicht kannten.

Von 1999 bis 2005 war er Präsident der Jungliberalen Basel. Bereits mit 23 Jahren, als Jus-Student, sass er im Einwohnerrat von Riehen. «Klassisch schweizerisch» nennt er seine politische «Ochsentour», die ihn vom Einwohnerrat in den Grossen Rat und schliesslich in die Basler Regierung gebracht hat.

«Mein Politikstil ist nicht der, der das Ziel hat, möglichst viel anzuecken.»
Conradin Cramer (LDP), Vorsteher des Erziehungsdepartements

Conradin Cramer bringt reichlich (Exekutiv-)Erfahrung mit. Er wurde von links und rechts geschätzt für seine Arbeit als Präsident der Bau- und Raumplanungskommission und strahlt Kompetenz aus. Während alle anderen Kandidaten mittlerweile auf den gleichen, betont hemdsärmeligen Stil setzen – dunkler Anzug, weisses Hemd, erster Knopf offen –, bleibt Cramer zugeknöpft bzw. krawattentreu.

Cramer kennt all die Ecken-und-Kanten-losen Labels, die man ihm anheftet. Macht ihn das langweilig? «Mein Politikstil ist nicht der, der das Ziel hat, möglichst viel anzuecken», bestätigt er auf Nachfrage in seinem grosszügigen Büro mit dem täuschend echt wirkenden Plastik-Obst auf dem Sitzungstisch. Er setze auf Zusammenarbeit. Und Harmonie ist tatsächlich etwas, das dieser Mensch und Politiker in fast unerträglicher Intensität aussendet. Auch auf seinen Social-Media-Kanälen. Zwischen Polit-Auftritten, Sportevents und Erfolgsmeldungen streut er inszenierte Fotos – von sich, engagiert bei der Arbeit, von seiner Bilderbuch-Familie, am Sylter Nordseestrand, vor dem Weihnachtsbaum, am Vogel Gryff. Auch in der «Basel Aktuell» liess er sich mit seinen zwei Töchtern beim Vorlesen in der Adventszeit abdrucken – zwischen anderen Basler Promis.

Was steckt hinter dem Anwalt im Anzug mit dem überzeugenden Auftreten?

«Wer mich und meine Herkunft kennt, der weiss, dass ich nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren bin.»
Conradin Cramer kandidiert fürs Regierungspräsidium

«Perfektes Leben» möchte man angesichts des schönen Scheins urteilen. Ein Leben ohne viel Verzicht und entsprechend bei der LDP gelandet? Cramer stört es, wenn er in die Daig-Ecke gestellt wird. «Wer mich und meine Herkunft kennt, der weiss, dass ich nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren bin», sagt er. Aber seine Kindheit sei sicher nicht von ständiger Sorge um die Existenz geprägt gewesen, das stimme. Cramer wuchs ohne Vater auf, dieser starb kurz nach der Geburt seines Sohnes. Das Vorurteil, ihm sei alles in den Schoss gelegt worden, nervt ihn – nicht mehr so stark wie früher, aber der Unmut darüber ist ihm ins Gesicht geschrieben und seiner Stimme anzuhören, die plötzlich nicht mehr so heiter klingt. Dass er in der Kanzlei von Parteikollege und Daig-Vertreter Ueli Vischer, dem Cousin seiner Mutter, tätig war, kann er nicht abschütteln. War Vischer ein Ziehvater für ihn, wie es mitunter heisst? «Nein, da schmunzeln wir beide drüber.» 

Conradin Cramer redet lieber über die vergangenen sieben Jahre im Erziehungsdepartement und darüber, was er aus seiner Sicht in dieser Zeit gelernt und erreicht hat. Seine Leidenschaft, wenn er über die Wichtigkeit und Einzigartigkeit der Volksschule («Ein Abbild der Gesellschaft») spricht, wirkt ehrlich. «Den Anspruch der Volksschule, allen Kindern die besten Möglichkeiten mitzugeben, verteidige ich durch jeden Boden», sagt Cramer mit einem stockenden Lachen, das vermutlich meint, es wäre lächerlich, ihm etwas anderes zu unterstellen. Die Oberverantwortung für die Volksschule habe ihn gelehrt, wie es ist, «wenn man für alle da sein will und muss». 

Ein Versuch, für alle da und für alle auch ansprechbar zu sein, ist das von Cramer zu Beginn seiner Amtszeit eingeführte Sorgentelefon für Lehrer*innen. Einmal im Jahr stellt er sich am Hörer den Sorgen, Ideen und – wie er zugibt – vor allem der Kritik. «Man merkt, was die Lehrpersonen wirklich beschäftigt und das, was mir sonst berichtet wird, vielleicht auch gefiltert ist.» Auch wenn es nur einmal im Jahr ist: Mit dieser Aktion – festgehalten auf Instagram – kann ihm niemand vorwerfen, es nicht zumindest zu versuchen, das mit dem Zuhören.

Das Arbeitsfeld Schule ist kein unkompliziertes. Die integrative Schule und deren Reform ist und bleibt Cramers grösstes Sorgenkind. Kritik gibt es von den Gegner*innen, die separate Klassen wünschen, aber auch von Befürworter*innen denen es zu wenig schnell geht und sich mehr Unterstützung wünschen. 

Cramer, das kann man so sagen, hat das Dossier integrative Schule von seinem Vorgänger und Parteikollegen Christoph Eymann geerbt. Es war also schon aufgegleist, und grosse Sprünge in eine andere Richtung hätten vermutlich als Affront gegen die eigenen Leute gegolten. 

«Ich glaube, den rasanten Anstieg von Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf haben wir alle unterschätzt – im Regierungsrat, im Departement.»
Conradin Cramer über die integrative Schule

FDP-Grossrat Andreas Zappalà, der Cramer noch aus dem Einwohnerrat in Riehen und als Präsident der Bau- und Raumplanungskommission kennt, sieht es so: «Alle haben das Gefühl, sie wissen, wie es am besten ist. Cramer musste eine gewisse Linie verfolgen; es gibt ja nicht nur Gegnerschaft zur integrativen Schule. Es ist aber richtig, dass wir von der FDP schon lange eine Abkehr gefordert haben.»

Manche sagen, Cramer habe am Anfang aber zu lange gebraucht, um sich in das Dossier einzuarbeiten. Hat er dessen Wichtigkeit am Anfang unterschätzt? «Ich glaube, den rasanten Anstieg von Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf haben wir alle unterschätzt – im Regierungsrat, im Departement», sagt er dazu. Sasha Mazzotti (SP), Mitglied in der Bildungs- und Kulturkommission und Kindergärtnerin, hätte sich gewünscht, dass Cramer in diesem Bereich proaktiver gewesen sei. «Die Initiative zur integrativen Schule gibt es meiner Meinung nach nur, weil so wenig passiert ist.»

Der zuständige Regierungsrat sagt hingegen, der grundsätzliche Handlungsbedarf sei schon lange vor Lancierung der Initiative erkannt worden und entsprechende Arbeiten seien aufgenommen worden. Er verteidigt das Konzept der integrativen Schule. Ein Massnahmenpaket – «das ich selbstverständlich gern bis zum Ende im Grossen Rat vertreten würde, aber das könnte natürlich auch ein Nachfolger übernehmen» – liegt beim Grossen Rat auf dem Tisch. «Ohne Ergebnis hätte ich mich nicht getraut, das Departement zu verlassen», sagt er.

Sasha Mazzotti
«Die Initiative zur integrativen Schule gibt es meiner Meinung nach nur, weil so wenig passiert ist.»

Sasha Mazzotti (SP), Mitglied in der Bildungs- und Kulturkommission und Kindergärtnerin

Fehler eingestehen kann Cramer aber. Etwa bei der Misere rund um die explodierenden Kosten beim neuen Biozentrum und die schleppende Kommunikation. Er hätte gern schon früher Stellung bezogen, sagt er. «Das waren die Sachzwänge des Amts, die ich ehrlicherweise nicht immer ganz einfach finde, weil ich schon das Bedürfnis habe, mich hinzustellen und mich zu verteidigen oder zu sagen, ja, da ist etwas falsch.» In diesem Moment wirkt er fast wie in einem Bewerbungsgespräch, in dem er seine Selbstkritik als grösste Schwäche und Stärke zugleich verkauft. 

Und was wertet der Erziehungsdirektor als seinen grössten Erfolg? Er schmunzelt freudig und setzt dann an, über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu reden. «Da haben wir im Kanton Gewaltiges geleistet, zusammen mit dem Parlament und den Institutionen, die das tragen.» Besonders stolz, und auch in diesem Moment kann er sich das Schmunzeln nicht verkneifen, sei er darauf, dass das Massnahmenpaket zur Kinderbetreuung nicht nur bei Eltern und Kita-Angestellten, sondern auch bei der Wirtschaft gut ankomme.

«Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich gehe»,
sagt Conradin Cramer rückblickend.

Das Paket, das jetzt auf den Tisch kommt, ist der Gegenvorschlag. Die einen sagen, ohne SP-Initiative gäbe es das Paket in seiner heutigen Form gar nicht, andere sagen, es ist auch Cramers Verdienst, dass man sich relativ zügig auf einen Kompromiss einigen konnte. «Es war mein eigenes Ziel, die Familien weiter zu entlasten und die Kitas mit ihren Mitarbeitenden zu stärken. Die Initiative hat dafür zusätzlichen Rückenwind gegeben», sagt Cramer.

«Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich gehe», sagt er rückblickend, das Erziehungsdepartement sei gut aufgestellt. Sein Freund und FDP-Grossrat Luca Urgese könnte sich also – sollte sich das Duo am 3. März durchsetzen – in den bürgerlich angewärmten Sessel setzen. Und Conradin Cramer hat Lust auf etwas Neues. «Nach sieben Jahren gibt es Bereiche, in denen man sich fast zu wohl fühlt, weil man in eine gewisse Komfortzone reinkommt.» 

Johannes Sieber (GLP) ist der am ausgeglichendsten abstimmende Grossrat.
«Ich glaube nicht, dass es akute Baustellen im PD gibt – Conradin Cramer kann dort also wahrscheinlich nicht so viel falsch machen.»

GLP-Grossrat und Kulturunternehmer Johannes Sieber

Der LDPler wäre der erste Basler Regierungspräsident aus einer bürgerlichen Partei. Als das Amt eingeführt wurde, gab es aus bürgerlichen Kreisen grosse Skepsis und später sogar eine Initiative zur Wiederabschaffung. Ausgerechnet Cramers Vorgänger sagte, das Amt widerspreche dem Prinzip, dass sich die sieben Mitglieder auf Augenhöhe begegneten. Aus anderer Ecke wurde Beat Jans als «Grüssaugust» belächelt. Dass sich der Grüssaugust zum Bundesrat gemausert hat, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Nun soll es also einen bürgerlichen Präses geben – mit vielleicht ähnlich hohen Aufstiegschancen.

Repräsentieren kann Cramer, aber kann er auch Akzente in den jeweiligen Abteilungen des Präsidialdepartements (PD) setzen?

«Die Abteilung Kultur sitzt mit Katrin Grögel fest im Sattel. Und auch im Gleichstellungsbereich hat Beat Jans die Abteilung mit der Umstrukturierung gut aufgegleist. Ich glaube deshalb nicht, dass es akute Baustellen im PD gibt – Conradin Cramer kann dort also wahrscheinlich nicht so viel falsch machen», urteilt GLP-Grossrat und Kulturunternehmer Johannes Sieber. 

Manche dürften mehr erwarten. Kürzlich hat Cramer zugegeben, selten ins Theater zu gehen. In der Fondation Beyeler zeigt er sich dagegen gern und an den Kunstwerken in seinem Büro hat er grosse Freude. Hat er auch ein offenes Ohr für die freie Szene? Das wird er beweisen müssen. Kulturschaffende werden von ihm eine Strategie erwarten und nicht nur ein Verwalten.

Conradin Cramer im ED
Conradin Cramer hat Freude an der Kunst, die er fürs Erziehungsdepartement aussuchen durfte. (Bild: Ina Bullwinkel)

Johannes Sieber kann der Idee mit Cramer als Präsi jedenfalls viel abgewinnen. «Nach zwei Grünen und einem SPler wäre es interessant zu sehen, wie sich das Departement mit einem Bürgerlichen entwickelt.» Nach all der Kritik aus bürgerlichen Kreisen «könnten sie’s mal besser machen». Sieber gibt sogar ein Wahlversprechen: «Ich werde ihn wählen – auch weil es Zeit für einen Wechsel im Erziehungsdepartement ist.»

Das hört man zum Teil sogar aus linken Kreisen: Cramer zu wählen, damit das Chefbüro im ED wieder frei wird. Dort könnte dann zum Beispiel Mustafa Atici einziehen. Der SP-Kandidat ist Cramers grösste Konkurrenz. Was hält er von dem Narrativ, es sei «Zeit für einen Mustafa im Präsidium»? «Ich glaube, das Entscheidende ist, wie man das Amt versteht und wie man es ausübt. Das Entscheidende darf nicht sein, woher man kommt, denn niemand kann die Stadt in ihrer Vielfalt als Person abdecken, jeder hat seine spezifische Herkunft. Mustafa hat seine, ich hab meine. Wir sind aber beides Leute, auch Jérôme Thiriet, die für alle da sein wollen und sich nicht als Klientelpolitiker verstehen.»

Die Harmonie, die Höflichkeit: Cramer behält sie bei, auch wenn ihn die Frage nicht begeistert. Und als wär er schon Präsident fügt er ganz stadtväterlich an: «Mein Anspruch wäre, ein Präsident für alle zu sein, auch für die, die mich nicht wählen.»

zwei Herzen
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