Lehrer*innen stärken Atici den Rücken

Ein Guerilla-Trupp aus pensionierten Lehrer*innen möchte Conradin Cramer ins Präsidialdepartement wegbefördern. Und empfiehlt Mustafa Atici fürs Erziehungsdepartement. Das hat wenig mit Cramers Leistung zu tun.

Atici_Schule
Soll Conradin Cramer (LDP) dem alt Nationalrat Mustafa Atici (SP) im Erziehungsdepartement Platz machen?

Was als Scherz begann, hat sich mittlerweile zu einer handfesten Flüsterpropaganda etabliert: Ein als Untergrundkomitee bezeichnetes Grüppli an Lehrer*innen möchte Conradin Cramer aus dem Erziehungsdepartement (ED) ins Präsidialdepartement (PD) wegbefördern. Gleichzeitig wolle die Gruppe eine Wahlempfehlung für SP-Kandidat Mustafa Atici als Vorsteher des ED aussprechen. Im Komitee sollen namhafte, teils erst frisch pensionierte Lehrer*innen sein. 

Aktive Lehrer*innen hingegen dürfen sich auf Weisung des ED* öffentlich nicht äussern; sich gegen den eigenen Chef zu positionieren, wäre strategisch ohnehin wenig sinnvoll. Wann genau und ob der Guerilla-Trupp letzten Endes überhaupt an die Öffentlichkeit tritt, ist noch unklar.  

Die offizielle Lehrer*innen-Vertretung, die Freiwillige Schulsynode (FSS), gibt als politisch neutraler Berufsverband hingegen keine Wahlempfehlung ab, sagt Präsident Jean-Michel Héritier auf Anfrage. Man habe Ende Januar aber ein Hearing mit den Kandidaten durchgeführt und so zur Meinungsbildung an Schulen beigetragen. Die Empfehlungen scheinen indes einer weit verbreiteten Stimmung innerhalb der Lehrer*innenschaft zu entsprechen. Dies wird in Gesprächen immer wieder bestätigt. Dem Vernehmen nach sei Bildungspolitiker Atici im Bildungsdossier sattelfest, während beim Grünen Grossrat Jérôme Thiriet unklar sei, wofür er stehe. Luca Urgese, der im Schulterschluss mit Cramer antretende FDP-Grossrat, ist vielen Lehrer*innen offenbar zu liberal. 

Eine Lobeshymne auf Cramer

Bleiben wir erst einmal bei Conradin Cramer: Dass man den LDP-Politiker gerne im PD sähe, rührt nicht nur daher, dass er als ausgesprochen eloquent gilt. Und deshalb als idealer Repräsentant für unsere Stadt gehandelt wird. Vielmehr gibt es im Falle der Lehrer*innenschaft viel Unzufriedenheit mit seiner Person. Und somit auch mit seiner Leistung. SP-Grossrat Pascal Pfister hielt kürzlich auf X, ehemals Twitter, fest: «Bis jetzt hat noch kein einziges Basler Medium eine Leistungsbilanz von Cramer gebracht. Wahrscheinlich weil es viel relevantere Dinge zu berichten gibt.» Und er postete in ironischer Manier in seinem Tweet einen Artikel der BaZ über Schüler*innen, die Cramer mit Räppli stopften.

Tatsächlich haben die grossen Basler Medienhäuser Loblieder auf Cramer als möglichen Stadtpräsident gesungen. So schreibt beispielsweise bz-Chefredaktor Patrick Marcolli in seiner Wahlempfehlung: Cramer for President. Er erklärt daraufhin, wieso sich der Jurist fürs PD besonders gut eignen würde. Als Leistung wird ihm attestiert, dass Cramer das ED acht Jahre lang mehr oder weniger frei von nach aussen getragenen, bitteren Grabenkämpfen geführt habe. Und Marcel Rohr empfiehlt Cramer fürs PD, weil ein Weiterwursteln im ED kommenden Herbst seine Wiederwahl gefährden könnte. Als Jans-Nachfolger im Präsidialdepartement würde der rhetorisch starke Cramer weniger Angriffsfläche bieten. 

Wie Roland Stark, ehemals Basler SP-Präsident, auf den sozialen Medien konstatiert: eine doch eher merkwürdige Empfehlung. Cramer solle wechseln, weil er im ED überfordert sei und im PD weniger Leistung und mehr Rhetorik gefordert werde? Dennoch findet auch Stark: Cramer ins PD, Atici ins ED.

Unzufriedenheit mit der Bildungspolitik

Von den kleineren Basler Medien hat Bajour indes bereits Anfang Februar im Porträt über Cramer klar gemacht, dass es Unzufriedenheit und Kritik gibt. Und mittlerweile haben auch Primenews und Onlinereports die Schwachpunkte des Erziehungsdirektors benannt. So werfen Kritiker*innen ihm vor, er habe zu lange gebraucht, um sich im Dossier integrative Schule, das als sein grösstes Sorgenkind gilt, einzuarbeiten. Beispielsweise Sasha Mazzotti (SP), Mitglied in der Bildungs- und Kulturkommission und Kindergärtnerin, hätte sich gewünscht, dass Cramer in diesem Bereich proaktiver gewesen sei.

Diese Kritik hört man immer wieder: Cramer handle nur auf Druck. Ein weiteres Beispiel dafür ist das Massnahmenpaket zur Kinderbetreuung, das nur aufgrund der SP-Initiative zustande gekommen sein soll. Zudem wird moniert, dass es keine Erklärung gäbe, wieso 15 Prozent der Basler Schüler*innen keinen Sek II Abschluss, also weder Lehre noch Matura haben

Cramer sagt zur Kritik auf Anfrage, sie sei für Ihn schwer nachvollziehbar. Denn: «Die Fakten sprechen klar dagegen.» Zur Kinderbetreuung sagt er, dass die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf seit Beginn seiner Amtszeit eines seiner Kernanliegen gewesen sei. «Unser Kanton steht heute so gut da wie kein anderer.»

Zur integrativen Schule meint er: Die Arbeiten seien lang vor der Lancierung der «Förderklasseninitiative» aufgenommen worden. Und: «Ich bin froh, dass ich dieses für unsere Schule so wichtige (Massnahmen-)Paket schnüren konnte.»

Und schliesslich zur Abschlussquote: «Die Frage der in Basel-Stadt im Vergleich zu vielen anderen Kantonen tiefen Sek-II-Abschlussquote habe ich bewusst auf die politische Agenda gebracht, auch um die Wichtigkeit der Berufsbildung für Basel-Stadt zu unterstreichen. Im Erziehungsdepartement wird dieses Thema intensiv bearbeitet.» 

«Ich bin froh, dass ich dieses für unsere Schule so wichtige (Massnahmen-)Paket schnüren konnte.»
Conradin Cramer, Vorsteher des Erziehungsdepartements

Verantwortlich gemacht für den von vielen als «unhaltbar» beschriebenen Zustand wird Cramer allerdings kaum. So kritisiert sein Wahlkampf-Partner Urgese in den Streitgesprächen der vergangenen Wochen zwar die Situation, kann sich aber nicht erklären, wie es dazu gekommen sei. Könnte man das ED also auch ohne Vorsteher führen?

Urgese sagt dazu auf Anfrage: «Selbstverständlich ist der Vorsteher ED für die Bildungspolitik verantwortlich. Man darf da auch anerkennen, dass er bereits einige Massnahmen in die Wege geleitet hat, um den aktuellen Problemen entgegen zu wirken: Ausbau der Frühförderung, mehr Sondermassnahmen, Massnahmen zur Beruhigung.»

Urgese macht kein Geheimnis daraus, dass er als FDP-Politiker mit der LDP-Bildungspolitik nicht immer einig ist. Und er hat auch öffentlich geäussert, dass er bezüglich Förderklassen weiter gegangen wäre als sein Kollege Cramer. «Ich verschweige Differenzen nicht.» Derzeit macht zudem ein älterer Artikel mit dem Titel FDP-Bildungspolitik – Nein, danke!, geschrieben von alt LDP-Nationalrat Christoph Eymann, die Runde, der die Differenzen benennt (dieser erhält allerdings Fehler: Die FDP hat sich damals im Grossen Rat nicht ablehnend geäussert zur Einführung des selektiven Sprach-Obligatoriums).

Im Bajour-Video-Interview sagte Urgese schliesslich auf die Frage, ob er an Cramers Maxime, wonach die Maturitätsquote zu hoch sei, festhalten wolle: Die Quote sei lediglich ein Symptom dafür, dass «die Qualität in den anderen Leistungszügen nicht hoch genug ist». Die Folge: Abschliessende würden vom Arbeitsmarkt nicht genügend aufgenommen, sprich: Sie fänden keine Lehrstelle. Das müsse sich ändern.

Hilft Atici die Empfehlung? 

Zurück zu Atici, der im Bajour-Video-Interview ebenfalls die Frage zur Maturitätsquote beantwortet hat und dabei auf die Volksschule fokussierte: «Man muss die Volksschulen und die Grundkompetenzen stärken, nicht Quoten regulieren.» Ausserdem fordert der alt Nationalrat mehr gut ausgebildete Fachkräfte, damit die heute oftmals überforderten Lehrkräfte die nötige Unterstützung bekämen. Auch im Umgang mit Eltern möchte er Lehrkräfte unterstützen. Er ist also ihr Mann, so scheint es.

«Natürlich freue ich mich über alle Empfehlungen, die meinen Qualitäten und meiner grossen Erfahrung Rechnung tragen.»
Mustafa Atici, Regierungsratskandidat (SP)

Ob das Komitee sowie seine linken Unterstützer*innen ihm mit ihrer Empfehlung ins ED (und Cramer eben ins PD) ausschliesslich eine Freude machen, ist unklar. Atici selbst sagt dazu auf Anfrage: «Natürlich freue ich mich über alle Empfehlungen, die meinen Qualitäten und meiner grossen Erfahrung Rechnung tragen – sei dies fürs Präsidialdepartement oder allgemein die Regierung.»

In der Tat dürfte es für Atici durchaus von Vorteil sein, wenn Cramer im ersten Wahlgang ins PD gewählt wird und Urgese im zweiten Wahlgang ohne seine Loki dasteht. Wenn Atici aber kaum Stimmen macht im ersten Wahlgang für das Amt des Präsidenten, kann ihm das auch als schlechtes Resultat ausgelegt werden, was ihn im zweiten Wahlgang Stimmen kosten könnte.

Klar ist: Nicht nur Lehrer*innen wünschen sich den SPler im ED. Auch viele linke Politiker*innen würden das Departement, welches seit Jahren in bürgerlicher Hand ist, gerne übernehmen. «Das ist wichtig für die Integration und Chancengleichheit», findet beispielsweise SP-Grossrat Pfister. Auch fänden es einige interessant, zuzuschauen, wie sich die Bürgerlichen im Präsidialdepartement schlagen würden, ein Departement, das sie vor nicht allzu langer Zeit gern abgeschafft hätten.

____________

*Update 16.02.2024: In einer früheren Version des Artikels hiess es, aktive Lehrer*innen dürften sich auf Weisung des PD nicht öffentlich äussern. Das war ein Fehler: statt PD muss es ED heissen. Wir haben den Fehler korrigiert.

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Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

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