Alternativkultur, hä?
Am Sonntag, 29. November, stimmt Basel über die Trinkgeldinitiative ab. Sie fordert, dass künftig 5 Prozent des gesamten Basler Kulturbudgets an die Jugend- und Alternativkultur gehen soll. Aber was genau ist Alternativkultur eigentlich?
Unter dem Begriff Kultur können sich wohl die Meisten etwas vorstellen. Theater, Museen, Ausstellungen und so weiter. Aber wenn man in Alternativ- und Jugendkultur unterteilt, wird's schon schwieriger. Was ist der Unterschied zur «normalen» Kultur und wer in Basel ist Teil dieser Alternativszene?
Das sind Fragen, mit denen sich Politiker*innen auseinandersetzen müssen, falls die «Trinkgeldinitiative» angenommen wird. Und nicht einmal die – wie Bajour unter anderem im Interview mit Esther Keller herausgefunden hat – können Kultur und Alternativkultur so richtig voneinander trennen. Also haben wir direkt bei Kulturschaffenden und Personen, die in der Kulturbranche arbeiten nachgefragt: Alternativkultur, wie bitte?
Sandro Lunin, künstlerischer Director der Kaserne Basel, arbeitet in einer Mischform zwischen Alternativkultur und «tradierter» Kultur:
«Für mich ist in der heutigen Zeit Alternativkultur ein eher schwieriger Begriff. Er ist sehr stark mit den 1980ern Jahren verbunden und deshalb etwas angestaubt. Es gibt für mich keine klare Abgrenzung zwischen ‹tradierter› Kultur und der sogenannten Alternativkultur, doch es gibt einen grossen Unterschied zwischen freischaffenden Künstler*innen und Institutionen. Letztere sind viel besser abgesichert. Und dann gibt es natürlich auch Mischformen: Die Kaserne zum Beispiel ist selbst eine Institution, die in erster Linie mit freischaffenden Künstler*innen eng zusammenarbeitet und diese auch fördert.
Jugendkultur wird meist als Teil der Alternativkultur gesehen. Auch hier finde ich den Begriff nicht präzise genug. Es schwingt ein Unterton mit, dass Jugendliche nicht professionell Kultur schaffen können, dabei können sie das durchaus, zum Beispiel beim Jungen Theater Basel. Ob man das allerdings zur Alternativkultur zählt, weiss ich nicht, denn das Junge Theater ist eine bewährte, wenn auch sehr bescheiden geförderte Institution.
Basel hat, wie die meisten Deutschschweizer Städte, eine grosse, kreative und wichtige freischaffende Kulturszene, die schon seit langer Zeit in allen Sparten eine klar höhere Förderung verdient hätte.»
Evelinn Trouble, Pop-Sängerin aus Basel, über Profit in der Kultur:
«Alternativkultur ist in meinen Augen, einfach das zu machen, was einem in den Sinn kommt, ohne dabei auf Profit aus zu sein. Ob das nun ein Konzert, eine Performance, ein Kinoabend, eine Ausstellung, eine Zusammenkunft oder was auch immer ist.
Ich habe meine Jugend in den besetzten Häusern Zürichs verbracht. Unglaublich kreative Orte, an denen alles möglich war. Es ging nicht um Konsum oder darum, mit Kultur Profit zu machen. Jetzt, da ich die Musik zum Beruf gemacht habe, bewege ich mich an weniger alternativen Orten wie früher. Denn viele Clubs, in denen man auf Tour vorbeikommt, haben natürlich auch einen kommerziellen Auftrag und gehören nicht mehr ganz zur Alternativkultur.
Aber in Basel gibt es einige Akteure in der Alternativkulturszene, wie zum Beispiel das Humbug, die sehr grosszügig mit ihrer Infrastruktur umgehen und so vieles ermöglichen. Fast wie damals im besetzen Haus! Solche Orte sind enorm wichtig, damit Neues entstehen kann.
Ohne finanzielle Unterstützung geht es jedoch nicht. Das muss sich eine Gesellschaft bewusst sein; nicht alles lässt sich über den freien Markt regulieren. Wie auch bei der Care-Arbeit; ein Spital hat nicht Profit zu machen, sondern kranke Leute zu pflegen. Care-Arbeit ist wertvoll und sie gehört gut entlöhnt, man darf nicht erwarten, dass sie Profit abwirft. Dafür muss man sich als Gesellschaft bewusst aussprechen. Bei der Kultur ist es gleich; sie nur zur konsumieren reicht nicht, man muss ihren Stellenwert anerkennen.»
Lucien Bricola von Was Ghetto?, einer Rap Crew aus Basel, über Gleichberechtigung in der Kultur:
«Alternativkultur zu definieren, ist schwierig. Alternativkultur verfolgt einen anderen, neuen Ansatz als den, den man bereits kennt. Was Ghetto? zum Beispiel ist auch Alternativkultur. Wir glauben, es gehört viel Verantwortung zum Musikmachen und finanzielle Anreize beeinflussen oftmals die eigenen Ideologien.
Deswegen versuchen wir uns nicht vom bestehenden Musikmarkt zu beeinflussen, versuchen in den Texten Relevantes zu thematisieren und suchen die noch nicht vorhandene Nische des diskriminierungsfreien Raps. Alternativkultur verfolgt in erster Linie keine kommerziellen Zwecke, sie ist nicht elitär, hinter ihr steht eine Ideologie.
Basel hat eine sehr grosse Alternativkulturszene. Gerade wenn man sie mit anderen Städten, zum Beispiel Luzern, vergleicht. Genau wie jede Form von Kultur kommt auch die Alternativkultur nicht ohne finanzielle Mittel aus. Mit finanzieller Unterstützung schafft man durch gleiche Grundvoraussetzungen Gleichberechtigung und Diversität. Es wird noch lange gehen, bis Basel dieses Ziel erreicht hat, denn heute können sich oft nur die Menschen Kulturschaffen leisten, die bereits Geld haben.»
Ursina Früh, freischaffende Schauspielerin, Tänzerin und Vorstandsmitglied des Tanzbüros Basel, erklärt, was Alternativkultur für sie bedeutet:
«Ich würde Alternativkultur als etwas definieren, das nicht per se über subventionierte Institutionen läuft. Das Stadttheater Basel zum Beispiel gehört nicht zur Alternativkultur. Es ist aber schwierig eine klare Grenze zu ziehen, was zur Alternativkultur gehört und was nicht. Die Kaserne und das Roxy zum Beispiel erhalten Subventionen bzw. sind subventionierte Institutionen und arbeiten mit Personen aus der Alternativkultur zusammen und geben ihnen eine Plattform.
Basel hat eine sehr grosse und breite Alternativkulturszene. In den letzten Jahren ist sie gewachsen. Ich habe das Gefühl, es läuft extrem viel.
Es ist ja nicht so, dass es heute keine Förderung der Alternativkultur gibt, aber die heutige Unterstützung ist zu wenig und zu träge. Gerade im Theater und Tanzbereich muss man immer Neues machen, um unterstützt zu werden und dieses System muss überdacht werden. Schliesslich muss es auch qualitativ gut sein, nicht nur neu.