«Das Budget für Schulmaterial reicht nicht aus»
Am Montag startet das neue Schuljahr. Die Volksschule ist laut Gesetz für alle Schüler*innen kostenfrei – hier und da werden Eltern in Basel aber doch zur Kasse gebeten und auch Lehrer*innen springen in die Bresche, wenn das Budget für Lehrmittel nicht ausreicht.
Die Aufregung ist für viele Schüler*innen gross, wenn die Schule nach den langen Sommerferien wieder losgeht. Ausgestattet mit Schulsack, Etui und anderen Utensilien, die Kinder im Alltag brauchen, machen sie sich auf den Weg ins neue Schuljahr 2024/25. Wer aber zahlt eigentlich für Farbstifte und andere Materialien, die für den Unterricht gebraucht werden?
In der Schweiz gibt es ein Grundrecht auf unentgeltlichen Volksschulunterricht, so steht es in Artikel 19 der Schweizerischen Bundesverfassung. In Basel-Stadt werden – je nach Primarschule – hier und da aber doch Anschaffungen seitens der Eltern erwartet. So zum Beispiel bei Schreibutensilien. Bajour hat erfahren, dass einige Eltern vor den Sommerferien in einem Schreiben darum gebeten wurden, diverse Stifte für ihr Kind (oder ihre Kinder) anzuschaffen.
«Zum Schreibmaterial für Schülerinnen und Schüler gibt es keine einheitliche Regelung.»Valérie Rhein, Kommunikation Erziehungsdepartement
Valérie Rhein, Kommunikation Erziehungsdepartement (ED) des Kantons Basel-Stadt, sagt auf die Frage, weshalb Eltern die Stifte für ihre Kinder teils selbst kaufen müssen: «Zum Schreibmaterial für Schülerinnen und Schüler gibt es keine einheitliche Regelung, die Schulen handhaben das im Rahmen der Teilautonomie unterschiedlich.» Unter Schreibmaterialien versteht das ED Farb- oder Bleistifte. Sie stellen eine Ausnahme dar, denn: «Die Lehrmittel sowie Verbrauchsmaterialien wie zum Beispiel Bastelmaterial werden den Schülerinnen und Schülern an allen Schulen zur Verfügung gestellt», so Rhein.
«Ich kann die Unterscheidung von Verbrauchsmaterial und Schreibutensilien nicht ganz nachvollziehen.»Nicole Kuster, Grossrätin LDP
Stellt sich die Frage, warum ein Unterschied zwischen Stiften und anderen Gegenständen, die zum Unterricht nötig sind, gemacht wird. Nicole Kuster, LDP-Grössrätin und Mitglied der Bildungs- und Kulturkommission, sagt: «Ich kann die Unterscheidung von Verbrauchsmaterial und Schreibutensilien nicht ganz nachvollziehen. So sind doch Stifte gerade eben Verbrauchsmaterial.»
Als Beweggründe vermutet Kuster unter anderem die Lehrmittelfreiheit und die gestiegenen Kosten bei den Lehrmitteln durch die Digitalisierung. Sie sagt: «Bei den grossen Anschaffungen, wie dem unentgeltlichen Edubs-Book ab der 5. Klasse, ist Basel sehr fortschrittlich.» Sollte allerdings – auch aufgrund der Digitalisierung – mehr Geld für Schulmaterial benötigt werden, müsste dies im Rahmen der Budgetdebatte gefordert werden, so Kuster.
«Ich sehe nicht ein, warum manche Schülerinnen und Schüler ihre Stifte selbst anschaffen müssen und andere nicht.»Béla Bartha, Grossrat Grüne
Dieses Thema beschäftigt auch Grünen-Grossrat Béla Bartha. Er hat im März eine Interpellation betreffend Budget für Lehrmittel an den Schulen Basel-Stadt eingereicht. Darin wollte er wissen, warum das Budget für Lehrmittel pro Schüler*in für die Volksschulen des Kantons seit Längerem stagniert. In der Antwort schreibt der Regierungsrat, das Lehrmittelbudget sei seit 2015 einmal – im Jahr 2022 – pro Schüler*in der Primarschule von 200 Franken auf 227 Franken erhöht worden. Das ist aus Barthas Sicht nicht ausreichend.
Budget nicht ausreichend angepasst
Er sagt: «Schon allein die zunehmende Digitalisierung erhöht die Ausgaben beträchtlich. So müssen Geräte angeschafft und die Lizenzen jährlich erneuert werden. All das scheint mir nicht wirklich bedacht und eingepreist zu sein.» Es könne nicht sein, dass Eltern nun für gewisse Kosten aufkommen müssen, weil das Budget nicht ausreichend angepasst wurde.
Zudem findet Bartha bedenklich, dass es keine einheitlichen Regelungen gibt. «Es fehlt eine zentrale Direktive. Mir ist nicht klar, aus welchem Grund die Schreibutensilien nicht unter Verbrauchsmaterialen fallen. Ich sehe nicht ein, warum manche Schülerinnen und Schüler ihre Stifte selbst anschaffen müssen und andere nicht.»
Was denkst du: Ist es fair, dass Eltern die Kosten für Stifte, Zirkel, Etuis, Finken, Schulsack, Turnsachen selber tragen müssen? Oder sollte all das den Schüler*innen zur Verfügung gestellt werden? Diskutiere mit bei unserer heutigen Frage des Tages.
In der Antwort auf Barthas Interpellation räumt der Regierungsrat ein, dass sich die Lehrmittel in den letzten Jahren verteuert haben und er bestätigt, dass die Schulen in der Verwendung des Lehrmittelbudgets autonom agieren können.
«Ich finde es gut, dass die Schulen im Rahmen ihrer Teilautonomie selbstständig und eigenverantwortlich ein Budget verwalten», sagt LDP-Grossrätin Kuster. «Die Praxis, dass Schreibutensilien teilweise selbst angeschafft werden müssen, steht jedoch im Spannungsfeld mit dem Grundrecht auf unentgeltlichen Volksschulunterricht. Dieses wiederum ist das Gegenstück zur Schulpflicht, welche ja auch nicht teilautonom bewirtschaftet werden kann.» Sprich: Alle Schüler*innen in Basel müssen im Sinne der Grundschulpflicht die Schule besuchen. Und sie haben ein Recht darauf, dafür nicht zahlen zu müssen. Daher wäre es aus Sicht von Kuster wünschenswert, dass die Bedingungen bei der Schulpflicht vergleichbar sind.
Der Grundgedanke einer unentgeltlichen Schule entspricht dem Wunsch, die Chancengleichheit der Schüler*innen zu gewährleisten. Denn nicht alle können sich Anschaffungen für die Schule leisten. Zu den Stiften kommen ja noch das Etui, der Schulsack, Finken oder Turnschuhe hinzu – um nur einige Beispiele zu nennen.
Keine einheitliche Regelung
Bajour hat in der Facebook-Gruppe Gärngschee nachgefragt, wie es um die Anschaffung von Schulmaterialien steht. Eltern und Lehrer*innen bestätigen in ihren unterschiedlichen Antworten, dass es in Basel-Stadt keine einheitliche Regelung gibt. Eine Mutter schreibt, in der Primarschule im Bruderholzschulhaus würden Hefte und Stifte bereitgestellt. «Wenn das Kind nicht sorgfältig ist mit dem Material, muss es sich selber um Ersatz kümmern.»
Eine Lehrer*in verweist auf die gesetzliche Regelung eines unentgeltlichen Unterrichts: «Ergo muss ich als Lehrperson den Kindern alles zur Verfügung stellen. Ich handhabe es so, dass ich bei den Eltern nachfrage.» Sie gibt eine Liste, auf der die Eltern ankreuzen können, was sie selbst mitbringen können. Den Rest besorgt die Lehrerin. Je nach Entscheid der Schule und Lehrpersonen müssen die Eltern also selbst für Stifte aufkommen oder nicht.
«Dass das Budget nicht mehr ausreicht, ist ein offenes Geheimnis. Es müsste der heutigen Kostenrealität angepasst werden.»Jean-Michel Héritier, Präsident der Freien Schulsynode Basel-Stadt
Nicole Kuster ist vor allem eines wichtig: «An jeder Schule aber sollte klar geregelt sein, dass Familien, welche nicht über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, unkompliziert und unentgeltlich Schulmaterial erhalten.» Analog dazu, wie es bei den Beiträgen für die Klassenkassen und Schulausflüge gehandhabt wird.
Auch Jean-Michel Héritier, Präsident der Freien Schulsynode Basel-Stadt, verweist auf die Chancengerechtigkeit, die gewährleistet bleiben muss: «Es gibt Eltern, die können Schreibmaterialen usw. bezahlen, andere eben nicht. Da kommen wir ganz schnell in eine Zwei-Klassen-Diskussion, was ungut wäre.»
Das Thema ist nicht abgeschlossen
Manche Lehrer*innen setzen sich sogar bewusst dafür ein, Eltern keine Kosten aufzuhalsen. Héritier sagt, es sei sogar üblich, dass einige Lehrpersonen in die Bresche springen und Schreibmaterialien aus eigener Tasche bezahlen. «Wir wissen, dass das Budget zu klein ist, denn die Lehrmittel nehmen zu und werden teurer. Dass das Budget nicht mehr ausreicht, ist ein offenes Geheimnis. Es müsste der heutigen Kostenrealität angepasst werden.» Er findet, die Lehrer*innen würden mit der finanziellen Mehrbelastung zuweilen auch ein Stück weit alleine gelassen.
Für Grünen-Grossrat Bartha ist das Thema deshalb ebenfalls nicht abgeschlossen: «Ich habe die Frage nach dem Budget damals gestellt und ich war mit den Antworten nicht zufrieden. Aus diesem Grund behalte mir vor, im Herbst ein Budgetpostulat einzureichen.»