«Das ist wie Einsperren»
Der Kanton plant ein Containerdorf für Ukrainer*innen. Dabei hätten Basler Familien und Hotels Platz für Geflüchtete. Nationalrätin Sibel Arslan findet das konzeptlos.
Sandro (Name geändert) wollte schon vor Wochen Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen. Er hat ein voriges Zimmer mit separatem Bad und hat das bei der GGG/Benevol angemeldet. Das Kompetenzzentrum für Freiwilligenarbeit besichtigt für die lokalen Behörden Wohnungen und überprüft, ob sie taugen und betreut Gastfamilien.
Wochen später steht Sandros Zimmer immer noch leer. Und viele andere auch: Rund 200 weitere Gastfamilien auf der GGG/Benevol-Liste sind parat. Laut Campax hat Basel-Stadt aktuell sogar 959 freie Betten. Die Schweizer Kampagnenorganisation vermittelt Schweizweit Geflüchtete an Gastfamilien.
Umso erstaunter war Sandro, als er vor ein paar Wochen las, dass die Basler Regierung ein Containerdorf für 600 Geflüchtete bauen will und 4,9 Millionen Franken dafür bewilligt hat. Daraufhin schrieb Sandro eine Mail an Bajour: «Läuft da etwas falsch oder ist das einfach der Lauf der Dinge?»
Lieber Gastfamilien als Container
Für Sibel Arslan läuft grundsätzlich etwas falsch und zwar «das ganze System». Die Basta-Nationalrätin sagt: «Die Behörden scheinen überfordert und konzeptlos zu sein.» Menschen in Container-Dörfer unterzubringen sei, wie sie «einzusperren». Dabei hätten diese Menschen ja nichts verbrochen, sondern suchten hier Zuflucht.
Die Unterbringung bei Gastfamilien sei zielführender für eine rasche Integration: «Wenn man mit Basler*innen in Kontakt kommt, lernt man die Sprache viel schneller, als wenn man nur unter seinesgleichen ist», sagt sie. Davon profitierten nicht nur die Geflüchteten selbst, sondern die gesamte Gesellschaft und die Behörden.
Bei letzteren stösst Arslan durchaus auf offene Ohren. So sagt die Asylkoordinatorin Renata Gäumann, die soziale Integration geschehe speziell am Anfang eines Aufenthalts in der Schweiz – wenn die Ortssprache noch nicht erlernt und Erwerbsarbeit noch kein Thema sei. «Die Bedingungen dafür sind natürlich optimal, wenn sich der Alltag der Geflüchteten ab Tag eins in einer Gastfamilie abspielt.»
Hat es noch Platz?
Doch der Platz könnte knapp werden, trotz freien Gästebetten. Aktuell leben acht von zehn der Ukrainer*innen im Kanton Basel-Stadt bei Gastfamilien, schreibt Ruedi Illes, Leiter Sozialhilfe, auf Anfrage: «Im Rahmen der Krisenplanung müssen wir mit dem Worst-Case-Szenario planen, weil Wohnraum oft nicht kurzfristig beschafft werden kann, sondern eine gewisse Vorlaufzeit benötigt.» Der Kanton stützt sich auf Prognosen des Staatssekretariat für Migration. Diese gehen davon aus, dass Basel-Stadt bis Ende Jahr bis zu 3500 Personen unterbringen muss.
Für diese sucht die Sozialhilfe Plätze. Und plant Container.
Sibel Arslan gefällt das nicht. Sie sieht grosse Anlagen für Asylsuchende wie Containderdörfer oder Asylzentren grundsätzlich skeptisch. «Geflüchtete sind häufig traumatisiert und haben negative Erfahrungen – unter anderem mit militärischen Anlagen oder Masseneinrichtungen – gemacht», gibt sie zu bedenken. Für ein paar Wochen seien diese als eine Übergangslösung eventuell möglich, aber auf die Dauer brauche es individuelle Lösungen. Arslan wünscht sich, die Behörden würden noch mehr Alternativen suchen, beispielsweise leerstehende Hotels.
Ruedi Illes von der Sozialhilfe sagt: «Selbstverständlich prüfen wir auch Angebote von (ehemaligen) Hotels, Appartementhäusern, etc.» Teilweise konnten solche Objekte bereits auch angemietet werden und stehen zur Verfügung. Auch für die Behörden hat die «Unterbringung in normalem Wohnraum wie Gastfamilien oder eigenen Wohnungen höchste Priorität», sagt Illes, das komme auch kostengünstiger.
Aber man müsse auch damit rechnen, dass die bereits in Gastfamilien untergebrachten Personen nicht immer auf Dauer dort verbleiben und «es vermehrt zu Abbrüchen kommen wird». In einzelnen Fällen hätten die Behörden Geflüchtete bei Gastfamilien in Wohnungen der Sozialhilfe umplatziert. «Aufgrund dieser Szenarien müssen wir auch alternative Unterbringungsformen prüfen.» Dazu gehören Modulbauten und im äussersten Notfall auch Zivilschutzanlagen.
«Im Bunker haben wir kein Tageslicht, die Luft ist schlecht»
Zivilschutzanlagen sind bei Geflüchteten unbeliebt. «Im Bunker haben wir kein Tageslicht, die Luft ist schlecht», sagte ein türkischer Bewohner der bz vor zwei Jahren. Er lebte damals in der Zivilschutzanlge Werkhof in Kleinhünigen, die aber unter Hoheit des Bundes stand. Linke Politiker*innen bezeichneten unterirdische Unterkünfte als «menschenunwürdig». Für die Basler Regierung sind sie ultima ratio: Flüchtlinge unterirdisch unterzubringen, «wäre das letzte, was wir wollen», sagte die Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements, Stephanie Eymann (LDP) im März der SDA.
Auch Containerdörfer standen in den letzten Wochen in der Kritik. Insbesondere eine geplante Siedlung in Bern. Experten kritisierten gegenüber SRF, die Zimmer seien zu klein, die Anlage zu militärisch angeordnet und die Wege zu den sanitären Anlagen gefährlich für Frauen und Kinder wegen des Risikos für sexuelle Übergriffe.
Der Berner Regierungsrat Pierre Alain Schnegg von der ansonsten nicht für Mietpolitik bekannten SVP begründet die Container auch mit dem Druck auf die bestehenden Wohnungen: «Mit jeder Person, die in die Schweiz einwandert, steigt der Druck auf den Wohnungsmarkt, und die Wohnungspreise steigen. Auch deshalb braucht es eine Entlastung mit temporärem Wohnraum», sagte er der Sonntagszeitung.
Basel-Stadt orientiert sich allerdings nicht am Containerdorf in Bern, betont Ruedi Illes. Basel-Stadt hat bereits Erfahrungen mit Modulbauten für Asylsuchende. Seit 2017 betreibt der Kanton ein solches am Dreispitz. «Das ‹Migrationszentrum Dreispitz› sieht faktisch wie eine normale Wohnsiedlung aus», sagt Illes. Die Behörden hätten bewusst Rücksicht auf genügend Abstand und Grünflächen genommen.
In Containersiedlungen sind die Geflüchteten allerdings unter sich. Für die Integration ist es besser, diese Menschen kommen in Kontakt mit Basler*innen und lernen Stadt und Sprache kennen, sind sich Arslan und die Behörden einig. Am Dreispitz hat man «diese Brücke über eine gute Zusammenarbeit mit Quartiervereinen und Freiwilligen geschlagen», sagt Asylkoordinatorin Renata Gäumann.
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