«Uns allen geht es um die humanitäre Tradition»
Die Baselbieterin Elisabeth Schneider-Schneiter war eine der Ausscherer*innen aus der Mitte, die im Nationalrat die Verschärfung des Schutzstatus S möglich machten. Sie findet es richtig, den Sonderschutz auf die akuten Kriegsgebiete zu beschränken – und hofft, dass man damit die Zuwanderungspolemik der SVP bekämpfen kann.
Zwei Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wurde in der Schweiz erstmals der Schutzstatus S aktiviert: Ukrainer*innen erhalten in der Schweiz direkt und ohne Asylverfahren den S-Ausweis und damit Zugang zu Sozialhilfe und Erwerbstätigkeit. Zuletzt wurde die Laufzeit des Schutzstatus für Ukrainer*innen bis Anfang März 2025 verlängert.
Im Parlament wurde nun darüber diskutiert, dass der Schutzstatus S nicht mehr automatisch für alle Ukrainer*innen gelten soll. Eine Motion der St. Galler SVP-Ständerätin Esther Friedli will, dass der Status auf die besetzten und umkämpften Teile der Ukraine beschränkt wird. Der zuständige Basler SP-Bundesrat Beat Jans war dagegen, doch eine knappe Ratsmehrheit sprach sich dafür aus. Ausschlaggebend zwischen den linken und rechten Blocks waren die Stimmen von sieben Mitte-Nationalrät*innen, die entgegen der Mehrheit ihrer Partei für die Verschärfung stimmten. Eine von ihnen ist die Baselbieter Parlamentarierin Elisabeth Schneider-Schneiter.
Frau Schneider-Schneiter, im März 2022 haben Sie auf X, damals noch Twitter, geschrieben, dass der Schutzstatus S für die Ukraine ein «wichtiger und richtiger Schritt» sei. Was hat sich denn seither geändert?
Den Schutzstatus S für die Ukraine gibt es immer noch, wir haben ihn nicht aufgehoben.
Im Nationalrat haben Sie für eine Motion gestimmt, die den Schutzstatus S aber lediglich auf die durch Russland besetzten Gebiete der Ukraine beschränken will.
Es ist einfach ein Problem, dass manche Ukrainerinnen und Ukrainer regelmässig in ihre Heimat und wieder zurück in die Schweiz reisen. In der ruhigen Westukraine herrscht im Vergleich zu der Front im Donbass kein Krieg, doch auch die Menschen von dort werden mit dem Schutzstatus S bei uns aufgenommen. Ich finde es schade, wenn Menschen diesen Status erhalten, die ihn nicht brauchen. Bei so vielen Krisen auf dieser Welt muss der Schutz jenen Menschen gewährt werden, die unmittelbar vom Krieg betroffen sind – das ist mir wichtig.
Der Bundesrat kam zur Einschätzung, dass auch die Menschen in der Westukraine Schutz benötigen. Er schätzt die Lage in den vom Krieg weniger stark betroffenen Gebieten der Ukraine so ein, dass es schnell zu einer Verschlechterung kommen könnte. Warum vertrauen Sie dem Bundesrat da nicht?
Im Moment gibt es weltweit sehr viele Gebiete, in welchen es den Menschen schlecht geht und die einen automatisierten Schutz auch verdient hätten. Wenn sich die Situation in der Ukraine massiv verändert, müsste man halt nochmals über die Bücher. Im Moment ist es einfach so, dass es grosse Gebiete gibt, in denen Menschen ohne Not leben können und in denen kein Schutzbedürfnis besteht. Das zeigen die vielen Rückkehrer.
Elisabeth Schneider-Schneiter rückte 2010 in den Nationalrat nach. Die Baselbieterin ist seiher Mitglied der Aussenpolitischen Kommission. Die 60-Jährige ist Teil des Parteipräsidiums der Mitte, Präsidentin der Handelskammer beider Basel, Verwaltungsratspräsidentin der Raiffeisenbank Basel und Vorstandsmitglied bei Economiesuisse, dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft. 2018 wollte sie als Nachfolgerin von Doris Leuthardt Bundesrätin werden, kam allerdings nicht aufs Ticket.
Erst im September wurden sieben Menschen bei einem russischen Luftangriff in der westukrainischen Stadt Lwiw umgebracht. Haben diese Menschen kein besonderes Schutzbedürfnis?
Natürlich ist Schutzbedürfnis vorhanden. Man muss eine gewisse Flexibilität haben und der Bundesrat hat diese ja auch, denn der überwiesene Vorstoss muss nun vom Bundesrat umgesetzt werden. Beat Jans wird das in einem Rahmen umsetzen, der akzeptiert wird. Und: Wenn jemand aus dem Westen der Ukraine Schutz in der Schweiz sucht, kann die Person immer noch einen Asylantrag stellen. Der Schutz bleibt gewährt, er ist einfach nicht automatisiert. Es ist ein wichtiges Zeichen, dass eine Mehrheit des Parlaments und auch eine Mehrheit der Behörden der Meinung ist, dass ein Schutzstatus nur jenen Menschen zukommen soll, welche ihn auch brauchen. Tun wir das nicht, dann bieten wir Angriffsfläche.
Wie meinen Sie das?
In Bezug auf die Zuwanderung besteht ein grosses Unbehagen in der Bevölkerung. Wir brauchen eine glaubwürdige Zuwanderungspolitik, sonst gewinnt die Initiative der SVP, die durch die Begrenzung der Zuwanderung eine 10-Millionen-Schweiz verhindern will. Klar ist der Krieg in der Ukraine noch im vollen Gange und wir müssen schauen, wie dieser sich weiter entwickelt. Aber die politische Stimmung in unserem Land müssen wir auch ernst nehmen. Der Bevölkerung muss klar sein, dass im Asylbereich nur wirklich Schutz gewährt wird, wo es notwendig ist.
Sie sehen also die Verschärfung des Schutzstatus S als glaubwürdige Alternative zur Migrationspolitik der SVP?
Für mich ist es eben keine Verschärfung, sondern ein Konzentrieren auf jene Menschen, die es wirklich nötig haben. Alle anderen können weiterhin einen normalen Asylantrag stellen und wenn Gefahr im Verzug ist, dann wird dieser relativ schnell positiv beantwortet werden können. Jeder Missbrauch soll verhindert werden – das ist doch auch das Ziel des Bundesrates. Es gibt Geschichten von Roma, die sich in der Ukraine niederlassen, um den Schutzstatus S in der Schweiz zu erhalten.
Darüber wurde in den Medien berichtet, doch das SEM weiss nicht, in wie vielen Fällen das wirklich passiert, da keine Ethnien erfasst werden.
Klar, Einzelfälle werden dann in den Medien ausgeschlachtet und setzen sich in den Köpfen fest. Aber wenn wir einfach wegschauen, ist es allein die SVP mit ihrer menschenverachtenden Zuwanderungspolitik, die sich dem Thema annimmt.
«Wir sind weit davon entfernt, der SVP damit eine Plattform zu geben.»Elisabeth Schneider-Schneiter, Mitte-Nationalrätin
In anderen europäischen Ländern lässt sich beobachten, dass das Übernehmen von rechtspopulistischen Talking Points in Asyldiskursen letztlich den Rechtspopulist*innen nützt, weil es ihr Ängsteschüren legitimiert.
Schauen Sie: Die Masseneinwanderungsinitiative der SVP ist angenommen worden – nicht nur von rechts, auch von linken Menschen, da es die Sorgen gibt, dass der Wohnraum knapper wird. Zuwanderung ist eben nicht nur ein Thema der SVP. Ich lehne alle diese SVP-Initiativen ab, aber Zuwanderung ist eines der Hauptthemen in der Bevölkerung, das macht den Menschen Angst. Die Menschen in unserem Land verstehen es nicht, wenn Menschen den Schutzstatus erhalten, die es nicht nötig haben. Wenn wir das ernst nehmen und unsere Zuwanderungspolitik als glaubwürdig aufzeigen können, wird es einfacher, solche Initiativen zu bekämpfen. Da geht es nicht darum, der SVP hinterherzulaufen. Die Motion von Esther Friedli ist nicht in allen, sondern nur in einem Punkt angenommen worden. Wir sind weit davon entfernt, der SVP damit eine Plattform zu geben.
Warum könnte es nicht ein glaubwürdiger Umgang mit dem Schutzstatus S sein, ihn auszuweiten, zum Beispiel auf Menschen aus Gaza oder dem Libanon?
Es gibt viele von Krisen und Krieg betroffenen Menschen. Mit einer effektiven bilateralen oder multilateralen Entwicklungszusammenarbeit sollen wir diesen Menschen helfen.
Der Schutzstatus S hatte zu Beginn des Kriegs eine sehr hohe Zustimmung in der Bevölkerung, da eingesehen wurde, dass wir es mit stark kriegsbetroffenen Menschen zu tun haben, die Schutz in der Schweiz benötigen.
Ich habe die Unterstützung der Ukrainer in der Bevölkerung auch unglaublich geschätzt. Aber der Wind hat gekehrt. Jetzt höre ich aus der Bevölkerung: «Warum kommen Ukrainer aus Gebieten, die gar nicht umkämpft sind, in die Schweiz?» Wir können nicht alle Schutzbedürftigen aus der ganzen Welt mit dem Schutzstatus S aufnehmen. Natürlich herrschen in Gaza schlimme Zustände, aber auch in manchen Ländern in Afrika hungern Menschen – da verlangt niemand den Schutzstatus S. Es ist wichtig, dass die Schweiz ihre humanitäre Tradition weiterführt. Der Schutzstatus S war aber auch aus politischen Gründen wichtig, weil wir deutliche Zeichen gegenüber dem Aggressor setzen.
Sie finden also, dass die Aktivierung des Schutzstatus S für die Ukraine kein Fehler war?
Ich würde es nochmal genauso machen. Mit den Erfahrungen, die wir gesammelt haben, haben wir gesehen, welche Konsequenzen das hat.
In der Ratsdebatte wurde auch argumentiert, dass man durch die Beschränkung des Schutzstatus S auf Teile der Ukraine die Koordination mit der EU erschweren könnte. Könnte unsere Glaubwürdigkeit in Europa geschwächt werden?
Nein, das ist eine ganz andere Sache. Dass sich unsere Gewerkschaften immer noch mit Vehemenz gegen die Paketlösung des Bundesrats wehren, das schadet der Glaubwürdigkeit mehr. Es sind linke Kreise, aus denen extreme Oppositionen kommt und die verhindern, dass sich unsere Verhältnisse stabilisieren.
Von links werden Sie jetzt direkt persönlich angegriffen. Josef Lange, alt-Grünen-Nationalrat und GsoA-Aktivist attackiert Sie als Präsidentin der Handelskammer beider Basel. Da wird suggeriert, dass die Pharma (und damit Sie) vom Krieg profitieren würde – und das, obwohl Sie Unterzeichnerin von Neutralität21 sind, einem Manifest für eine Neutralitätspolitik, die auch Solidarität mit angegriffenen Staaten und Sanktionen gegen angreifende Staaten beinhaltet.
Oje, das habe ich nicht einmal mitgekriegt. Schauen Sie, Pharmafirmen aus verschiedenen Ländern in Europa haben Standorte in Russland und sind nicht von den Sanktionen betroffen. Das ist nichts Aussergewöhnliches für Basler Pharmafirmen. Und diese Gleichsetzung von Basel mit Pharma ist willkürlich: Alle, auch die Linken, profitieren in Basel von der Pharma. Ich habe keine Aktien der Basler Pharma.
Sind Sie noch bei Neutralität21 dabei?
Ja, und zwar mit voller Überzeugung. Neutral heisst nicht, dass man wegschaut, wenn das Völkerrecht verletzt wird. Ich sehe den Zusammenhang mit dem Schutzstatus S nicht.
«Ich bin nicht gegen die humanitäre Tradition der Schweiz, sondern ich finde, sie muss einfach glaubwürdig bleiben.»Elisabeth Schneider-Schneiter, Mitte-Nationalrätin
Mich interessiert, wie Sie die Schweizer Neutralitätspolitik in Bezug auf die Ukraine sehen.
Ich bin für die Sanktionen gegen Russland, für die humanitäre Hilfe, die Wiederausfuhr von Waffen in die Ukraine und die 1,5 Milliarden im Paket für die Internationale Zusammenarbeit, welches wir am Montag im Nationalrat fertig beraten. Diese Politik hat sich bis heute nicht geändert. Oder wo sehen Sie da Anhaltspunkte dafür, dass ich das anders sehen könnte? Ich finde das etwas bedenklich, dass Sie sich auf diesen Post von Josef Lang beziehen, der ultralinks ist.
Ich wollte Ihnen die Möglichkeit geben, das einzuordnen.
Nur weil die Bürgerlichen und ich als Politikerin das anders sehen beim Schutzstatus, habe ich kein rechtsnationales Gedankengut. Ich bin nicht gegen die humanitäre Tradition der Schweiz, sondern ich finde, sie muss einfach glaubwürdig bleiben.
Mir geht es darum, dass die Leser*innen besser verstehen, wieso Sie in dieser Frage so entschieden haben. Schliesslich haben Sie ja auch anders gestimmt als die Mehrheit der Mitte-Nationalrät*innen. Gab es da intern Diskussionen?
In unserer Partei gilt kein Fraktionszwang. Wir haben nicht darüber geredet und ich weiss auch nicht, warum andere anders gestimmt haben. Unterm Strich geht es allen Parlamentariern ums Gleiche: Wir müssen schauen, dass wir unsere humanitären Verpflichtungen wahrnehmen. Die einen sehen es mit der Verlängerung der Schutzstatus S für alle. Die anderen sehen es als Konzentration des Schutzstatus S nur für die, die es wirklich brauchen, damit es auch noch für andere Platz in der Schweiz hat.
Danke Ihnen für das Gespräch.